Page 157 - AIT0416_E-Paper
P. 157

BDIA im
                                                                                                                       Gespräch mit:

                                                                                                                       Jeanette Seltmann,
                                                                                                                       BDIA Sachsen/Sachsen-
                                                                                                                       Anhalt







                Wendisch wird zum Vorsitzenden BDIA-DDR gewählt und  Gedanken nicht beim BDIA, sondern in der großen weiten  Sie  haben  1988  das  Diplom  an  der  Bauhaus-
                beantragt am 11. Mai 1990 die Mitgliedschaft.  Welt: Paris, London, Rom, Barcelona, New  York! Doch  Universität Weimar gemacht. Ihr erster Job?
                Im  Jahr  1990  wurden  in  der  DDR  die  einzelnen  bald suchte ich den Kontakt zum BDIA und der Anlass war  Direkt nach dem Studium habe ich beim VEB Innen-
                Landesverbände gegründet. Vom BDIA West gab es eine  sehr pragmatisch und mir damals sogar etwas unange-  projekt Halle, Außenstelle Karl-Marx-Stadt gearbei-
                breite Unterstützung, es  wurden Länderpartnerschaften  nehm: Ich wollte zur imm nach Köln fahren, konnte mir  tet. Ich war dort bis 1990 als Innenarchitektin tätig.
                ins Leben gerufen und es gab fruchtbare Kontakte unter  aber die sündhaft teure Eintrittskarte nicht leisten. Von  Die wichtigste Erkenntnis aus Ihrer Ausbildung?
                den Hochschulen. Die Bundesgeschäftsstelle und das  meinem volkseigenen Telefon rief ich beim BDIA in Bonn  Mein Studium an der Bauhaus-Universität Weimar
                Präsidium  waren gefragte Gesprächspartner. 1990 kam  an, perplex und hocherfreut, als sich freudig Frau Priesnitz  war eine sehr schöne, interessante Zeit, die mein
                dann die offizielle Wiedervereinigung und es gab nur noch  meldete. Schnell lag eine Messekarte für mich bereit, so  Leben in jeder Hinsicht geprägt hat. Dazu gehört
                einen BDIA Bund mit seinen starken Landesverbänden.  einfach war das alles geworden.  neben der großen  Lust  an Kreativität auch die
                Im April 1991 fand in Heiligendamm der Fachbereichstag  Danach hat mich der BDIA nicht mehr losgelassen (ich bin  Erkenntnis, dass gute Architektur mehr als 8 Stun-
                mit den Vertretern der Hochschulen statt. Wir konnten uns  ein treuer Mensch). Eine turbulente Zeit begann. So vieles  den Arbeit am  Tag erfordert. Nach 25 Jahren
                von der Qualität und inhaltlichen Breite der Ausbildung  prasselte auf mich ein. Kollegen auf Joint Venture-Tour, die  Berufserfahrung kann ich sagen, dass ich sehr froh
                vor Ort überzeugen. Der BDIA unterstützte intensiv die  Mahnung von Westen  Richtung  Osten,  Regularien zu  bin, mein Studium als Diplom-Architektin abge-
                Bemühungen  zum Erhalt dieser Ausbildungsstätte. Es  schaffen, die  Würze der Freiheit und die schleichende  schlossen  zu haben. Architektur und Innenarchi-
                muss hier mein Vorgänger im Amt, Prof. Klaus-Peter Görge,  Gewissheit, künftig für alles selbst verantwortlich zu sein,  tektur kann man nicht trennen.
                erwähnt  werden, der 1991 als Professor nach Heiligen-  alles selbst in der Hand zu haben. Aufregende Zeiten für  Wie  haben  Sie  den  9.  November  1989  und  die
                damm ging und wesentlich zum Erhalt der Ausbildung  eine Frau der Tat! Wenn schon Regularien, dann nur durch  Tage danach erlebt?
                Innenarchitektur an dieser Hochschule beigetragen hat.  Mitgestaltung. Natürlich war ich Gründungsmitglied des  Die Nachricht  vom Mauerfall habe ich durch die
                Im November 1991 gab es dann im geschichtsträchtigen  BDIA Ost 1990 in Berlin und der Architektenkammer Thü-  Tagesschau erhalten. Richtig realisiert hat man es
                Bauhaus in Dessau die erste gesamtdeutsche Bundesmit-  ringen. Für die Gründung des Landesverbandes Thüringen  erst in den darauffolgenden  Tagen. Ein  weiteres
                gliederversammlung. Für mich eine der beeindruckend-  kam Rüstzeug aus Bonn und Hessen. Die Landesvor-  wundervolles Ereignis: am 13. November 1989
                sten Versammlungen, die ich beim BDIA erlebt habe. Vor  sitzende Erika Schubert kam nach Weimar angereist zur  wurde mein Sohn geboren.
                25 Jahren!                               Unterstützung. Charismatische Persönlichkeiten wie Lisa  Wann hatten Sie die ersten Kontakte zum BDIA?
