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ÖFFENTLICHE BAUTEN • PUBLIC BUILDINGS

































            SPRINGDALE LIBRARY

            IN BRAMPTON



            Entwurf • Design RDH Architects, CA-Toronto


            Knapp 45 Minuten westlich von Toronto scheint ein Raumschiff ge-
            landet zu sein – so beschreiben die Bewohner Bramptons liebevoll
            ihre neue Bibliothek. Doch nicht die futuristische Form verändert das
            Bild der von Einwanderung und Wachstum geprägten Stadt, sondern
            die Funktionen des öffentlichen Bauwerks: Seine Anwesenheit stärkt
            die Gemeinschaft des Ortes und bietet Raum für Lernen und Spielen.



            von • by Sabine Marinescu
            D   as Wort identitätsstiftend beschreibt die neue Springdale Library vermutlich am be-
                sten. 175 Ethnien und 70 gesprochene Sprachen – die am zweitschnellsten wach-
            sende Stadt Kanadas bedurfte eines Ortes, an dem Gemeinschaft und Integration nicht
            nur Worthülsen sind. Mit dem einstöckigen Bibliotheksbau erschuf das Team von RDH
            Architects einen solchen. Der 1.858 Quadratmeter große und rundherum verglaste Bau
            ist bewusst von den umgebenden – teilweise fünfspurigen – Straßen einsehbar. Doch der
            Schein trügt. Die Glasfassade ist nicht komplett transparent: Gemeinsam mit Brandy Pe-
            ters, einem Experten für generatives Design der University of Toronto, entwickelten die
            Architekten ein System aus keramischer Fritte, das auf die Glaselemente aufgetragen
            wurde. Dieses Zwischenprodukt der Keramikherstellung macht es aufgrund seiner Eigen-
            schaften möglich, neben einem dekorativen Aspekt, den Lichteinfall zu regulieren. Je
            nach Sonneneinstrahlung dehnt oder komprimiert sich die Fritte, und das vertikale Mu-
            ster erhellt oder verdunkelt die innenliegenden Räume. In Kombination mit den unzäh-
            ligen feinen Edelstahlstützen ergibt sich im Inneren ein stetig veränderndes Bild – wie die
            sich umblätternden Seiten eines Buches. So werden alle Räume der Bibliothek, von der
            Lobby über Besprechungs- und Mitarbeiterräume bis hin zu den offenen Lese- und Ar-
            beitssälen, mit Tageslicht versorgt. Das Innere prägen aber vor allem zwei auffällig ge-
            staltete Trichter. Im großen Lesesaal scheint sich die Decke in einen nach oben verjün-
            genden Krater zu öffnen und damit den Blick zum Himmel freizugeben. In dem für Kinder
            reservierten Bereich hingehen fällt das Tageslicht durch den Trichter in das Gebäude und
            verleiht diesem besonderen Raum zusätzlich eine optische Intimität, angepasst an die
            kleinen Nutzer. Für sie wurden auch Teile des großzügigen, als Komagata Maru Park an-
            gelegten Außenbereichs besonders bespielt. Überdimensionale Buchstaben bilden das
            Wort Imagine und bieten damit einen ungewöhnlichen Spielplatz. In dieser Bibliothek
            ist vieles, doch genau das macht sie aus. Sie ist kein Raumschiff, aber sie erweitert den
            Horizont derer, die sich darauf einlassen, und katapultiert sie in neue Welten!

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