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REDINGS  ESSAY



                                                SUSU MÖHRE







                                                                Ein Essay von Dominik Reding






               D   as sieht doch super aus!“, sagte er. Ja, sah es, ganz bestimmt, schon, so irgendwie.  treppe führt hinauf. Sie wohnt im zweiten Stock. Ich habe mich kundig gemacht, mir die
                                                                             aktuellen Einrichtungstrends auf eine Liste geschrieben: Retrolook, Hygge, Mid-Century-
                   Die Stapel-Möbel waren neu und bunt, die Oberflächen glatt, die Rahmen aus hel -
               lem, poliertem Holz. Sie erinnerten an Kisten. Wir hockten auf dem Teppich, in einer Art  Style, Greenery, Industrial Chic, Upcycling. Der Flur ist lang und dunkel, die Decken hoch,
               Schacht, die Stapel-Möbel, die man als Schrank und Tisch, vielleicht auch als Prellbock  die Wohnung riesig. „Aber ich bewohne nur ein Zimmer.“ „Wie groß?“ Sie schaut sich
               oder Bunkerwand nutzen konnte, um uns herum. Stolz nannte er den Firmennamen, ich  überrascht um und schreitet, einmal längs, einmal quer, hindurch. „20 Quadratmeter.“
               verstand so was wie „Flottolotto“ und die Runde nickte anerkennend. Junge Menschen,  „Ist das nicht zu klein?“ Sie schaut sich wieder überrascht um. „Nein, größer brauche ich
               die sind es! Das weiß jeder Trendforscher, jeder Markt analyst, jeder Futurologe. Sie sind  nicht.“ Hell ist das Zimmer, mit Hoch bett und Podest und grünem Teppich. Ich halte die
               die Eroberer, Entdecker, Innovatoren, ohne sie läuft in der Kunst, der Mode, der Musik und  Augen auf, suche nach Hygge und Mid-Century und Retrolook. Und entdecke, immerhin,
               dem Designs nichts. Will man etwas über die aktuellsten Design-Trends erfahren, dann  ganz hinten über dem Bett einen silbrig angemalten Gipshirschen. „Der ist von Opa, den
               muss man nach Mailand auf die Möbel messe oder man schaut in die Wohnungen junger  hab’ ich upgecycelt.“ Susu lächelt, freut sich über den benutzten Trend-Begriff. Was ihr bei
               Menschen. „Eigentlich ist nur unsterb lich, wer Tassen entwirft. Die bleiben immer übrig,  der Einrichtung wichtig sei, frage ich. „Lichterketten, eine kommt unters Hochbett.“ Ich
               bei jeder Haushaltsauflösung, die Tas sen und Teller.“ Also hatte er zu den kantigen, kubi -  betrachte den grünen Teppich, tue wissend: „Ah, Greenery!“ „Greene ... was?“ Sie über-
               schen Schränken ein Geschirr gekauft, das ungefähr so eckig, bunt und unpraktisch war  legt. „Flauschig sollte der sein, damit man sich gerne draufsetzt.“ Ich frage, was ihr in ihrer
               wie seine Baukasten-Möbel. Es hieß „FlashOne“ und kostete viel, aber wenn man es be -  Wohnung besonders wichtig wäre und sie antwortet: „Wir haben alles überstri chen.“ Susu
               saß, konnte man sicher sein, absolut up to date zu sein. So feierten wir bei meinem  kramt zwei Tassen hervor, eine Sam meltasse mit Goldrand („Stand hier schon rum!“) und
               Mitstudenten vor vielen Jahren die Einweihung                                           eine  Tasse aus dem „FlashOne“-Geschirr mit
               seiner ersten eigenen Wohnung. Er hatte unbe-                                           angebrochenem Henkel („Hab’ ich auf der Straße
               nutzbare Möbel, unbenutzbare Tassen, sie lagen                                          gefunden!“), und schenkt  Tee ein. „Was über-
               im Trend, er war glücklich.                                                             strichen?“  „Unsere Wand malereien, damit die
               Berlin, im Frühjahr 2019. Neue Mieter im Haus.                                          Im mobilienfritzen sie nicht noch in ihren Büros
               Das junge Paar stand im Flur, umgeben von sei -                                         lassen, so als Berlin-Souvenir.“ Sie spricht nicht
               nem Hausrat und zwei möbelpackenden Freun -                                             mehr  von der  Wohnung, sie spricht  vom ge -
               den. Einer der beiden rief: „Wow, das flasht                                            schlossenen Ju gendzentrum, von  gebrochenen
               total.“ Ich schaute mich um. Was mochte er ge -                                         Po  litiker-Versprechen, von den Kids, die am letz -
               meint haben? Doch nicht dieses ... „Cool, voll                                          ten Tag geweint haben. Mein Blick wandert, vom
