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Entwurf • Design no w here architekten, Schwabstraße 69/1, Stuttgart
                                 Egon Eiermann                            Bauherr • Client Thomas Nitschke und Heiner Oppermann
                                                                          Standort • Location Krippenhof 18, Baden-Baden
                                 1904 in Neuendorf geboren 1923–1927 Studium TH Berlin 1931 Bürogründung   Nutzfläche • Floor space 570 m 2
                                 1947 Lehre TH Karlsruhe 1958 Entwurf des Deutschen Pavillons mit Sep Ruf   Fotos • Photos Becker Lacour, Olaf Becker, München
                                 für die Weltausstellung in Brüssel 1970 in Baden-Baden verstorben  Mehr Infos auf Seite • More infos on page 158






























             Gelungene Mischung aus Designklassikern, restaurierten Originalmöbeln und reversibel eingefügten Einbauten • Successful mix of design classics, restored original furniture and reversibly added fixtures


             von • by Karl Amann, no w here architekten, Stuttgart
             I  mmer wieder kommt es vor, dass Exposés für Immobilien zur Begutachtung auf unse-  und zugleich den Anforderungen der Nutzer Genüge zu tun. Eine restauratorische Unter-
              rem Schreibtisch landen. Oft hilft unsere Einschätzung den Interessenten dabei, sich  suchung sowie ein ausführliches Studium der Originalunterlagen aus der Entstehungszeit,
             für oder gegen einen Kauf zu entscheiden, da wir die Objekte sehr gründlich auf ver-  die eine Recherche im Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (SAAI)
             schiedene Parameter hin untersuchen. Wir prüfen den Zustand der Bausubstanz und  am KIT in Karlsruhe zutage brachte, lieferten wichtige Erkenntnisse für die Restaurierung.
             der Haustechnik – und ob die Räume den Anforderungen des Nutzers entsprechen oder   Der teilweise noch erhaltene Schriftverkehr erlaubte es außerdem, sich der Person Egon
             darauf angepasst werden können. Und wir geben eine erste Kostenschätzung dafür ab.   Eiermann auch als Mensch zu nähern. In der Kommunikation zwischen ihm und seinem
             Im April 2020 landete in meiner Mailbox eine Anfrage zu einer sogenannten Design-Iko-  Bauleiter Huppert wird deutlich, wie wichtig ihm selbst die kleinsten Details waren. So
             ne, ein Ausdruck aus dem Makler-Jargon, der mich schon des Öfteren zum Schmunzeln   mussten, um ein Beispiel zu geben, selbst die Schlitze der Messing-Schraubenköpfe der
             gebracht hat. Nach Öffnen des Exposés traute ich allerdings meinen Augen nicht. Bei dem  Deckenverschalung präzise synchron ausgerichtet werden.
             genannten Objekt handelte sich in der Tat um etwas Einzigartiges, nämlich das von Egon
             Eiermann zwischen 1959 und 1962 am Krippenhof in Baden-Baden für sich und seine  Behutsame Sanierung und Wiederherstellung eines Unikats
             Familie gebaute Ensemble aus Wohn- und Atelierhaus. Das Bauwerk gilt tatsächlich als
             eine Ikone der Deutschen Nachkriegsarchitektur und ist als Kulturdenkmal eingestuft,   Eingangssituationen, Schwellen und Übergänge sowie die Erschließungselemente in
             „an dessen Erhaltung aufgrund seines exemplarischen und dokumentarischen Wertes ein   Haus und Garten werden geradezu ritualisiert. Eine Vielzahl von Details wurde spezi-
             gesteigertes öffentliches Interesse besteht“. Nach dem Tod Egon Eiermanns war das Haus   ell für dieses Haus entwickelt – ein Unikat bis in die letzten Winkel des Innenausbaus.
             noch einige Zeit im Besitz der Familie geblieben, bis es nach dem Verkauf durch die Toch-  Die Sanierung hat die baulichen Eingriffe auf ein absolutes Minimum beschränkt. Einige
             ter mehrmals den Besitzer wechselte und nun erneut auf dem Immobilienmarkt landete.   später vorgenommene Zumauerungen wurden wieder entfernt, um die ursprüngliche,
             Egon Eiermann war für mich durchaus ein Begriff, und Eiermann-Schüler unterrichteten   offenere Raumfolge wiederherzustellen. Die Oberflächen – wie die der Keramikböden
             noch, als ich an der Kunstakademie in Stuttgart studierte.   – wurden von ihrer Patina befreit. Neue Farbanstriche erfolgten auf der Grundlage des
                                                                          restauratorischen Gutachtens. Nur in einzelnen Innenräumen wurde vom Konzept Eier-
             Was hätte dazu wohl der Eiermann gesagt?                     manns abgewichen: Die Wände und Decken, die er in einem dunklen Grauton ausgeführt
                                                                          hatte, entschieden wir, im von den Vorbesitzern verwendeten Weiß beizubehalten. Zahl-
             Der Satz „Was hätte dazu wohl der Eiermann gesagt?“ klingt mir immer noch im Ohr.   reiche Einbauten waren noch im Original erhalten. Eine Restaurierung defekter Teile, wie
             Er fiel in der Regel bei der Beurteilung unserer Entwürfe und verhieß nicht unbedingt  der in Oregon-Pine ausgeführten Küche, wurde mit einem erfahrenen Schreinerbetrieb
             etwas Gutes. Eiermann-Gebäude, wie das IBM-Ensemble in Stuttgart oder die Olivetti-  durchgeführt. Teilweise wurden Originalmöbel auf Auktionen erworben und wieder in
             Türme in Frankfurt, waren mir aus Veröffentlichungen und durch Besuche bekannt. Ich   das Haus zurückgeführt. Neue Einbauten wie in der Ankleide, im Flur und den Bädern
             hatte ein Bild von seiner Architektur – nüchtern, klar, technisch –, das sicher auch durch   wurden behutsam und reversibel eingefügt. Sie greifen Themen und Gestaltungselemente
             die von ihm bevorzugte Schwarz-Weiß-Fotografie seiner Gebäude beeinflusst war – zum   Eiermanns auf, ohne ihn zu kopieren. Die Heizungsanlage wurde durch moderne Tech-
             Beispiel durch die Aufnahmen des von ihm sehr geschätzten Horstheinz Neuendorff. Bei   nik ersetzt und die Elektroinstallation vollständig erneuert, was dank der ausgefeilten
             der ersten Besichtigung des Hauses am Krippenhof befand sich dieses in einem baulich   Detailplanung Eiermanns ohne Eingriffe in die Bausubstanz realisiert werden konnte. Die
             außerordentlich guten Zustand, allerdings beeinträchtigten etwas unglücklich gewählte  intensive Beschäftigung mit diesem Gebäude Eiermanns hat mir eine ganz neue Sichtwei-
             Einbauten und Möblierungen die Gesamterscheinung. Die architekturbegeisterten Inter-  se auf sein Werk eröffnet. Denn die Sinnlichkeit und Wohnlichkeit hängt sehr stark auch
             essenten konnten schnell eine Kaufentscheidung treffen, und die Sanierung wurde in die   an den Farben und Materialitäten der Oberflächen, die in den Schwarz-Weiß-Bildern von
             Wege geleitet – mit dem Ziel selbstredend, den Charakter des Baudenkmals zu erhalten   Horstheinz Neuendorff wenig zum Ausdruck kommen. Eine angenehme Spannung ent-

                                                                                                                          AIT 7/8.2023  •  125
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