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men und begrub weite Teile des Gebäudes unter sich. So rächte sich schließlich die
                Eile, mit der Beckford den Bau betrieben hatte und mit der er seinen Architekten im -
                mer wieder zu immer noch gewagteren Konstruktionen drängte. Als Beckford von dem
                Einsturz hörte, bedauerte er – ganz englischer Exzentriker, der er war! – weniger die
                Vernichtung seines Lebenswerkes als vielmehr den Umstand, dieses letzte und viel -
                leicht größte Spektakel von Fonthill Abbey verpasst zu haben.

                Schluss: Ein neuer Turm

                Beckford hatte gut lachen, war er durch die Versteigerung seines Besitzes doch auf
                einen Schlag wieder ein reicher Mann geworden. Nach dem Verlust seiner einsamen
                Waldabtei hatte es ihn in das 30 Meilen nördlich von Fonthill Gifford gelegene Bath
                verschlagen, das schon damals aufgrund seiner heißen Quellen als bevorzugter
                Altersruhesitz der britischen Oberschicht galt. Zusammen mit seinem Hauszwerg und
                seinem Faktotum Gregorio Franchi bewohnte Beckford hier mehrere miteinander ver-
                bundene  Häuser  am  Lansdown  Crescent,  einem  jener  markanten,  halbkreisförmig
                angelegten Stadtplätze, die seit dem 18. Jahrhundert typisch für das Stadtbild von Bath
                waren. Obendrein gehörten Beckford ausgedehnte Ländereien im Norden der Stadt,                                            Abbildung aus: Delineations of Fonthill and its Abbey by John Rutter, 1823
                die abermals seinen Gestaltungsdrang beflügelten. Wie in Fonthill schuf sich Beckford
                auch in Bath sein eigenes Gartenreich – mit terrassierten Abteilungen voller exotischer
                Gewächse und romantischer Gartenarchitekturen wie Brücken, künstli chen Grotten
                und Wasserbecken. Und wieder umgab er seinen Besitz mit einer hohen Mauer und
                wieder krönte er seine Arbeiten mit einem Turm. Nur war der Maßstab ein anderer
                geworden: Alles war nur noch halb so hoch und nur noch halb so groß wie in Fonthill
                Gifford. Der neue Turm etwa – Beckford beauftragte mit dem Bau den jungen, wenig  Der prächtigste Raum, die Galerie im Südflügel, war dem heiligen Michael, Beckfords Schutzpatron, gewidmet.
                bekannten Architekten Henry Goodridge – maß keine 90 Meter mehr, sondern war mit
                47 Metern Höhe deutlich bescheidener. Dafür war die Konstruktion wesentlich stabiler!
                Und so zeugt der sogenannte Beckford Tower noch heute von den Leidenschaften und  Das Oktagon im Zentrum der Anlage reichte fast 24 Meter beziehungsweise sechs Geschosse in die Höhe.
                Obsessionen seines Erbauers. Vor allem das vergoldete Belvedere an der Turmspitze,
                ein achteckiger Tempel, dem antiken Lysikrates-Denk mal in Athen nachempfunden,
                strahlt weithin sichtbar in die umgebende Landschaft. Der Turm und das bescheidene,
                italienisierende Landhäuschen zu seinen Füßen dienen seit den 1990er-Jahren als
                Museum. Drumherum liegt ein kleiner, zugewachsener Friedhof. Er wurde nach Beck -
                fords Tod angelegt und er selbst später hierher umgebettet. Sein mächtiger, aus rotem
                Granit gefertigter Sarkophag steht auf einer kleinen Anhöhe inmitten des Gräberfeldes.
                Der erhabene Schauer, der noch heute von seinem Grab ausgeht, hätte dem Horror-
                und Märchenautor sicher gut gefallen.

                 T  he flat, barely waist-high wall, which has accompanied us for several miles,
                    suddenly ends, and a long, dead straight avenue branches off from the narrow
                forest road called Great Western Avenue. For one mile it leads into the forest. It is the
                last part of our journey, which began two hours ago in London and took us almost
                100-miles through the gently undulating landscape in the South of England. We are
                in the County of Wiltshire in the southwest of the island. Stonehenge is half an hour's
                drive away, as is  the City of Salisbury  with its famous Gothic cathedral, for the
                builders of which Ken Follett erected a brilliant monument 30 years ago with his
                novel "The Pillars of the Earth". We, too, are on a literary search for traces, but have
                left Salisbury and Follett behind. Instead, our route led us to the village of Fonthill
                Gifford – a few houses, a church, about 100 inhabitants – where the writer William
                Beckford was born in 1760. He was the heir to a fortune almost immeasurable at the
                time, which his family had earned through the exploitation of huge sugar cane plan-
                tations in Britain's overseas colonies and in part probably also from slave trade.
                Comprehensively educated, Beckford achieved his breakthrough as a  writer at a
                young age. His main work is the novel "Vathek" he wrote at the age of 21 – according
                to legend finished in only three days, as if in a rush, half a horror fairy tale, half a
                Faustian tragedy, set in the Orient and its whole mood related to the magical tales of                                    Abbildung aus: Graphical and literary illustrations of Fonthill Abbey by John Britton, 1823
                "The Arabian Nights", which were in vogue all over Europe at the time. Lord Byron,
                Edgar Allen Poe, and Jorge Luis Borges were later inspired by Beckford's narrative.
                Today, literary studies speak of an early work of Black Romanticism, a classic gothic
                novel, the precursor of modern horror literature. But let's return to the Great Western
                Avenue, the last part of our journey, which now, after one mile through the middle
                of the forest, abruptly ends in a wide clearing. Beckford's legendary palace must have
                stood here, his cathedral, his personal Tower of Babel.


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