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Daniela Keck                                                  Hubert Lanzinger


             1971 geboren in Leutkirch 1990-95 Architekturstudium HS Biberach 1996-  1880 geboren in Innsbruck  1901-08 Studium der Malerei, Akademie der
             97 Diaz-Recasens, Sevilla 1997-99 WMA HS Biberach 1999-2003 Architek-  Bildenden Künste, Wien 1911 Teilnahme Ausstellung der Wiener Secession
             turstudium in Stuttgart seit 2002 Freie Architektin 2007-2020 Lehraufträge  1916 Heirat mit Pia Settari ab 1923 Leben in Briol 1950 gestorben in Bozen



































             Fotos: Luca Meneghel




             Gästezimmer: romantisch und zweckmäßig • Romantic guest rooms  Lanzinger gestaltete Möbel und Geschirr. • Furniture designed by Lanzinger  Wirtin in vierter Generation: Johanna Fink • Innkeeper: Johanna Fink


             von • by Daniela Keck
             E   s bleibt selten bei einem nur einmaligen Besuch, das mittig in Südtirol gelegene  Sicher ist, dass hier Landschaftsraum, Mensch und Architektur symbiotisch miteinander
                 Briol bleibt zeitenthoben in tiefer und magischer Erinnerung. Landschaft und Haus
                                                                           verbunden sind – ein stetig gewachsenes Gesamtkunstwerk mit tiefen Wurzeln im Berg
              umarmen sich und lassen auch ihre Gäste nicht mehr los. Bis in die baulichen Anfänge  und sensiblen Fühlern Richtung Himmel. Die Baugeschichte Briols ist zugleich die Fa-
              von 1898 sind die Gästebücher Briols alle erhalten. Viele bekannte Namen finden sich  miliengeschichte der beiden Familien Ringler und Settari und mit diesen eng verfloch-
              in den Büchern der letzten Jahrzehnte, darunter etwa Architekten wie Günter Behnisch  ten. Die Geschichte nahm ihren Lauf mit Johanna Ringler und Heinrich Settari. Johanna
             und Peter Zumthor, der Filmregisseur Hans Jürgen Syberberg, die Schauspielerinnen  Ringler, 1851 hineingeboren in ein geschichtsträchtiges Haus an der Brennerstraße, dem
             Edith Clever und Désirée Nosbusch, Friedrich von Weizsäcker und viele andere nam-  Kreuzwirtshaus in Kohlmann. Zum Kreuzwirt gehörte auch – und das schon seit dem 17.
             hafte Persönlichkeiten. Ein wahrer „Zauberberg“ – Thomas Mann hätte seine Freude ge-  Jahrhundert – die Taverne mit dem Badhaus im unweit von Briol gelegenen Dreikirchen.
             habt – hier oben in Briol auf 1300 Meter oberhalb des Eisacktales gelegen und nur über
             einen abschüssigen Wald- und Schotterweg von Barbian aus erreichbar. Das mag mit-  Johanna Settari: Für jedes der 15 Kinder ein Grundstück
             unter das Glück dieses Ortes sein, man darf sich ihn Schritt für Schritt erwandern, für
             Gepäck und müde Beine steht bei Bedarf aber auch ein Geländetaxi auf Abruf bereit.  1871 heiratet Johanna den um 16 Jahre älteren erfolgreichen Bozener Kaufmann Hein-
             Zeitdimensionen verlieren hier ihre Dringlichkeit, Raum weitet sich, und der Mensch  rich Settari und nahm ihm das Versprechen ab, ihr für jedes geborene Kind, am Ende
             findet womöglich zu sich selbst. Man erzählt sich von vielen Freundschaften, die dort  waren es 15, ein Stück Land auf ihrem heimatlichen „Sehnsuchtsberg“ rund um
             oben am Berg ihren Ursprung haben sollen, auch die zwischenmenschlichen „Schwel-  Briol/Bad Dreikirchen zu schenken. Vier der 15 Kinder starben schon früh, von vier Söh-
             len“ scheinen sich hier locker und leicht aufzulösen. Die Abgeschiedenheit stiftet Nähe.  nen überlebten nur zwei das Kleinkindalter, und auch diese starben schon relativ früh
                                                                           mit 32 und 46 Jahren. Mit dem überraschenden, plötzlichen Tod ihres Mannes im Jahr
             Baugeschichte ist zugleich Familiengeschichte                 1896 – Johanna Settari war gerade einmal 45 Jahre, die jüngste Tochter gerade einmal
                                                                           zwei – begann die bestaunenswert leidenschaftliche und bis heute weiblich geführte
             Das pulsierende und verbindende Herz Briols ist seit 35 Jahren in vierter Generation die  Baugeschichte Briols. Johanna Settari war eine praktische, zupackende Frau. Ein Ge-
             Wirtin Johanna Fink, mit nur 21 Jahren übernimmt sie die Verantwortung für Briol. Es  bäude nach dem anderen entstand, teils völlig neu, teils auf den Grundmauern alter
             ist dieser unabhängige und zugleich zeitlose Geist, der die Räume in gestalterischer wie  Höfe und Ställe. Mitten im Krieg, im Dezember 1916, heiratet Hubert Lanzinger, der in
             menschlicher Hinsicht seit Generationen durchweht, immer „maßvoll“, nie zu viel, nie  Wien an der Akademie der Bildenden Künste ausgebildete Maler, die jüngste und um
             zu wenig. Ob es das – vom Maler Hubert Lanzinger im Gestaltungsparadigma der „Re-  14 Jahre jüngere Tochter Pia. Mit dem von seiner Schwiegermutter anvertrauten Umbau
             duktion auf das Wesentliche“ umgestaltete und 1928 eröffnete – „Mutterhaus“ selbst ist,  der „Dependance“ aus dem Jahre 1898 hinterlässt er vermutlich 1928 seine eindrück-
             das diese Atmosphäre entstehen lässt, ob es der überwältigende Blick auf Sella,  lichsten und zeitlosesten Gestaltungsspuren. Unbelastet und intuitiv verwandelte der
             Schlern, Peitlerkofel, Langkofel … ist oder ob es die Menschen sind, ist schwer zu sagen.  Maler Lanzinger das ursprüngliche Berghaus mit Satteldach in etwas ganz Eigenes –

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