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Redings Essay



               KARIN UND KORN














               Ein Essay von Dominik Reding
               M    ir wurde schwarz vor Augen. Aber das stimmt nicht. Einem wird gar nicht  der Baustelle alle Karin nannten. Und Ali und Kümmeltürke und Kanake, aber sie
                                                                             sagten  es  nicht wirklich  böse  und  er  machte  sich  nichts  daraus  und  lächelte  dann
                    schwarz vor Augen. Man hat gar nichts mehr vor Augen, nicht mal mehr sich
               selbst. Man verliert sich, alles, für einen kurzen, absoluten Moment. Der Motor lief,  immer, wie eine Mutter, die über die ungestümen Streiche ihrer Kinder lächelt.
               als ich aus der Ohnmacht aufwachte. In meinem Auto, auf dem Weg zur Arbeit, Mon -  Eisenbieger, das ist kein Beruf für jedermann. Die Bewehrungen im Beton, sie müssen
               tag, sieben Uhr früh. Der Zündschlüssel steckte, aber der Gang war noch nicht ein ge -  vorher geschnitten, gebogen, verbunden werden. Mit Hammer, Zange und viel Kraft.
               legt, die Handbremse noch  angezogen. „Das geht ja gut los“, sagte ich. Seit drei  Karim machte es so behänd und leicht, als knüpfe er ein Makramee. In den Arbeits -
               Wochen schuftete ich am Bau. Man sagt „am Bau schuften“, nicht „am Bau arbeiten“.  pausen  gingen  die  Maurer  in  den  Bauwagen  und  tranken  ihr  Bier,  Karim  blieb
               Weil es so ist: Schuften. Nach der ersten Arbeitswoche kam ich Freitagnachmittag  draußen unter der Sonne und breitete die Arme aus. Oder setzte sich ins Gras, neben
               zurück, legte mich aufs Bett und schlief ein. Und wachte nachmittags wieder auf. Am  mich und stellte Fragen, was das wäre, ein Architekturstudium, was man da lernen
               Sonntag. Drei Wochen standen mir noch bevor. Baupraktikum für das Architektur -  würde. Ich erklärte. Und er hörte zu. Und erzählte. Dass einmal ein Schriftsteller in
               studium. Ohne Praktikum kein Diplom. Da musste ich durch.     seine Schulklasse gekommen wäre und Geschichten vorgelesen hätte. Das wäre ein
               Die Baustelle: eine Reihenhaussiedlung. 200 Mal Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche,  Beruf, Schriftsteller. Er sagte es verwundert, erstaunt, nicht verächtlich, nicht amü -
               Bad plus Terrasse und Carport. Architektur? Nein, also, ja, es gab eine abgeschrägte  siert, wie die andern über alles redeten, was etwas mit Kopfarbeit zu tun hatte. Dann,
               Ecke neben der Eingangstür und eine Backsteinschürze unter dem Küchenfenster.  so als  wachte er aus einem fernen, aber guten  Traum auf, schaute er auf die
               Mein Aufgabe: Löcher durch Betondecken boh -                                            Armbanduhr, sagte: „Pause rum!“ und bog
               ren, Beton  von Schalungsbrettern schlagen,                                             wieder Eisen. Behänd und leicht, als sie es
               Kies nester in frisch gegossenem Beton weg sto -                                        nichts weiter.
               chern und Betonschutt wegräumen, wenn der                                               Am Montag nach der Ohnmacht kam ich  zu
               Architekt zur Besichtigung kam. Die Firma: ein                                          spät. In der Baubude  wartete niemand. Ein
               Acht-Mann-Betrieb, der mal pleite gegangen                                              LKW war vorgefahren, hatte Bauholz geliefert.
               war und seither ohne Maschinen, aber mit viel                                           Kant-  und  Rüsthölzer,  eine  halbe  Tonne.
               Muskelkraft  auskommen  musste.  Montags,  in                                           „Komm her!“ Korn sah mich, rief  vom Kran
               der Baubude, prahlten sie mit ihren Geldaus -                                           herunter. „Komm, pack an! Rüstholz  zuerst!“
               gaben in der Linienstraße. Und immer war der                                            Was ist ein Kant-, was ein Rüstholz? Ich wusste
