Page 33 - AIT1124_Leseprobe
P. 33
Katharina Rauh Prof. Gero Quasten
1976 geboren 1997–2005 Architekturstudium, TU Darmstadt und ETSAV 1973 geboren 1993–2000 Architekturstudium, TU Darmstadt seit 1995 Mit-
Barcelona seit 1995 Mitarbeit in Architekturbüros in Darmstadt seit 2017 arbeit in Architekturbüros in Darmstadt und Saarbrücken seit 2003 Partner,
Partnerin, prosa Architektur + Stadtplanung, Darmstadt 2022 Berufung BDA prosa (damals: prosa Architektur & Grafik), Darmstadt 2013 Berufung BDA
Harmonische Material- und Farbkombination in der Umkleide • Harmonious material and colour combinations Holzwände unterstreichen das Konzept der Nachhaltigkeit. • Wooden walls emphasise the sustainability concept.
Gelände erleichtert. Ein Hauptanliegen des Bauprojekts war der Einsatz ressourcen- men Bereich von 40 bis 60 Prozent. Darüber hinaus wirkt die offen gestampfte Lehm-
schonender Materialien, die optimal entsprechend ihrer Eigenschaften genutzt wurden. struktur als akustischer Diffusor. Die unregelmäßigen Oberflächen der Wand reduzieren
Die Bodenplatte besteht aus recyceltem Beton, wodurch die CO -Emissionen signifikant den Schall und verringern so Halleffekte – eine besonders willkommene Eigenschaft in
2
reduziert werden konnten. Tragende und aussteifende Elemente bestehen vollständig den Flurbereichen, wo oft laute Gruppen wie Fußballmannschaften unterwegs sind.
aus Brettsperrholz, während vor den tragenden Außenwänden eine hinterlüftete Holz- Dadurch entfallen zusätzliche schallabsorbierende Maßnahmen in diesen Bereichen,
schindelfassade angebracht wurde. Die thermische Hülle des Gebäudes ist mit einer was zur Schaffung eines ruhigeren Umfelds beiträgt. Ganz ohne Technik kommt das
Einblasdämmung aus recyceltem Altpapier optimiert, was den Wärmeverlust minimiert. Gebäude allerdings nicht aus. Umkleiden und Duschen sind mit einer mechanischen
Langlebige und unbehandelte Holzschindeln bieten geringen Wartungsaufwand, und Zu- und Abluftanlage ausgestattet, die durch Wärmerückgewinnung Energieverluste
ihre kleinteilige Struktur erlaubt es, sie bei Bedarf einzeln zu ersetzen, was dem Gebäu- minimiert. Die benötigte Heizenergie wird durch ein zweistufiges Wärmepumpensys-
de eine würdevolle Alterung ermöglicht. Darüber hinaus sind die Bauteile größtenteils tem bereitgestellt. Im nahegelegenen Freibad sorgt eine große Grundwasserwärmepum-
ohne Klebe- und Verbundmittel montiert, was eine reversible Konstruktion schafft und pe dafür, dass das gesamte Campusareal über ein kaltes Nahwärmenetz verlustarm
das Gebäude zu einem wertvollen Rohstofflager für die Zukunft macht. mit Wärme versorgt wird. Eine zweite Wärmepumpe im Gebäude selbst sorgt für das
notwendige Temperaturniveau für die Fußbodenheizung und das Warmwasser der
Passive Systeme: Minimaler Technikaufwand, maximale Effizienz Duschen. Die Betriebsenergie für dieses System wird durch eine Photovoltaikanlage von
etwa 250 Quadratmetern auf dem Dach des Gebäudes erzeugt.
Das Gebäude wurde so konzipiert, dass der Einsatz technischer Systeme minimiert und
passive Methoden maximiert wurden. Dadurch können zahlreiche Menschen, die das Sichtbare Technik und kosteneffiziente Gestaltung
Gebäude nutzen, ohne eine umfangreiche Einweisung in technische Systeme problem-
los damit interagieren. Eine zentrale Rolle spielt dabei eine massive Stampflehmwand, Das Projektbudget war überschaubar, weshalb bewusst auf kostspielige Verkleidungen
die im Inneren des Gebäudes zwischen den Verkehrs- und Nutzflächen wie Umkleiden der technischen Installationen verzichtet wurde. Lediglich in den Verkehrsbereichen
und Duschen platziert wurde. Dank ihrer hohen thermischen Speicherkapazität kann sie wurden abgehängte Decken aus Lehmbauplatten angebracht, um eine optische Beruhi-
im Winter Wärme aufnehmen und bei sinkender Raumlufttemperatur über Strahlung gung zu schaffen. Im Fitnessbereich hingegen sind die technischen Installationen offen
wieder abgeben. Ihre große thermische Masse ermöglicht es, kurzfristige Schwankungen sichtbar, da hier keine optisch aufwendigen Deckenansichten notwendig sind. Dies
gut auszugleichen. Die Fußbodenheizung führt die nötige Wärme langsam wieder zu. trägt nicht nur zu einer schlichten Anmutung bei, sondern erleichtert auch die Wartung
Auch im Sommer ist die Lehmwand von Vorteil: Sie verhindert Überhitzung, indem sie und Revisionierbarkeit der Systeme. Die Massivholz- und Lehmflächen des Gebäudes
die Spitzentemperaturen auf die kühleren Nachtstunden verschiebt. Die Wärme wird in wurden nach Fertigstellung der Rohbauphase nicht weiter verkleidet. Elektrokabel und
der Nacht durch Querlüftung und Nachtauskühlung abtransportiert, während die Wand -dosen wurden bereits während der Bauphase in die Brettsperrholzwände integriert,
tagsüber die gespeicherte Kühle an die Räume abgibt. Die Masse der Lehmwand erzeugt sodass kein nachträgliches Schlitzen oder Verputzarbeiten erforderlich waren. Auch die
eine Phasenverschiebung der Temperaturspitzen, die dazu beiträgt, eine konstante Stampflehmwand ermöglicht eine unsichtbare Installation von Leerrohren und Dosen,
Raumtemperatur aufrechtzuerhalten. Öffnungsflügel in den Flurbereichen sowie gegen- die direkt in die Schalung eingesetzt und beim Bau mit eingearbeitet wurden. Diese
überliegende Eingangstüren ermöglichen eine effiziente Querlüftung und sorgen für vorausschauende Planung reduziert den späteren Arbeitsaufwand und integriert die
angenehme Temperaturen. Neben der Temperaturregulierung trägt die Lehmwand auch technischen Komponenten dezent in die natürliche Ästhetik der verwendeten Mate-
zur Feuchtigkeitskontrolle bei. Der Lehm speichert Feuchtigkeit in der feinen Struktur rialien. So entsteht ein spannender Kontrast zwischen den archaischen Lehm- und
seiner Tonminerale und reguliert die Luftfeuchtigkeit auf natürliche Weise im angeneh- Holzflächen und den modernen technischen Ausbauteilen.
AIT 11.2024 • 119