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Daphna Ute Wildemann

1963 in Bergen auf Rügen geboren 1993–2013 Texterin, Senior-Texterin
Foto: Deniz Saylan
und Kreativ-Direktorin in der Werbebranche seit 2013 Redakteurin,
freie Autorin; Schwerpunkte: Innen-/Architektur und Gardening

Das Bett und die Wanne sind im Boden versenkt, um den Innen- oder Außenraum bei Bedarf frei bespielen zu können. •The bed and the tub are recessed into the floor so that the interior or exterior space can be used as needed

von • by Daphna Ute Wildemann, Stuttgart
A NNA ist das Resultat eines Prozesses, um wieder in die Realität zurückzukehren, auseinandernehmbar und versetzbar ist – ein entscheidender Punkt für die künftigen Ei-
gentümer. Auch sollten alle modularen Teile problemlos trennbar sein, um sie bei Bedarf
nachdem mein Vater, Marc Jan Schols, sehr jung gestorben war“, erzählt Caspar
Schols. Fünf Wochen hatte er sich damals in die Wildnis Skandinaviens zurückgezogen, für andere Zwecke wiederverwenden zu können. Um das Gebäude auch luft- und was-
um allein zu sein. Kurz darauf bat ihn seine Mutter, ein Gartenhaus für sie zu bauen, das serdicht und somit in Fluss- oder Seenähe nutzbar zu machen, entwickelte Schols fol-
sie der Natur näher bringt. Sie wünschte sich einen Rückzugsort, Ruhe zum Lesen, die gende Innovation: ein patentiertes Aluminiumschienensystem mit integriertem Windla-
Möglichkeit, unter freiem Himmel schlafen und Gäste zu empfangen. Schols, der gerade byrinth, das auch bei kräftigem Küstenwind das Eindringen von Luft verhindert. Beson-
sein Physikstudium absolviert hatte und im Bereich der Architektur noch (!) nicht ge- ders stolz ist er auf das in den Führungshebeln integrierte Handbremssystem, das vom
schult war, versuchte nun also autodidaktisch den Wunsch seiner Mutter zu erfüllen. Prinzip der Bremse eines Hollandrades inspiriert wurde. Zieht man die Bremse an, wer-
Erste Skizzen zeigten bereits die Grundidee: eine Plattform mit zwei Hüllen – oder „die den die Wand-Dach-Elemente beweglich und lassen sich ohne viel Kraftaufwand in die
perfekte Symbiose aus einem Koffer und einem Regenschirm“, wie er es selbst betitelte. gewünschte Position schieben. Lässt man sie los, arretieren sie sicher an ihrem Platz.
Von 2014 bis 2015, also ein ganzes Jahr lang, arbeitete er an dem Projekt, das nach der Unter den verschiebbaren Gebäudehüllen ist eine Bürste mit den Bremsen verbunden.
Fertigstellung einen regelrechten Hype in den Medien auslöste und ihm mehrere Aus- Um Reibung zu vermeiden, wird die Bürste beim Schieben angehoben. Stoppt man den
zeichnungen einbrachte. Dieser enorme Zuspruch ermutigte Schols dazu, den Entwurf Vorgang, ist sie gegen den Boden gepresst und hält die Kabine dicht. Da sich Material je
weiterzuentwickeln und noch im selben Jahr begann er in London mit dem Architektur- nach Klima unterschiedlich ausdehnt, wollte Schols eine kombinierte Materialtoleranz
studium. Mit seinem neu erlangten Fachwissen und der Unterstützung von Investoren von weniger als einem Millimeter bei den beweglichen Teilen erreichen. Die Lösung: Ac-
überarbeitete er die Idee und adaptiere sie auf ein neues Design namens ANNA – ein Fe- coya-Holz für die Fassade und den Boden, Birkensperrholz für die Tragstruktur mit Dop-
rienhaus, für bis zu vier Personen, für alle Jahreszeiten, mit allem, was es braucht! pelglas (HR++ Glas), Sperrholz für die innere Wandverkleidung, Aluminium für die
Schienen und Glasprofile sowie Stahl für das Fundament. Die offenen Fachwerkbinder
Variabler Grundriss löst die Grenze zwischen Innen- und Außenraum halten das Haus stabil. Im geschlossen Zustand beträgt die Grundfläche 30 Quadrat-
meter, und wird die gläserne Hülle herausgeschoben, misst sie 50 Quadratmeter.
Die anpassungsfähigen Strukturen und beweglichen Wände erlauben verschiedene
Grundrisse und Funktionen, sodass je nach Jahreszeit, Stimmung und Nutzen vier ver- Geringer Transportaufwand durch eine intelligente Lösung
schiedene Konfigurationen zur Auswahl stehen. Eine simple Plattform wird durch zwei
übereinanderliegende Wand-Dach-Elemente ergänzt: eine äußere Schale aus Holzwän- Cabin ANNA ist 4,5 Meter hoch, 12 Meter breit und 4,2 Meter tief. Das Gebäude besteht
den und einer Dachfläche mit Blechdeckung und eine innere Schale in Holzrahmenbau- aus 26 Fertigteilen, die je 500 Kilogramm schwer sind, einem Schraubfundament und 14
weise mit Verglasung. Beide ruhen auf Industrierädern, die auf Schienen geführt werden Stahlpfählen. Trockene Verbindungen machen den Bau komplett demontierbar. 80 Pro-
und sich verschieben lassen. Auf diese Weise kann das Haus mittig oder seitlich geöffnet zent der Einzelteile lassen sich über eine digitale Datei auf 3D-Druckern und -Fräsen er-
werden. Wesentliche Punkte im Anforderungskatalog: ANNA ist so einfach wie möglich stellen, dadurch werden der Transportaufwand und die Umweltbelastung gering gehal-
und so komfortabel wie nötig; autark, nachhaltig, reproduzierbar und in verschiedenen ten. Um den Raum bei Bedarf komplett freihalten zu können, versenkte Schols das Bett
Klimazonen auf- und wieder abzubauen. Im Nationalpark De Maashorst entstand und die Wanne in den Boden. Die Küche bietet genügend Stauraum, um Klapptisch und
schließlich der erste Prototyp. Sechs Jahre und neun „Modelle“ später hat sich das visio- Stühle unterzubringen. Im Zwischengeschoss über der Küche ist Platz für ein weiteres
näre Konzept zu einem serienreifen Ferienhaus entwickelt. „Es war viel schwerer als ich Bett. Geheizt wird mit einem Holzofen, der auch Warmwasser bereitet. Sägemehl und
dachte, die Idee des Gartenhauses in eine funktionierende Architektur zu verwandeln“, Schafwolle sorgen für die nötige Wärme- und Schalldämmung. Die Abwasserentsorgung
so das Resümee des Architekten. Großes Augenmerk legte er darauf, dass ANNA komplett erfolgt über eine Klärgrube. Was Schols im Laufe des Prozesses gelernt hat? „Ausdauer!“

AIT 6.2023 • 135