               der Held, der dort am meisten ausgegeben hat -                                          es nicht. Ich griff in den Haufen und warf ein
               te. Die Linienstraße, das war die Rotlicht straße                                       Holzstück in den vergitterten Kran-Korb. Korn
               in unserer Stadt.  Zwei kamen nie in die                                                grinste. „Rüstholz!“ Die Bauarbeiter sahen mir
               Baubude. Karim, der Libanese, und Korn, der                                             zu. Gespannt. Ich nickte. Griff  wieder in den
               neue Kranführer.  Vielleicht hieß er mit Nach -                                         Haufen und warf das Holzstück in den Korb.
               namen so, Korn trank er jedenfalls nie, nicht                                           „Willst du mich verarschen? Rüstholz, hab ich
               mal Bier,  wie die Maurer, die ohne  ihre  vier,                                        gesagt! RÜSTHOLZ!“ „Lass ihn doch in Ruhe“.
               fünf Kannen keine gerade Wand mauern konn -                                             Karim stand plötzlich neben mir, legte ein
               ten. Er trug einen sauber gestutzten Oberlip pen -                                      Stück Rüstholz in den Stahlkorb und schaute
               bart und verachtete alle Architekten, Bauherren  Foto: Benjamin Reding                  mit einem Lächeln zu Korn hoch in den Kran.
               und überhaupt alle Studierten.                                                          „Halt dich da raus, Kanake!“ Korn sagte es
               „Brauchst du die?“ Irgendwann hatte Korn auch                                           anders als die andern. Knapp, scharf, hart.
               mich entdeckt. Demonstrativ hielt er mir ein Paar Arbeitshandschuhe vor das Gesicht.  Das Wort stand einen Moment frei in der Luft, wie der Metallkorb am Kranausleger,
               Sicher doch, das Studenten-Weichei würde mit Handschuhen arbeiten. Entschlossen  dann fiel das Wort herunter. Karim gab dem Gitterkorb einen Stoß. Einen Moment
               schüttelte ich den Kopf. Er lächelte, siegessicher, fast mitleidig. „Komm mit!“ Korn klet-  schwang er hin und her, dann stieß das Metall gegen den Kran. Peng! Der Kran
               terte in die Baugrube,  zeigte auf ein mit Kieselsteinen markiertes, garagengroßes  schwankte. Dann lächelte Karim  wieder, freundlich, entspannt,  wie immer. Kling,
               Rechteck. „Das gräbst du aus. So:“ Er stieß den Spaten in den schweren Lehmboden,  kling, kling. Ein neues Geräusch kam hinzu. Man konnte es hören, weil es auf dem
               stach einen Flatschen heraus und schleuderte die Erde aus der Baugrube. Dreimal hin-  Bauplatz jetzt still war. Sehr still. Korns schwere Schuhe auf der Kranleiter. Kling,
               tereinander. „Bis Mittag kriegst du das hin, ne?!“ Er schaute mich an. Ich nickte. Er ging.  kling, kling. Zügig kam das Geräusch näher. „Geh!“ Karims Kollegen starrten mich an,
               Aber die nasse, nach Wald und Pilzen riechende Erde widersetzte sich. Ich stieß den  auffordernd, fast feindselig. Warum sollte ich gehen? Ich blickte in ihre Gesichter.
               Spaten härter hinab, bald zornig, bald verzweifelt, nochmal und nochmal und – ratsch –  „Student, geh!“, sagten sie. Ich verstand. Ich ging. Durch den Matsch, an den frisch
               rammte mir die scharfe Spaten-Kante  zwischen Daumen und  Zeige finger. Das Blut  gegossenen Fundamenten vorbei, den Terrassen, den Küchen, Wohnzimmern, Car-
               pochte aus der Wunde. Unruhig schaute ich mich um: Hoffentlich hat es Korn nicht  Ports und Vorgärten. Der Arbeitstag danach war nicht viel anders als alle anderen.
               gesehen, hoffentlich hat es niemand gesehen. Das „Spaten-Glück“ des Architektur -  Vielleicht etwas ruhiger. Korn trug einen Kopfverband. Karim  fehlte. „Entlassen“,
               studenten. „Wasch es aus!“ Ein Riese stand am Rand der Baugrube und schaute zu mir  flüsterten die Kollegen. Noch drei  Wochen arbeitete ich auf der Baustelle. Dann
               herunter. Besorgt. „Kann sich entzünden.“ Das war Karim, der Eisen bieger, den sie auf  bekam ich meine Papiere. Ich konnte Architekt werden.



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