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FORUM NACHRICHTEN • NEWS
CPH 55° 37’ 5’’ N, 12° 39’ 21’’ O (Kopenhagen) Jasmin Jouhar
Kunsthistorikerin, seit
2008 Freie Autorin und
Redakteurin im Bereich
Innen-/Architektur, Design
und Brands
Für die Nase
Hier ist es zu spüren, das Potenzial von Ar- nungsanlage im Industriegebiet als Aus- Here you can feel the potential of architec-
chitektur: In ungefähr 80 Metern Höhe, am flugsziel für Familien, Sportler oder Touri- ture: at the northern tip of the island of
nördlichen Zipfel der Insel Amager bei Ko- sten. Keine stinkenden Müllberge, beißen- Amager near Copenhagen, on the architec-
penhagen. Der Blick schweift weit über die den Dämpfe oder giftigen Rauchschwa- tural hill rising 80 metres, families enjoy a
Ostsee, über Windräder hinweg bis nach den, stattdessen eine metallisch-coole Ar- picnic and the view across the Baltic Sea,
Schweden und zur Øresundbrücke. Auf chitektur, die mit Skipiste, Lift, Rodelbahn, joggers struggle to climb the last steps, and
der anderen Seite: das Zentrum von Ko- Treppen, Steigen und alpiner Bepflanzung every now and then a skier passes by. Un-
Fotos: Rasmus-Hjortshoj berg sitzen Familien an Picknicktischen, wie Berggefühle schenkt und nebenbei ovens are burning household waste at
den Flachland-Kopenhagenern so etwas
penhagen. Hier oben auf dem Gebäude-
derneath this cheerful scenery, two huge
around 1,000 degrees. Bjarke Ingels and
Jogger quälen sich keuchend die letzten
ihren Abfall beseitigt. Wer den Aufzug
Stufen hoch, ab und an fährt ein Skifahrer
vorbei. Kinder rutschen kreischend auf nimmt, bekommt immerhin eine Ahnung, his architectural firm BIG have achieved
was in dem künstlichen Berg passiert:
something remarkable with the design of
großen Gummireifen talwärts. Dass direkt Große Glasscheiben geben auf dem Weg the Amager Bakke waste-to-energy plant.
unter dieser heiteren Szenerie zwei riesige nach oben den Blick frei auf Hightech-An- The reinterpretation of a non-place with
Öfen bei rund 1.000 Grad unentwegt Haus- lagen. Ganz oben an der Fassade klebt ein the means of architecture—the waste inci-
haltsmüll verbrennen, muss man sich silbriger Schlot, aus dem weißlicher Rauch neration plant as a destination for families,
schon dazudenken. Bjarke Ingels und sei- quillt – allerdings nicht in großen Ringen, athletes or tourists; No reeking mountains
nem Architekturbüro BIG ist mit dem Ent- wie ursprünglich geplant. Doch auch ohne of waste or toxic clouds of smoke, instead
Fotos: Laurian-Ghinitoiu Bakke“ etwas Bemerkenswertes gelungen. plus Naherholungsgebiet ungemein lässig almost alpine feeling. When using the lift
wurf des Müllheizkraftwerks „Amager
a metallic-cool architecture that creates an
dieses Qualmspektakel ist das Kraftwerk
inside the artificial hill, large glass panes
und zeitgemäß – da darf man in Deutsch-
Die Umdeutung eines Unorts mit den Mit-
provide a view of high-tech facilities.
land schon ein bisschen neidisch werden.
teln der Architektur – die Abfallverbren-
STR 48° 41’ 24’’ X, 9° 13’ 19’’ O (Stuttgart) Daniela Keck
Architekturstudium, Mitar-
beit in Architekturbüros und
als wissenschaftliche Mitar-
beiterin an verschiedenen
Hochschulen, Freie Autorin
Für das Auge
Das Landesmuseum Württemberg geht Mode zwischen Glamour, Konsum und The Württemberg State Museum explores
mit seiner neuen Ausstellung „Fashion?! Notwendigkeit geführt. Ob es die abgelau- the fascinating phenomenon of fashion in
Was Mode zu Mode macht“ dem faszinie- fenen Birkenstocks von Steve Jobs sind its new exhibition "Fashion? The ele-
renden Phänomen „Mode“ nach. Mode ist oder das schlichte Dunkelblaue von Chri- ments of style". Fashion is always a
immer eine Momentaufnahme und codiert stian Dior – die Exponate behalten im von snapshot and coded by people, place,
durch Mensch, Ort, Zeit, Kultur und Gesell- Raimund Docmac fein szenografierten time, culture and society. It is not just
schaft. Wer bin ich? Wo komme ich her? Ausstellungsraum ihre Faszination. Dem shell and surface, but also a language im-
Wo gehe ich hin? Vor allem – zu wem ge- Besucher wird eine globale, widersprüch- bued with meaning. The designers from
höre ich? Mode ist nicht nur Hülle, son- liche Geschichte erzählt, vom Stuttgarter Studio Docmac spread out a dazzling ka-
dern auch eine mit Bedeutung durch- Label „Wiederbelebt“, das textile Aus- leidoscope of fashion history to the pre-
tränkte Sprache. Die Gestalter von Studio schussware aufkauft, um dann mit loka- sent. It is no longer just a question of cut,
Docmac breiten ein schillerndes Kaleido- lem Handwerk hochwertige Mode entste- fabric and colour, but a profoundly social
skop der Modegeschichte aus und landen hen zu lassen, oder vom wieder ganz „en and ecological question. The visitor is
darüber mit voller Kraft im Heute. Ist es voguen" Tanzstil des „Voguing“ - ein tänze- told a global, contradictory story between
doch längst nicht mehr nur eine Frage des risches Modemanifest stigmatisierter glamour, consumption and necessity, of
Schnittes, des Stoffes, der Farbe, sondern Randgruppen aus der homo- und transse- the Stuttgart label "Wiederbelebt", which
eine zutiefst soziale und ökologische Frage, xuellen Szene New Yorks in den 1970-ern. creates high-quality fashion with local
welches T-Shirt ich kaufe, wo es produ- Noch mit den Hüften wippend und mit al- craftsmanship from textile rejects, or of
ziert wurde, wie oft ich es wasche und was lerlei bunten „Mode-Icons“ beklebt, be- the "en vogue" dance style of voguing—a
Fotos: Daniela Keck ich damit mache, wenn es seinen Dienst gebe ich mich beschwingt als leicht identi- 1970s dance fashion manifesto of stigma-
fizierbare Besucherin der „Fashion?!-Aus-
getan hat. Der Besucher wird unterhaltsam
tised fringe groups from the homosexual
stellung“ in den Stuttgarter Stadtraum …
and transsexual scene in New York.
und gleichsam kritisch durch die Welt der
020 • AIT 1/2.2021