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WOHNEN • LIVING
APARTMENT ARCHI-TEXTILE
IN TRIEST
Entwurf • Design Marcante Testa, IT-Turin
Reichlich Stoff macht dieses frisch renovierte Apartment in Triest
zum modernen Schmuckkästchen an der Adria: Für die textilaffinen
Bauherren kleideten Marcante Testa eine Gründerzeit-Wohnung in
Hafennähe mit fein geprägten Stoffen, kraftvollen Eigenentwürfen
und zarten Farben aus. Und dank dezenter Stilzitate weht noch ein
Hauch der Eleganz vergangener Zeiten durch das neue Interieur.
von • by Kira Sophie Kawohl
T riest ist wie Wien am Meer, eine „Città mitteleuropea“ direkt an der italienischen
Adria. Über fünf Jahrhunderte hinweg diente sie den Habsburgern als Seehafen,
deren goldene Ära – das 19. Jahrhundert – mit üppigem Baubestand und K.u.k.-Flair das
Stadtbild bis heute prägt. Auch das 180 Quadratmeter große Altstadt-Apartment, das
Andrea Marcante und Adelaide Testa vor Kurzem für ein Ehepaar aus München renovie-
ren durften, liegt in einem Wohnhaus aus dieser Epoche. An die Bauzeit erinnerten vor
der Erneuerung nur noch ein paar Flügeltüren, die meisten historischen Details waren
zerstört. Einen Hauch Fin de Siècle wollten die Turiner ArchitektInnen den hellen Räumen
zurückgeben, dabei aber das Gesamtbild in ein zeitgemäßes Farb- und Materialkonzept
übersetzen. Da die Bauherrin selbst in der Textilbranche tätig ist, spielen Stoffe in dem
„Archi-Textile“ genannten Projekt eine besondere Rolle. Alle textilen Oberflächen sind
nämlich individuelle Entwürfe der niederländischen Stoffdesignerin Aleksandra Gaca und
wurden im Textilmuseum Tilberg angefertigt. Nun verschleiern zarte Passemanterien die
Heizkörper im Wohnraum und schützen stoffbespannte Kabinetttüren die Garderobe im
Ankleidezimmer. Kassettierte Raumteiler mit eingesetzten Stoffpaneelen in Diamantstruk-
tur zonieren den großen Salon. Sogar die Stores, die den Lichteinfall entlang eines langen
Fensterprospekts an der Fassadenseite filtern, sind farblich abgestimmte Spezialanferti-
gungen. Konzeptgemäß verleihen Marcante Testa auch anderen Oberflächen eine gewis-
se Stofflichkeit. Ein schwarz-weiß gemusterter Fliesenboden in Bad und Küche erinnert
an Textildesigns der Wiener Werkstätte, Fronten aus perforiertem Stahl verhängen die
Küche nur halbtransparent wie ein hauchdünner Vorhang. In einer für sie typischen
Maniera sind die Möbelentwürfe der ArchitektInnen durch markante Formen definiert –
eine Art Kubismus in Pastellfarben. Dazu passen schließlich auch die Raumdecken – nach
Meinung von Marcante Testa die allzu oft „vernachlässigten Abschnitte der Wohnung“
– mit neuem Stuckdekor in zeitgemäßer Ornamentik. Alles in allem: reichlich guter Stoff
für eine bemerkenswerte Bestandserneuerung, die Klassik und Moderne in sich vereint.
076 • AIT 7/8.2023