                                                         Winkler oder Prof. Carl Holste ließen keinen Zweifel, wie  Ich besitze noch die Vorläufige Mitgliedskarte – Nr.
                                                         wichtig wir Innenarchitekt/innen aus dem Osten für den  104 vom 10.09.1990, also müssen 1990 die ersten
                Aufregende Zeiten für eine Frau der Tat  BDIA sind. Nein, es waren nicht die materiellen Vorteile  Kontakte geknüpft worden sein.
                Jutta Kehr, Landesvorsitzende Thüringen 1992 und   wie kostenlose Zeitungen, Handbuch oder Messekarten,  Wer hat Sie als Vorbild inspiriert?
                2000 - 2003, BDIA Vizepräsidentin 2003 - 2011.  die den BDIA wichtig für mich machten. Es waren das  Die  großen  Bauhausmeister  Walter  Gropius,  Le
                                                         Miteinander  und  die  Kraft  des  Verbandes,  wichtige  Corbusier  und natürlich Mies van der Rohe, die wich-
                1989 – Innenarchitektin  in der DDR: Ich arbeitete als  Weichen für den Berufsstand zu stellen. Seit 2011 ist im  tigsten Vertreter der Moderne und Großmeister der
                Innenarchitektin in einem  VEB Kombinat, dessen Tätig-  Präsidium der Osten leider nicht mehr vertreten (und kei-  Proportionen, die mit ihrer zeitlosen, unaufgeregten
                keitsfeld Handel und Einrichtung mit Geräten für Groß-  ner  hat  protestiert). Ist  also  zusammengewachsen,  was  Formensprache die Gebäude auch zur Natur öffneten.
                küchen und Läden war. Auf dem „Nebengleis“ wurden  zusammengehört?                  Welche Aufgabe hat Sie zuletzt begeistert?
                von Innenarchitekt/innen Gasträume, Hotels und Läden                                Jedes Bauobjekt begeistert. Erst ist die neue
                gestaltet. Ich hatte die höchste Designauszeichnung der                             Bauaufgabe fremd, aber je tiefer man in die
                DDR bekommen und fiel dann tief „zur Bewährung in der                               Aufgabe eindringt und Lösungen sucht, desto mehr
                Produktion“, weil ich mich der Partei verweigerte.                                  baut man Beziehungen auf, begeistert sich und
                Die Zentralisierung nach Berlin der 1980er förderte in der                          kann am Ende manchmal nicht mehr loslassen.
                DDR die Akzeptanz der Innenarchitektur. In Berlin wollte                            Welchen Ort haben Sie im letzten Jahr für sich
                man Metropole sein, sich mit der großen Welt vergleichen.                           entdeckt?
                Wir  Innenarchitekt/innen  erlebten  eine  kreative  Zeit.                          Kopenhagen! Eine grüne, entspannte Stadt mit pul-
                Manches war möglich, der Mangel nicht immer spürbar,                                sierendem Leben, hervorragender neuer Architek-
                die Ergebnisse durchaus interessant. Kurioserweise durfte                           tur, unaufgeregtem jungem Design und super-
                ich westliche Fachzeitschriften lesen, um den internatio-  Am 29. April 2016 ab 18 Uhr lädt der BDIA herzlich nach  freundlichen Menschen.
                nalen Designstand zu kennen. Hin und wieder fand ich  Berlin ein: 25 Jahre gemeinsames Engagement für die  Warum engagieren Sie sich als Mitglied im BDIA?
                eine interessante Notiz über den BDIA. In der DDR waren  Innenarchitektur: Neuaufstellung des BDIA Ost & West.  Die Vertretung unserer Interessen ist wichtig, eben-
                mit bester gegenseitiger Akzeptanz alle Fachrichtungen im  Mit der Wiedervereinigung Deutschlands bot sich auch  so die Unterstützung bei konkreten Problemen. Und
                BdA, dem Bund deutscher Architekten DDR,  vereint.  den Innenarchitektinnen und Innenarchitekten der ehe-  der Erfahrungsaustausch mit Kollegen ist unver-
                1989 – die friedliche Revolution: Sie überraschte mich im  maligen BRD und DDR die Chance, gemeinsame Werte  zichtbar.
                Schlaf.  Nach  einer eiskalten Donnerstagsdemo endete  und Ziele zu definieren, sich ab 1991 in einem Verband zu
                mein Tag bei heißem Tee ohne Nachrichten. Als ich mor-  organisieren und die Interessen des Berufsstandes zu ver-  Jeanette Seltmann ist Innenarchitektin und seit 1991 Mitglied im BDIA.
                gens  von der Grenzöffnung erfuhr,  waren meine  treten. www.bdia.de



                                                                                                                               AIT 4.2016  •  157
   152   153   154   155   156   157   158   159   160   161   162