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Entwurf • Design Esch Sintzel Architekten, Josefstrasse 92, CH-Zürich
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                                                                          Standort • Location Weinlagerstraße 11, CH-Basel
                                                                          Nutzfläche • Floor space 12.600 m 2
                                                                          Fotos • Photos Philip Heckhausen, CH-Zürich; Paola Corsini, CH-Genf
                                                                          Mehr Infos auf Seite • More infos on page 134




















            Fotos: Philip Heckhausen, CH-Zürich








                                                 rd
             Die Rue Intérieure im 3. Obergeschoss • The Rue Intérieure on the 3  floor   Geschälte Fichtenstämme dienten beim Umbau als Baustützen. • Spruce trunks served as structural supports.

             von • by Esch Sintzel Architekten, CH-Zürich
             D  ie 1996 gegründete Stiftung Habitat setzt sich als gemeinnützige Wohnbauträgerin   durchziehen, spürbar. So bilden die Stützen auch den Ausgangspunkt für die innere
                in Basel für bezahlbares Wohnen in einem lebenswerten, vielfältigen Umfeld mit
                                                                          Organisation des Hauses: Der eigentliche Städtebau ist zwar durch den Bestand gesetzt,
             Begegnungs- und Arbeitsorten ein. Sie erwirbt, baut und bewirtschaftet Häuser und   doch entsteht entlang der inneren Straßen gewissermaßen eine Stadt im Haus. Sie
             entwickelt und bebaut Grundstücke oder gibt sie im Baurecht ab. 2013 erwarb sie von   erschließen nicht nur die Treppenhäuser, die gemeinschaftlich genutzten Räume und
             der Coop Genossenschaft – einem der größten Einzelhandels- und Großhandelsunter-  die Waschküchen – sie ermöglichen vor allem auch eine Vielfalt an Wohnungstypo-
             nehmen der Schweiz – ihren Standort Lysbüchel und entwickelte dort den Stadtteil   logien (1,5- bis 7,5-Zimmer-Wohnungen) für alle Generationen und Lebensformen. Im
             Lysbüchel Süd. Sie teilte die 12.400 Quadratmeter Land in 15 Parzellen auf und gab 12   Hochparterre vernetzt die häusliche Sphäre sich mit der städtischen – die innere Straße
             davon im Baurecht an Genossenschaften ab. Drei Parzellen blieben bei der Stiftung: Es   öffnet sich hier in die querliegenden Eingangshallen und lädt über Treppen und Rampen
             entstand an der Lothringerstraße 154 das Musikwohnhaus 2, mit 20 Woh nungen, einem   ins Haus ein. An den viel mehr zur Stadt adressierten Gebäudeköpfen liegen ebenerdig
             Gemeinschafts raum und drei Übungs- und 14 Musik räumen; im Bau befindet sich ein   die Gewerberäume und das Café. Ihren oberen Abschluss findet dieses Wegenetz im
             Wohnhaus an der Weinlagerstraße 33, das nahezu vollumfänglich aus dem ressourcen-  Gemeinschaftsraum und der kollektiven Dachterrasse. Ergänzt werden die Pilzstützen
             schonenden Baustoff Holz bestehen wird, inklusive Treppenhaus und Aufzugsschacht;   heute durch Rundholzstützen – Durch die geschälten Fichtenstämme vor der Fassade
             und das ehemalige Weinlager von Coop an der Weinlagerstraße 11, das von 2020 bis  wurden die Geschosse während des Umbaus temporär gestützt. Wie die Bestandstützen
             2023 durch Esch Sintzel Architekten aus Zürich zu einem Wohnhaus mit 64 Wohnungen   aus Beton behaupten sich auch die Holzstützen sichtbar im Raum.
             von 1,5 bis 7,5 Zimmern umgebaut wurde. Es bietet über 150 Menschen günstigen Wohn-
             raum. So ist auf dem einstigen Industrieareal Lysbüchel ein buntes Stück Stadt entstan-  Ökologische Verantwortung
             den, das geprägt ist von Kleinräumigkeit, architektonischer Vielfalt und Durchmischung
             – eine qualitativ hochwertige Wohnumgebung für Menschen aus verschiedensten fami-  Neben der entwurfsbestimmenden Ausdruckskraft der bestehenden Struktur motiviert
             liären Lebenssituationen, sozialen Schichten, Einkommens- und Altersgruppen.  auch die ökologische Nachhaltigkeit dazu, sorgsam mit dem Bestand umzugehen. So
                                                                          können durch die Weiterverwendung der alten Struktur 42 Prozent an grauer Energie
             Pilzstützen bewusst in Szene gesetzt                         eingespart werden. Durch die Photovoltaikanlage und die Grundwasserwärmepumpe
                                                                          werden beim Gesamtenergieverbrauch zwei Drittel Autarkie erreicht. Auch im Rückbau
             Die mächtigen Pilzstützen des ehemaligen Coop-Weinlagers im Baseler Quartier Lysbü-  von anderen Elementen, beispielsweise Stahlstützen und Trapezblechen, wurden ökolo-
             chel erzählen auf eindrückliche Weise die Geschichte des Hauses. Sie bestehen, seitdem  gische Aspekte berücksichtigt. Sie wurden fein säuberlich getrennt, der Recyclingindust-
             das Gebäude im Jahr 1955 erbaut wurde, sind die prägnantesten Elemente des Bestan-  rie zugeführt oder im Falle des Trapezblechs sogar in anderen Bauten wiederverwendet.
             des und bilden den wichtigsten Ausgangspunkt des Entwurfs. Die in den 1970er-Jahren   Mit Blick in die Zukunft spielt auch das Thema der Rückbaufähigkeit eine besondere
             erfolgte, architektonisch wenig wertvolle Stahlbau-Aufstockung wurde indes abgerissen.   Rolle. So wurde zum Beispiel eine selbsttragende Balkonkonstruktion aus zusammen-
             Erhalten bleibt die entkernte Struktur des Baus aus den 1950er-Jahren – die zwei Unter-  geschraubten Metallstandardprofilen dem Gebäude vorgestellt. Außerdem sind die
             geschosse, das Erdgeschoss und drei Obergeschosse. Die Pilzstützen, mit ihrer kräftigen   Einbauten in den Wohnungen alle nichttragend ausgeführt – durch die hierdurch ent-
             skulpturalen Form, wirken dabei nicht nur statisch! Um ihre Wirkung trotz der Klein-  standene Nutzungsflexibilität lässt sich das Gebäude bei Bedarf wieder zu einem Lager-
             teiligkeit der neuen Wohnnutzung erlebbar zu behalten, werden sie in verschiedener   oder Bürohaus umbauen. Im Winter wird der Wohnraum über eine Fußbodenheizung
             Weise freigespielt und in Szene gesetzt: In den quer zur Gebäuderichtung liegenden   erwärmt, und im Sommer nutzt das System den Temperaturunterschied zwischen der
             Wohnungen ist ihre sperrige Monumentalität an sich ein Erlebnis; in der Sequenz sind   Innen- und Außenumgebung, um das Gebäude zu kühlen. Die Überdachung des Gebäu-
             sie in den beiden „Rues Intérieures“ (inneren Straßen), die das Haus in Längsrichtung   des ist beinahe vollständig mit einer 150-kWp-Photovoltaikanlage belegt.

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