Page 31 - AIT0119_E-Paper
P. 31
Daten & Fakten
1819 Gründung 1853 Übertragung auf die Söhne: Gebrüder Thonet in Wien 1856 Erstes Werk in Osteuropa 1859 Beginn der Produktion des Stuhls Nr. 14 1889
Werk in Frankenberg 1925 Erstes Stahlrohrprodukt: Tischprogramm B9 von Marcel Breuer 1926 Erster Freischwinger: S 33 von Mart Stam 1945 Enteignung
der sechs osteuropäischen Werke 1976 Aufteilung in ein deutsches und ein österreichisches Unternehmen (Thonet, Frankenberg / Gebrüder Thonet, Wien) Firmengründer: Michael Thonet
chen Jahr entwarf der holländische Architekt Mart Stam für seine schwangere Frau den
ersten Kragstuhl und entwickelte ihn weiter. Diese bahnbrechende Erfindung sollte den
Möbelbau grundlegend verändern und wurde im Folgejahr im Rahmen der Bauausstel-
lung „Die Wohnung“ in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung gezeigt.
Der Freischwinger – eine bahnbrechende Erfindung
Deren Organisator Ludwig Mies van der Rohe griff Stams Idee auf und präsentierte zeit -
gleich eine ästhetisch weiterentwickelte Version mit einer halbkreisförmigen, schwung -
vollen Linie: Der erste Freischwinger, Thonet S 533, war geboren. 1932 nahm Thonet in
Frankenberg die Produktion von Stahlrohrmöbeln auf und perfektionierte die Produktion
laufend. Marcel Breuer entwarf weitere Freischwinger für Thonet, so auch den S 32: Mit
Sitz und Lehne aus Bugholz und bezogen mit Wiener Geflecht, ist diese charismatische
Verbindung von altbewährtem und neuem Material legendär: Bis heute gilt es als best -
verkauftes Stahlrohrmöbel. Die Kooperationen Thonets mit namhaften Architekten wie
Mart Stam, Ludwig Mies van der Rohe, Marcel Breuer, Le Corbusier oder Charlotte Pér-
riand erwiesen sich als überaus erfolgreich. Deren Stahlrohrmöbel-Entwürfe, darunter
auch die ersten Freischwinger S 33 und S 43 von Mart Stam und die Modelle S 64 und
S 35 von Marcel Breuer, gelten heute als Meilensteine in der Architektur- und
Designgeschichte. Breuers und Mies van der Rohes Entwürfe sind in Deutschland als
Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt. Thonet sicherte sich die
Rechte daran frühzeitig und bewahrt sie bis heute. Produziert werden die Möbel mit
großem Fachwissen und – nach alter Tradition – in Handarbeit. Blickt man 200 Jahre
zurück, experimentierte Thonet in seiner ersten Werkstatt in Boppard am Rhein mit
neuartigen Holzbiegetechniken. Erste Entwürfe aus gebogenem Schicht- oder Bugholz
entstanden um 1830. Fürst Metternich erkannte Thonets Begabung und holte ihn und
seine Familie 1842 nach Wien zur Ausstattung des Palais Liechtenstein und des Palais
Schwarzenberg und des Café Daum.
Stuhl Nr. 14 erlaubt erstmalig industrielle Fertigung
1849 machte sich Michael Thonet gemeinsam mit seinen vier Söhnen selbstständig.
„Stuhl Nr. 14“, der sogenannte „Wiener Kaffeehausstuhl“, machte ihn berühmt. Das
Biegen von Buchenholz erlaubte erstmalig die industrielle Fertigung dieses Stuhles: In alle Prototyp des Stahlrohrfreischwingers S 33 von Mart Stam • Prototype of the S 33 tubular-steel cantilever chair
Einzelbestandteile zerlegbar und somit in arbeitsteiligen Prozessen herstellbar, platzs-
parend und einfach verpackt in alle Welt zu importieren, revolutionierte Thonet nicht
zuletzt den Preis des Möbels und machte Nr. 14 zu einem begehrten Massenprodukt. Gle-
Werbeblatt zu den Stahlrohrmöbeln von Marcel Breuer • Advertising flyer for the tubular-steel furniture
ichzeitig spiegelte es seinen Anspruch an die Produktion zeitgemäßer Sitzkultur: Materi-
alersparnis, Nachhaltigkeit, minimalistische Gestaltung und industrielle Herstellbarkeit.
Zahlreiche Bugholzmöbel folgten: Schaukelstuhl Nr. 1 aus dem Jahr 1860, die Modelle Nr.
18 und Nr. 56 um 1900, der elegante, von Le Corbusier bevorzugte 209 oder der Jugend-
stilsessel 247 von Otto Wagner, der sogenannte „Postsparkassenstuhl“. Zwei Millionen
verschiedene Artikel produzierte und verkaufte Thonet 1912 weltweit. Bereits 1857 bauten
Thonets Söhne nach Plänen des Vaters in Koritschan die erste von fünf weiteren osteu-
ropäischen Möbelfabriken. 1889 kam das letzte Werk in Frankenberg dazu, der heutige
Hauptsitz des Unternehmens. Nach Enteignung aller osteuropäischen Werke und der
kompletten Zerstörung des Frankenberger Werks durch einen Bombenangriff im Zweiten
Weltkrieg baute Georg Thonet, der Urenkel des Firmengründers das Werk in Frankenberg
bis 1953 wieder auf und suchte erneut die Zusammenarbeit mit innovativen Entwerfern.
Lang und hochkarätig ist die Liste derer, die in den letzten 60 Jahren für Thonet tätig
waren und sind, das werksinterne Designteam eingeschlossen, stets bestrebt, das Pro-
duktportfolio kontinuierlich zu erweitern. CEO Brian Boyd, Creative Director Norbert Ruf
und COO Michael Erdelt führen heute das Unternehmen in Frankenberg. Claus, Philipp
und Peter Thonet in fünfter sowie Felix Thonet in sechster Generation sind als
Gesellschafter und Vertriebsrepräsentanten aktiv in die Firmengeschichte eingebunden.
AIT 1/2.2019 • 031