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Sebastian Utermöhlen
1962 in München geboren 1983–1988 Architekturstudium, Fachhoch-
schule München 1990–2000 freiberufliche Tätigkeit seit 2000 Projekt-
abteilung, verantwortlich für Großprojekte bei Ingo Maurer GmbH
Die scheinbar zufällige Strahler-Platzierung im Zugangsbereich steht im Kontrast zur netzartigen Leuchtenanordnung. • The random spotlight placement in the access area contrasts the web-like arrangement of the luminaires.
sich, als Teil der Oberleitungen, über die Bahntrassen zieht – eine eindringliche Lichtge- springen sie scheinbar zufällig in ihrer Höhe. In der Anordnung von drei nebeneinander
staltung für den formal stark reduzierten Innenraumentwurf von Allmann Sattler Wapp- und zwei übereinander liegenden Seilen wirkt die Lichtkonstruktion – je nach Blick-
ner Architekten. So entstand die erste selbstleuchtende Vision zur Lichtgestaltung der achse der Fahrgäste – wie feinsinnig arrangierte Noten einer Symphonie. Der Besucher
Bahnhöfe. Erst ungefähr 2017 arbeiteten wir intensiv an der Umsetzung und verpassten nimmt auf Bahnhöfen seit jeher unbewusst das komplexe Geflecht der Oberleitungen
dem Lichtdesign ein Update mit neuester Technik. Die eher spotartigen Leuchten aus wahr. Für den Bau der unterirdischen Haltestellen wollten wir diesen stilistischen Be-
dem Wettbewerbsentwurf ersetzten wir durch hocheffiziente LED-Langfeldleuchten. Ent- standteil als Lichtgespinst fortführen. Die sichtbare Verspannung von Drahtseilen und
sprechend erfolgte eine zweite, verfeinerte Entwurfsarbeit mit einem zweiten Modell. Stromkabeln erinnert in ihrer Ästhetik an die Elektrifizierung der Eisenbahn und den
Die Komposition der Leuchten auf den Seilen wurde mit einer Vielzahl an Lichtberech- implizierten Fortschrittsglauben – eine Art Industrial Romance, die in der Technik durch
nungen auf Erfüllung der lichttechnischen Anforderungen und Normen begleitend über- ihre Sichtbarkeit beeindruckt und nachvollziehbar wird. Dass Architektur und Licht sich
prüft. Als wir unser Ergebnis bei den Projektbeteiligten vorstellten, fand es große Aner- ergänzen – ohne einander gar nicht auskommen! – ist kein neuer Gedanke. Und doch
kennung. Da der Entwurf die komplette Elektroinstallation und Kabelführung zeigt, wird viel zu selten eine ganzheitliche und kohärente Ästhetik gefordert und entwickelt.
musste auch diese im Gestaltungskonzept sortiert, gestaltet und geplant werden. Umso mehr ist es zu erwähnen, dass der Bauherr der Stadtwerke Karlsruhe dies aus-
drücklich wünschte und diese Zusammenarbeit veranlasste. Hier steht „Kunst am Bau“
Ein Drahtseilakt: Vom 1:1-Modell bis zur Ausführung für einen kreativen und künstlerischen Ansatz, welcher einhergeht mit dem architekto-
nischen Raum und folglich die Vorstellungen der Architekten erweitert.
Hochmotiviert durch das Feedback, spannten wir zur weiteren Ausarbeitung in einer
unserer großen Produktionshallen Seile im Maßstab 1:1, um daran sowohl alle Befesti- Licht an – Spot an! Für die Lichtchoreographie der Fahrgäste
gungskomponenten entwickeln sowie den Kabelverlauf festlegen zu können. Das Er-
gebnis wurde dann in Plänen festgehalten und diente als Werkzeichnungen für die aus- Eine weitere Besonderheit unseres Lichtdesigns sind die in unregelmäßigen Abständen
führende Firma. Auch die Isolatoren waren zu Beginn der Ausarbeitung zunächst nur eingesetzten RGB-Spots. Diese bündeln rotes, blaues und grünes Licht zu weißen Licht-
gestalterisches Element – erst im Laufe der Genehmigungsplanung stellten sie sich als kegeln und erzeugen zunächst helle Akzente auf dem Boden. Bewegen sich die Fahrgäste
notwendig und sicherheitsrelevant heraus. Alle statischen und sicherheitstechnischen unter einem dieser punktuellen Lichter, werden sie am Bahnsteig von farbigen Schatten
Probleme bewältigten wir in Zusammenarbeit mit den Architekten. Unsere konstante gerahmt. Auf diese Weise werden die passierenden Menschen zu Akteuren des Lichtde-
interdisziplinäre Zusammenarbeit – vom Wettbewerb bis zur Ausführung – sieht man signs. Für die Zugangsbereiche sahen wir kegelförmige Deckeneinbaustrahler vor, welche
dem Entwurf heute an: So stimmten Allmann Sattler Wappner auch das Fugenbild der in ihrer Gestaltung an unsere Deckenleuchte Light Cone L angelehnt sind. Konzipiert für
Wandverkleidung auf den Rhythmus der Oberleitungen und Leuchten ab. Quer über den fugenlosen Einbau in abgehängten Decken wird diese Leuchte nach dem Einbau ver-
alle Bahnsteige der sieben Stationen sind Drahtseile gespannt – über diese Stahlseil- spachtelt und überstrichen. Durch den Einsatz mehrerer Light Cone-Leuchten entstand
konstruktion werden unzählige Seile, Klemmen, Isolatoren und Abspannungen als ver- eine eindrucksvolle Lichtlandschaft, bei der die scheinbar zufällige Platzierung der Strah-
dichtetes, wohlsortiertes Oberleitungssystem geführt. Ein Segment besteht aus sechs ler in bewusstem Kontrast zu der netzartigen Seilstruktur der Bahnsteigebene steht. Es
Seilen, wobei jeweils drei nebeneinander und zwei übereinander liegen. Daran befe- ist für mich immer wieder sehr spannend zu sehen, wie stark bei solchen Projekten am
stigt sind die röhrenförmigen LED-Langfeldleuchten. Auf jeder Seite des Bahnsteigs lie- Schluss das Ergebnis mit der ersten Vision übereinstimmt und wie nah die Modelle und
gen zehn zylindrische Leuchtstäbe auf den Seilen. Sechs Stäbe sorgen für eine gleich- Renderings aus der Entwurfsphase den Fotos der Umsetzung kommen. Das erste Betre-
mäßige Ausleuchtung der Bahnsteige, die vier verbleibenden Leuchten erhellen den ten und Erfahren der Symbiose aus Architektur und Lichtdesign war großartig und inten-
Deckenraum. Während die Ausrichtung der Stäbe streng in Fahrtrichtung verläuft, ver- siv. Manchmal muss man zwei Mal hinsehen – in diesem Fall sogar sieben Mal!
AIT 5.2022 • 121