               Shabby Chic!“, sagte der andere. Shabby Chic?                                           silbernen Hirsch über den grünen Teppich zu den
               Im Hausflur stand ein Sofa. Eins, das wir Archi -                                       angemackten Tassen. Ich höre zu, die Ge danken
               tekturstudenten damals nicht mal  vom Sperr -                                           wandern mit: Was hätte das Jugend zentrum mit
               müll gemopst hätten. Mit Barock schnörkeln aus                                          dem aktuellen Heft-Thema „Woh nen“, was hätte
               Plastik und Gold aus der Sprüh lack-Dose und                                            es mit Architektur, was mit Design zu tun? Die
               einem Bezug, gemustert wie die Tapete in einem                                          Einrichtung war ein einziges Kuddelmuddel, kein
               Kneipenhinterzimmer. Beherzt packten sie  zu                                            Architekt, kein Formge stalter hatte da je ein Bier -
               und schleppten die Versandhaus-Couch in den                                             glas berührt, geschwei ge denn entworfen. Nur
               vierten Stock. Und dann einen „altdeutschen“                                            die Wände,  die waren wie  Kunstwerke,  grell,
               Fernsehsessel, den selbst ein ober bayerischer                                          bunt, chaotisch. Was gehört in eine Architektur -
               Bauer als „grausig“ verschmäht hätte. „Der ist  Foto: Benjamin Reding                   zeitschrift? Hinweise auf Mietwucher und
               der Geilste, total retro!“, rief der Helfer, und das                                    Spekulation? Kritik an der Gier der Immobilien -
               junge Paar lächelte beglückt. Und für mich                                              branche? Verzweiflung über das Zerreißen unse -
               wurde es zur Gewissheit: Ich bin raus, ich bin alt, ich bin out. Von den Design-Sehnsüchten  rer Gesell schaft? Dass etwas nicht stimmt, wenn immer die gleichen Menschen an den
               junger Menschen weiß ich nichts. Soll sich das ändern? Es muss! Susu Möhre ist Influen -  Pfandauto maten stehen: Alte, Behinderte, Migranten? Oder  würde das Format damit
               cerin. Nicht dass ihr das  wichtig  wäre, aber sie ist es, denn sie  war im Fernsehen!  überdehnt, die Kolumne missbraucht, der Leser gelangweilt, verärgert, unterschätzt? Wäre
               Hunderttausende haben es gesehen. Sie musste einen Schlüssel übergeben. An einen  es 1932 richtig gewesen, im Vorläufer der AIT vor dem kommenden Diktator zu warnen,
               Stadtrat. Der ein Jugendzentrum geschlossen hat, in dem sie gearbeitet hat, ehrenamtlich.  oder 1968 Rudi Dutschke zu loben oder 1977 auf die Gefahren der Atomenergie hin -
               Das Haus wird verkauft. An eine Londoner Immobilienfirma. Mit viel Gewinn. Susu Möhre  zuweisen? Oder ist es nicht genau umgekehrt, ist nicht die Kunst immer die Antwort auf
               heißt nicht Susu Möhre, aber in dem Jugendzentrum, in dem sie gearbeitet hat, haben sie  Realitäten, der Versuch ihrer Verbesserung, ihrer Überwindung? Ist der silbern gestrichene
               alle selbst gewählte Namen: Leoparden-Wiesel, Welteroberungstiger, Das Tier aus Trier.  Hirsch nicht ebenso Aus druck von Protest wie Demos gegen die Schließung eines Jugend -
               Susu, das kommt wohl von Su sanne. Und Möhre? Einen irgendwie „gemüsigen“ Nach -  zentrums? Ist ein gut entworfener Stuhl nicht mindestens so nachhaltig wie die Rettung
               namen hat sie keinen und rote Haare auch nicht, aber vielleicht waren die mal gefärbt.  des Hambacher Forsts? Oder ist das zu platt, zu einfach, zu primitiv, zu ... „Knack! Klirr!
               Susu ist 22 Jahre alt, arbeitet an der Ausstellungsgestaltung im Humboldt-Forum und hat  Platsch!“ Der Tee rinnt über den Tisch, zerläuft in Bahnen, tropft auf den Teppich. „Shabby
               vor zwei Monaten ihre erste eigene Wohnung bezogen. Ihre erste! eigene! Wohnung! Ich  Chic“, sagt Susu, betrachtet den abgebrochenen Henkel und schiebt die Scherben der
               bitte um einen Besuch, nein, ich flehe. Sie sagt zu. Die Wohnung befindet sich in einem  „FlashOne“-Tasse  zusammen. „Kommst du mit auf die Demo für die Rettung des
               Altbau in der Wilhelmstraße, schräg gegenüber der SPD-Parteizentrale. Eine breite Eichen -  Jugendzentrums? Geht gleich los.“ Ich überlege. „Ja“, sage ich.


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