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WOHNEN • LIVING
HAUS AM SEE
IN ZELL AM SEE
Entwurf • Design Rem Koolhaas, NL-Rotterdam
Im Œuvre von Rem Koolhaas sind nur wenige Privathäuser zu finden:
Es sind gerade einmal vier, von denen die jüngsten vor mehr als 30
Jahren fertiggestellt wurden. Und doch sind sie zu Ikonen geworden.
Nun kommt ein fünftes hinzu: Ein Wohnhaus am Hang, das selbst
der Stadtarchitekt der österreichischen Gemeinde Zell am See als das
bedeutendste Bauwerk seit der Kirche St. Hippolyt bezeichnete …
von • by Janina Poesch, Stuttgart
M it seiner groß angelegten Ausstellung „Countryside: The Future“ setzte sich Rem Kool-
haas 2020 zum Ziel, uns für die Dynamik des ländlichen Raums zu begeistern – ein
wiederentdeckter Ort, der in seinen Augen neue Freiheits- und Experimentierräume eröff-
net. „Die Zukunft liegt auf dem Land!“ war der Tenor, der durch das Guggenheim Museum
in einer der urbansten Städte der Welt (nach-)hallte. Und es scheint, als habe der nieder-
ländische Architekt seine damaligen Worte nun selbst unter Beweis gestellt. Zumindest
gleicht das Wohnhaus, das er für einen internationalen Technologieunternehmer entwarf,
einem wahrem Experiment. „Unbebaubar“ nannte dieser sein schmales Hanggrundstück
und forderte Koolhaas damit indirekt heraus. Entstanden ist ein Gebäude, das bloß vier
Meter breit ist, größtenteils unter der Erde liegt, sich langsam wie ein Fächer in der Land-
schaft auffaltet und am Ende mit einem spektakulären Blick auf den Zeller See aufwartet.
Auch wenn zwei Drittel des Gebäudes unterirdisch liegen, wirkt das Innere keineswegs
dunkel und gedrückt. Im Gegenteil: Geschickt gesetzte Verglasungen und ein fast 30 Meter
langes Treppenhaus sorgen für eine lichtdurchflutete Atmosphäre. Das mag auch am wei-
ßen Sichtbeton liegen, der Außen- und Innenwände, Zwischendecken, Dachschrägen und
den vier Meter auskragenden Balkon prägt. Generell verwendete Rem Koolhaas nur wenige
Materialien, und die feinen, weißen Oberflächen werden lediglich durch dunkles Holz,
glänzendes Metall, grüne Gitterroste und textile Vorhänge ergänzt. Letztere stammen – wie
eine Reihe maßgefertigter Möbel – von Koolhaas’ Partnerin Petra Blaisse, strukturieren die
Räume, verleihen ihnen aber auch Flexibilität und betonen ausgewählte Perspektiven auf
die alpine Umgebung. Damit sich die Wohnfläche dynamisch an die Bedürfnisse der Fami-
lie anpassen lässt, sorgte der Architekt zudem für Überraschungsmomente: Bewegliche
Elemente wie ein versenkbarer Tisch, innovative Türlösungen, transparente Bodenplatten
und gezielte Ein- und Ausblicke holen das Maximum aus den 280 Quadratmetern heraus.
So entfaltet sich über drei Geschosse ein rhythmisches Raumkontinuum, und das Experi-
ment, auf kleinem Raum Großes zu bewirken, ist definitiv aufgegangen.
096 • AIT 3.2024