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Lisa Klasberg Curious About
1993 geboren in Rheda-Wiedenbrück 2014–2022 Architekturstudium an CURIOUS ABOUT Bengert Bessai Schaaf Architekten PartGmbB, Karlsruhe
der MSA, Münster School of Architecture seit 2017 Autorin verschiedener 2020 gegründet von Florian Bengert, Lukas Bessai und Marcel Schaaf
Publikationen seit 2018 Mitarbeit in Architekturbüros 2022 AIT Praktikum 2022 Gedankenexperiment: Wohnen im Kulturdenkmal, Schloss Karlsruhe
Foto: Holger Roik Foto: Nils Koenning Foto: Florian Schuh
Realisierte Beispiele: (1) Wohnung in ehemaligem Krankenhaus von ROIK Architekt; (2) Umbau Verwaltungsgebäude in Berlin von M. Brune und T. Mäscher; (3) Wohnraum in einstigem Tabaktrockenschuppen von Florian Blümig
gramm soll seit 2022 für zwei Jahre EigentümerInnen von denkmalgeschützten Gebäuden begleitete ein Bauherren-Ehepaar in der Entwurfs- und Bauphase des ehemaligen Kli-
dazu ermutigen, die teils ungenutzten Immobilien entsprechend zu sanieren und als wei- nikgebäudes. Genaue Vorstellungen für die Sanierung der 2009 erworbenen Immobilie
teren Wohnraum anzubieten. Um sie zu unterstützen und Anreize zu schaffen, stellt das kombiniert mit den Denkmalschutzbestimmungen erforderten eine gute Kommunikation
Amt insgesamt zwei Millionen Euro zur Verfügung. Doch Denkmal ist nicht gleich Denk- aller Beteiligten. Diese ermöglichten schlussendlich aber den gewünschten Rundgang
mal. Besonders in Deutschland wird streng nach den jeweiligen Begutachtungskriterien um die Nasszellen und Küche als Kern und die Nutzung der 3,70 Meter hohen Räume
auf Länderebene unterschieden. So ist je nach Denkmalschutzgesetz der Bundesländer für eine eingezogene Ebene. Im Vergleich zu der 127 Quadratmeter großen Wohnung in
jedes Objekt gesondert zu bewerten und einzuordnen. Ganz grob wird dabei zwischen Hamburg gestaltete sich das Sanierungsvorhaben des einstigen Verwaltungsgebäudes in
drei verschiedenen Arten differenziert: Bau-, Boden- und bewegliches Denkmal. Allen Berlin umfangreicher: Hier passiert, im wahrsten Sinne des Wortes, so einiges hinter den
gemein ist ein öffentliches Interesse aufgrund ihrer geschichtlichen, künstlerischen, wis- Kulissen: Eingehüllt in eine originale Jugendstilfassade entstehen auf 400 Quadratmetern
senschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung. In Anbetracht der Wohnraumknapp- Innenraum zwei zusammenschaltbare Gewerbeeinheiten sowie mehrere Wohnungen.
heit sind besonders Baudenkmale interessant. Ob Gebäudeensemble oder -teile, ganze
Straßenzüge, alte Bahnhofsgebäude und Industriestätten, Brücken, Türme oder einzelne Verwaltungsbau, Krankenhaus und Tabaktrockenschuppen
Gebäude, nicht nur im Sinne der Nachhaltigkeit ist es an der Zeit, sich der schlummern-
den Reserve an Bestand anzunehmen und sie in den Fokus der Wohnraumbeschaffung Sorgsam, unter strenger Einhaltung des Denkmalschutzes, entwickelten die Architekten
zu rücken. Das, was in der romantisierenden Vorstellung so schön erscheint, ist in der Marc Brune und Tobias Mäscher ein Restaurierungskonzept und arbeiteten Fassade,
Praxis jedoch etwas komplexer. Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt: Mal licht- Stuckelemente, Fenster und die tragenden Ziegelwände im Innenraum auf. Um mehr
durchflutete Innenräume, mal verwinkelte Grundrisse mit geringen Deckenhöhen. Hier Wohnraum zu generieren, wurde der Dachstuhl vollständig abgetragen und neu errich-
ein charmant knarzender Dielenboden, dort die etwas abgerockten Fliesen im Bad. Eine tet. Die dadurch entstehenden zwei Wohnungen erhalten über optisch zurückhaltende
etwas zu steile Treppe, die in einen wunderschönen Dachstuhl führt. So spannend es Gauben eine natürliche Belichtung. Von der Hauptstadt wandert der Blick in den Süden
ist, der atmosphärischen Sprache von Baudenkmalen zu lauschen, so langwierig und Deutschlands nach Bretten-Neibsheim im Landkreis Karlsruhe: Dort sorgte Architekt Flo-
komplex kann die Auseinandersetzung mit der Bausubstanz sein. rian Blümig nicht nur für die Umnutzung eines Kulturdenkmals als Wohnraum, sondern
rettete es durch sein Vorhaben sogar vor dem Abriss. Mit seinem Sanierungsplan verfolg-
Förderprogramm „Wohnen im Kulturdenkmal“ te der Architekt die Idee, möglichst viel der Originalstrukturen zu erhalten – was er über
das „Raum-in-Raum“-Konzept auch einhalten konnte. So entstehen in der Holzskelett-
Um der inneren Hürde entgegenzuwirken, ein Gebäude zu sanieren, das kaum Gemein- konstruktion zwei Wohnungen und eine Einliegerwohnung, die über ihre Position einen
samkeiten mit dem normgerechten Neubau aufweist, sichert das Förderprogramm neben begehbaren Abstand zu der historischen Fachwerkhülle wahren und von der typischen
der finanziellen Unterstützung auch Beratungen. Wie unterschiedlich sich „Wohnen im Großräumigkeit einer Scheune profitieren. Der Wichtigkeit einer unabhängigen Betrach-
Kulturdenkmal“ gestalten kann, zeigen bereits beispielhafte Projekte aus der Vergangen- tung eines jeden Bauvorhabens – Neubau, Bestand und Denkmal betreffend – sind sich
heit: ein unter Denkmalschutz stehendes Krankenhaus in Hamburg (1), ein ehemaliger auch die Gründer des Architekturbüros Curious About bewusst. Das im Jahr 2020 von
Verwaltungsbau der Berliner Fuhrwerk-Genossenschaft (2) und eine ländlich gelegene Florian Bengert, Lukas Bessai und Marcel Schaaf in Karlsruhe gegründete Büro unter-
alte Scheune zur Trocknung von Tabak im Landkreis Karlsruhe (3). Im Zuge einer städ- scheidet sich vor allem durch den theoretischen Diskurs und das kritische Hinterfragen
tebaulichen Umnutzung des Quartiers 21 – eines der größten Konversionsprojekte der der Ist-Zustände von anderen Büros dieser Größenordnung. Schon während ihres Studi-
Stadt Hamburg – nahm sich das ortsansässige Büro ROIK Architekt der Aufgabe an und ums am KIT entwickelte sich über wissenschaftliche Arbeiten am Lehrstuhl der Archi-
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