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Entwurf • Design Sunder-Plassmann Architekten, Utting am Ammersee
Bauherr • Client Gemeinde Denklingen
Standort • Location Rathausplatz 1, Denklingen
Nutzfläche • Floor space 1152 m 2
Fotos • Photos Christina Kratzenberg, Ostfildern
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Der neue Bürgersaal dient Versammlungen und Festen. • The new civic hall is used for meetings and festivities. Alte Bauteile und neue Nutzungen ergänzen sich perfekt. • Old components and new uses complement perfectly.
von • by Bettina und Benedikt Sunder-Plassmann
U nsere Dörfer sind einem großen Wandel ausgesetzt, Höfe werden aufgegeben, die lingen umzunutzen, zu sanieren und zu erweitern. Durch die geplante Nutzung als Rat-
haus konnte Rücksicht auf die bestehende Grundrissstruktur des Gasthofs genommen
angestammte Bevölkerung schwindet, Familien aus dem Stadtrand ziehen zu. Dies
alles bewirkt, dass die Dorfmitten veröden, Gasthöfe leer stehen, Läden und Bäckereien werden. Die kleinteilige Raumstruktur im Erdgeschoss konnte ohne größere Veränderun-
schließen, weil sie nicht mehr rentabel sind oder sich keine Nachfolger finden. An den gen umgenutzt werden. Der im Obergeschoss in den 1970er-Jahren eingebrachte Tanzsaal
Rändern der Dörfer entstehen uniforme Einfamilienhaussiedlungen ohne gemeinschaftli- wurde durch Trennwände in eine adäquate Bürostruktur unterteilt. Diese Trennwände sto-
che Flächen für Begegnungen. Wie kann man diese gesellschaftliche und städtebauliche ßen jeweils mit einer Glasfuge an die Außenwände. Dadurch bleibt der ehemals weite
Verarmung stoppen, die bewirkt, dass weite Wege in Kauf genommen werden, um das Raum weiterhin spürbar. Durch die im Obergeschoss wieder eingebrachten Wände konnte
Tägliche einzukaufen, Bekannte zu treffen, Gemeinschaft zu erleben? Die teils schönen, auch der hohe raumteilende Überzug im Dachraum entfernt werden, und unter dem be-
teils stattlichen, manches Mal sehr verlotterten Häuser unserer Dorfmitten erzählen Ge- eindruckenden Dachstuhl wurde der neue Bürgersaal untergebracht. Für die Belichtung
schichten von Menschen, die hier gelebt und gearbeitet, getanzt und gefeiert haben. Es sorgen zwei Lichttrichter, die das natürliche Sonnenlicht vom Giebel in den Saal lenken.
steckt viel graue Energie in diesen Häusern; Steine, die gebrannt, Bäume, die gefällt wur-
den, aber auch Ideen und Muskelkraft von Menschen, die sie errichtet haben. Deshalb Orientierung an traditionellen Baustoffen
sollten sie ein zweites oder auch drittes Leben bekommen, eine Nachnutzung, wie dies
beim Umbau des alten Gasthofs Hirsch zum Rathaus mit Bürgersaal geschehen ist. Der Raum ist nun für alle Bewohner Denklingens erlebbar gemacht. Hier können wieder
Versammlungen und Feste stattfinden. Die notwendigen Erschließungs- und Nebenräume
Durch Umbau die Dorfmitte zurückgegeben für ein modernes Rathaus wurden in dem neu errichteten Anbau untergebracht: ein groß-
zügiges repräsentatives Treppenhaus, ein Aufzug für die barrierefreie Erreichbarkeit aller
Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, den enormen Bestand an Bauten abzurei- Räume, ein Fluchttreppenhaus und die Sanitärräume. Die Verwaltung von Denklingen hat
ßen und so den CO -Ausstoß sowie die Menge des dabei entstehenden Abfalls ins nicht sich zukunftweisend für ein „papierloses Rathaus“ entschieden, sodass die Archivflächen
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mehr Kontrollierbare wachsen zu lassen. Die drängendste Aufgabe der heute schaffenden im Keller auf ein absolutes Minimum reduziert werden konnten. Die Materialisierung im
Architekten ist es, bestehende Gebäude zu sanieren, energetisch sinnvoll zu verbessern Gebäudebestand orientiert sich an traditionellen Baustoffen, wie Kalkputzen und minera-
und, wo es nötig ist, kluge Umbaukonzepte und Erweiterungen zu entwickeln. Nur so lischen Farben. Die alten Holz-Deckenbalken, vermutlich aus der Erbauungszeit von 1668,
kann eine Klimaneutralität in absehbarer Zeit erreicht werden. Durch den Umbau des sind statisch tragend und konnten durch eine Holzbetonverbunddecke erhalten werden.
alten Gasthofs zum Rathaus und Bürgersaal wurde dem Dorf Denklingen – im Einzugsge- Außerdem wurde sowohl im Alt- als auch im Neubau ein weißer, geschliffener Estrich auf-
biet von München liegend – seine Dorfmitte zurückgegeben. Durch sein imposantes Dach getragen, der die beiden Gebäudeteile miteinander verbindet und für eine helle und
ist das Gebäude bereits von weitem sichtbar. Der unter Denkmalschutz stehende Gasthof freundliche Atmosphäre sorgt. In den Büros schaffen gelbe Wollbespannungen an den
Hirsch wurde im Jahr 1668 anstelle eines Vorgängerbaus errichtet. 1974 zerstörte ein Brand Akustikelementen ein behagliches Arbeitsklima. Der Anbau ist aus Brandschutzgründen
den Dachstuhl und die Giebelwände. Nach dem Wiederaufbau diente das Gebäude wie- ein Betonbau, der außen mit hellen Klinkern verblendet ist. Die Sichtbetonwände werden
der als Dorfgasthof, stand zuletzt nach mehreren Pächterwechseln leer und ab 2014 zum durch in die Schalung eingelegte Schilfrohrmatten optisch wie haptisch aufgewertet. Zur-
Verkauf. Die Gemeinde Denklingen erwarb das Haus, mit dem Ziel, hier das neue Rathaus zeit wird noch der Platz um das Rathaus fertiggestellt, Asphaltflächen durch sickerfähige
unterzubringen. In der Folge zweier Machbarkeitsstudien wurde festgestellt, dass ein bar- Pflasterflächen aus heimischem, bayerischem Granit ersetzt. Die schöne Umgebung des
rierefreies Rathaus im ehemaligen Gasthof Hirsch realisierbar ist, wenn der bestehende Hauses, mit Brunnen, Stufenanlage, Baum und Verkehrsberuhigung lädt nun zum Verwei-
Anbau durch einen funktionalen Anbau mit Treppenhaus und Aufzug ersetzt wird. Darauf- len ein und zieht hoffentlich bald die Bürger an, den öffentlichen Raum wieder mit viel-
hin wurde beschlossen, das Gebäude zum Rathaus mit Bürgersaal für die Gemeinde Denk- fältigen Nutzungen zu belegen, wie dies in Dörfern jahrhundertelang gelebt wurde.
AIT 12.2021 • 125