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Entwurf • Design Beissert + Gruss Architekten, Hamburg
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                                                                           Standort • Location Allee 16, Altenkrempe
                                                                           Fläche • Floor space 2.600 m 2
                                                                           Fotos • Photos Sebastian Fengler, Berlin
                                                                           Mehr Informationen auf Seite • More information on page 128






























             In den Seitenarmen des Saals sind Sitznischen ausgebildet. • Seating niches in the side wings of the hall.  Bar und Cateringküche unterstützen den Musikbetrieb. • Bar and catering kitchen support the music events.



             von • by Dr. Uwe Bresan
             U   nter den Liebhabern klassischer Musik in Norddeutschland genießt das eine halbe  werk aus hellen dänischen Ziegeln, während der Boden als geschliffener Sichtestrich aus-
                                                                           geführt wurde. Seine besondere Form und puristische Materialität verleihen dem Raum
                 Autostunde von Lübeck entfernt gelegene Gut Hasselburg einen einzigartigen Ruf.
             Das Publikum schätzt die idyllische Atmosphäre der Barockanlage, die mehrere Spielorte  einen archaischen Charakter. Er strahlt fast etwas Sakrales aus und bildet damit den idea-
             miteinander verbindet. Für Kammermusik wird gern die im Rokoko-Stil verzierte Trep-  len Rahmen für intime, musikalische Darbietungen. Damit bereichert der Kuppelsaal das
             penhalle des Herrenhauses genutzt, während große Konzert- und Opernaufführungen in  für Aufführungen zur Verfügung stehende Raumangebot um eine neue, bisher unbe-
             der sogenannten Konzertscheune stattfinden. Die reetgedeckte Halle, eine der größten  kannte Note. Durch seine Kreuzform und die zentrale Anordnung innerhalb des Gebäu-
             im deutschsprachigen Raum, nimmt bis zu 800 Zuhörer auf. In den Sommermonaten  des baut der Raum darüber hinaus verschiedene axiale Bezüge auf. So ist er einerseits
             eignet sich darüber hinaus der Wirtschaftshof für Freiluftveranstaltungen. So hat sich Gut  in die Längsachse des Gebäudes eingebunden, die sich räumlich als langer Mittelflur aus-
             Hasselburg seit den 1980er-Jahren als stimmungsvolle Location unter den norddeutschen  drückt; andererseits verweist seine Querachse auf den zentral gelegenen Eingang der ge-
             Klassikspielorten etabliert. 2010 übernahm die vom musikbegeisterten Hamburger In-  genüberliegenden Reetscheune sowie auf die Parkanlage im Süden.
             dustriellen Constantin Stahlberg ins Leben gerufene Stahlberg Stiftung das Anwesen. Seit-
             her wurden auf dem gesamten Areal wichtige und mitunter längst überfällige Sanierungs- Der ländliche Charakter des Gebäudes bleibt erhalten
             maßnahmen angegangen. In diesem Rahmen erhielt 2013 zunächst die Reetscheune eine
             neue Bühnentechnik sowie neue Toilettenanlagen und Künstlergarderoben. Danach be-  Auch im Äußeren bilden sich diese Bezüge ab – auf der Hofseite durch den mittleren der
             gannen die Arbeiten am sogenannten Torhaus, das in ein modernes und komfortables  drei symmetrisch angeordneten Zwerchgiebel, die hier die Fassade des Gebäudes rhyth-
             Gäste haus verwandelt wurde. Die Arbeiten betreute das Hamburger Büro Biwer Mau Ar-  misieren; auf der zum Park hin orientierten Rückseite wiederum durch einen neu ent-
             chitekten, das mit einfachen, aber hochwertigen Ausbauten eine stimmige, dem ländli-  standenen, abgerundeten Zwerchgiebel in der Fassadenmitte, der sich direkt auf den da-
             chen Idyll der Anlage angemessene Atmosphäre schuf (siehe AIT 6/2015).   hinter liegenden Konzertraum bezieht. Möglich wurde die Neugestaltung der Parkseite
                                                                           durch einen lediglich partiell geltenden Denkmalschutz für die Hof- sowie die beiden
             Aus dem ehemaligen Kuhstall wird ein Konzert- und Gästehaus   Giebelfronten. Sie wurden während der Umbauarbeiten durch eine Betonsohle neu un-
                                                                           terfangen. Die rückwärtige Fassade konnte hingegen entsprechend den funktionalen An-
             Aktuell wurde nun auch das der Reetscheune gegenüberliegende, ehemalige Kuhhaus  forderungen des Inneren neu gestaltet werden. Aufgrund der enormen Gebäudetiefe von
             saniert und einer neuen Nutzung zugeführt. Verantwortlich dafür war das junge Hambur-  22 Metern entschieden sich die Architekten für eine zweihüftige Aufteilung. Während alle
             ger Architekturbüro von Uta Beissert und Hendrik Gruss. Letzterer betreute im Büro Biwer  öffentlichen Bereiche und Gemeinschaftsräume auf der Hofseite liegen, entstanden die
             Mau bereits die Arbeiten am Torhaus. Mit dem Direktauftrag der Stahlberg Stiftung für  Ferieneinheiten auf der Südseite, wo es die freie Gestaltbarkeit der Fassade erlaubte,
             die Sanierung und den Umbau des Kuhhauses machten er und seine Partnerin sich 2016  diese sowohl im Erd- wie im Dachgeschoss großzügig zu öffnen. So konnte eine ausrei-
             selbstständig. Sie verwandelten in den zurückliegenden Jahren das um 1760 entstandene  chende Belichtung der Ferienwohnungen gesichert werden. Der gesamte Innenausbau
             und zum Teil denkmalgeschützte Stallgebäude in ein eindrucksvolles Konzert- und Gäs-  jenseits des Konzertsaals entstand in Anlehnung an den historischen Bestand. Im Erd-
             tehaus. Insgesamt entstanden neun neue, sich teilweise über zwei Stockwerke erstre-  geschoss nimmt ein dunkler Schieferboden die ursprüngliche Pflasterung auf, während
             ckende Ferienwohnungen. Außerdem fanden neue Büroräume für die Stahlberg Stiftung  die vier Meter hohen Decken einen Eindruck von der mächtigen, aus sägerauen Balken
             sowie größere Gruppenräume etwa für Tagungen, Seminare und Yogakurse Platz. Die  gebildeten Holzkonstruktion vermitteln, die die Architekten in ihrer ursprünglichen Form
             zentrale Raumeinheit besetzt allerdings ein neuer Konzertsaal samt Nebenräumen wie  rekonstruierten. Schlichte, geweißte Wände und gediegene, schwere Massivholzmöbel
             Foyer, Garderobe, WC, Bar und Cateringküche. Der Saal selbst entstand über einem  runden den ländlichen Charakter ab. Bis in die Details hinein ist Beissert und Gruss
             kreuzförmigen Grundriss als vom Boden aufstrebendes Kreuzgewölbe in Sichtmauer-  damit eine stimmige und zeitgemäße Interpretation des Bestands gelungen.

                                                                                                                            AIT 5.2020  •  117
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