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WOHNEN • LIVING THEORIE • THEORY
Abbildungen aus: Delineations of Fonthill and its Abbey by John Rutter, 1823 ... einen Kreuzgrundriss mit vier gleich langen Armen und einem 90 Meter hohen Turm im Zentrum.
die Figur des Jean des Esseintes aus Joris-Karl Huysmans Roman „Gegen den Strich“.
Ein anderer Verwandter im Geiste wie im Schicksal war der legendäre Bayernkönig
Ludwig II. Auch er geriet – mehr an den Stallburschen als an den Damen seines
Hofes interessiert – im Laufe seiner Regent schaft immer stärker in Konflikt mit den
moralischen Vorstellungen seiner Zeit und seiner Gesellschaft. Und auch er flüchtete
sich davor in sein eigenes, einsames Exil: Schloss Neuschwanstein, das er auf einem
Beckfords Abtei, im Grunde zwar einem asketischen, mittelalterlichen Modell – dem
der Burg – folgte, letzt lich aber genauso wie Fonthill Abbey als hoch artifizielle, vol-
lkommen übersteigerte Traumwelt Realität gewann. Und wie schon Beckford ein
James Wyatt, der Star-Architekt seiner Zeit, war für den Bau von Fonthill Abbey verantwortlich. Er entwarf ... unwegsamen Felsen im bayrischen Vor alpenland errichten ließ und das, wie schon
halbes Jahrhundert vor ihm übernahm sich auch König Ludwig II. mit den Bau- und
Unterhaltskosten seines Märchen schlosses. Die horrenden Summen, die er in
te sich aufgrund seiner Herkunft, seiner ausgezeichneten Bil dung und letztlich seines Neuschwanstein steckte, kosteten den Monarchen am Ende sein Amt. Auch
immensen Vermögens durchaus berechtigte Hoffnungen auf eine glänzende Beckford war mit der Finanzierung seines gigantomanen eskapisti schen
gesellschaftliche, politische und literarische Karriere machen und war einer ent - Unterfangens gescheitert, im Untergang bewies er allerdings weitaus mehr Ge schick
sprechenden Entwicklung auch nicht abgeneigt. Im Jahr 1784 wurde ihm je doch eine und Witz als die schwüle Figur des Bayernkönigs.
homoerotische Beziehung mit dem um acht Jahre jüngeren William Cour tenay zum
Verhängnis. Als diese durch Zufall entdeckt wird, beginnt eine beispiellose Hetz - Das letzte Spektakel von Fonthill Abbey
kampagne. Die Presse berichtet, Freunde nehmen Abstand und Beckford wird von der
Gesellschaft verstoßen. Er verlässt England und lässt sich für die nächsten zehn Jahre Napoleons Kontinentalsperre, die zwischen 1806 und 1811 britische Erzeugnisse vom
am Genfer See in der Schweiz nieder. Als er Mitte der 1790er-Jahre auf die Insel zurück- europäischen Markt abschnitt, sowie das 1807 von Großbritannien erlassene Gesetz
kehrt, mag der Skandal vergessen sein, aber Beckford hat nicht verges sen, wie er be - zum Verbot des Sklavenhandels versetzten den Geschäften von Beckfords Familie nach
handelt wurde. Im Exil hat er einen Plan geschmiedet. Er wird sein Vaterhaus abreißen 1800 schwere Schläge. Dazu kam die Erfindung moderner Industrieverfahren zur
lassen und sich im Wald seine eigene, abgeschlossene Welt bauen. Niemand wird ihn Zucker gewinnung aus heimischen Rüben, was die jährliche Apanage aus dem Zucker -
hier stören. Eine Mauer wird ungebetene Besucher abhalten und sein Tun den miss- handel noch einmal dramatisch sinken ließ. Damit wurde es für Beckford immer
günstigen Blicken der Welt entziehen. Zuletzt wird ein Turm ihn über seine verhassten schwieriger, den kostspieligen Unterhalt von Fonthill Abbey zu finanzieren. 1822 ent -
Mitmenschen erheben: Der Bau von Fonthill Abbey beginnt! schied er sich deshalb für einen Verkauf des Anwesens. Zudem ließ er Teile seiner
Kunst sammlungen versteigern. Dass er sich und seinen Besitz jahrelang vor der Öffent -
Die artifizielle Traumwelt eines modernen Ästheten lichkeit verborgen hatte, konnte Beckford nun für einen letzten großen Coup nutzen.
Denn schon die Ankündigung der Versteigerung verbreitete sich wie ein Lauffeuer im
1812 sind die Arbeiten abgeschlossen. Mehr als 500 Handwerker waren oft gleichzeit- ganzen Land. Immer wieder hatte es Berichte über Beckfords ominöse Bautätigkeit
ig mit dem Bau beschäftigt. Und auch nach der Fertigstellung braucht es Unmengen und sein geheimes Leben im Wald von Fonthill Gifford gegeben. Nun wollten alle –
von Angestellten, um das Gebäude und die umgebenden Gärten zu unterhalten. Feinde wie Freunde – sehen, wie der „Foul of Fonthill“ lebte. Beckford hatte mit
Zudem hält sich Beckford einen kleinen Hofstaat, der vornehmlich aus jungen, diesem Interesse gerechnet und ließ vorab einen Katalog seiner zu versteigernden
attraktiven Männern der Mittelschicht besteht. In Briefen nennt er sie andeu- Sammlungen produzieren. Mehr als 70.000 Exemplare wurden davon binnen weniger
tungsvoll seinen Bijou, seinen Ambrose, seinen Poupée oder – ganz unmissver- Wochen verkauft. Zudem öffnete er nun erstmals die Tore zu Fonthill Abbey und nahm
ständlich – seine Miss Butterfly. Es ist ein exzentrisches, dekadentes Eremitentum, von jedem Interessierten ein ordentliches Eintrittsgeld. Er selbst allerdings verließ
das Beckford in Fonthill lebt, prunkvoll eingerichtet, umgeben von zahllosen noch vor der Versteigerung seinen Besitz und überließ alles weitere dem Auktionshaus
Kunstwerken und exquisiten Samm lungen und begleitet von einer verwöhnten Christie's. Allein das Gebäude und seine Umgebung gingen für die spektakuläre Sum -
Entourage junger, hübscher Günst linge. Beckford lebt das Leben eines modernen me von 330.000 Pfund in den Besitz des Schießpulver-Fabrikanten John Farquhar über.
Ästheten und liefert damit noch 100 Jahre später eine Blaupause für die homophilen Eine große Fehlinvestition, wie sich schon bald herausstellen sollte: Denn nur drei
Charakterzeichnungen der Déca dence – etwa für Oscar Wildes „Dorian Gray“ oder Jahre nach dem Kauf stürzte am 21. Dezember 1825 der Turm der Abtei in sich zusam-
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