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WOHNEN • LIVING

































            MAGIC BOX APARTMENT

            IN VILADECANS



            Entwurf • Design Raúl Sánchez Architects, ES-Barcelona


            Drei-Generationen-Revival: Mit Frau und Töchtern zieht der Bauherr
            zurück ins Haus seiner Eltern, in das frisch renovierte Erdgeschoss,
            in dem seine Großeltern lebten, als er selbst noch ein Kind war. Mit
            einer klaren Raumgliederung, reduziertem Formenkanon, deckenden
            Farben, Spiegelflächen und einer „Magic Box“ lassen Raúl Sánchez
            Architects die traditionelle Wohnform in neuem Glanz erstrahlen.



            von • by Stephan Faulhaber
            D   a lacht das Herz des Architekten – seit der Freilegung der Deckenkonstruktion verfügt
                das 110 Quadratmeter große Parterre nicht nur über eine lichte Höhe von über drei
            Metern, sondern auch ein ehrliches Interieur – beim Sichtbarwerden einer Kappendecke.
            Mit großer Sorgfalt leitete Raúl Sánchez die Arbeiten in dem 1917 erbauten, zweigeschos-
            sigen Eckhaus nahe der katalanischen Hauptstadt. Unberührt blieb das von den Großel-
            tern bewohnte, obere Stockwerk. Alle Räume sind entlang einer zentral verlaufenden Be-
            standswand organisiert, die den Grundriss längs untergliedert: in Eingangshalle, Flur und
            Küche westseitig und in Bäder, Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer ostseitig. Neu und be-
            sonders sind die Raumstaffelung und -erschließung in der Osthälfte: Orthogonal zur Längs-
            achse unterteilen die schmalen Sanitärräume die Aufenthaltsräume, die – trotz ihrer Ei-
            genschaft als Durchgangszimmer – über einen zweiten, seitlichen Zugang verfügen. Im Kin-
            derzimmer aber trennt eine 210 Zentimeter hohe, goldene „Magicbox“ – Glanzstück und
            Namensgeber des Entwurfs – den Raum in zwei gesonderte Zonen für die fünf und sieben
            Jahre alten Töchter. Hinter der glänzenden Messingverkleidung verstecken sich vier
            Schränke, die paarweise angeordnet einen zentralen Durchgang ausbilden – eine Art Ge-
            heimgang! Reichlich Platz also für die Kleidung und die Vorstellungskraft der Mädchen.
            Bereits beim Umbau seiner eigenen Wohnung Residence 0110 setzte Sánchez das schim-
            mernde Blech als kastenförmige Stützenverkleidung wirkungsstark ein. Doch bringt dieser
            begehbare Kleiderschrank der etwas anderen Art noch mehr mit sich als nur eine Steige-
            rung der Raum- und Materialkomplexität: Die Allegorie der Geschwisterliebe, wenn beim
            Öffnen der übergroßen Schatulle die größte Kostbarkeit in Form des Schwesterchens zum
            Vorschein kommt. Durch die meterhohe Öffnung zwischen Raumteileroberkante und Kap-
            pendecke setzen Schall und Licht ihren Kurs fort. So sind trotz der Sichttrennung auch wei-
            terhin Unterhaltungen möglich, und das diffuse Streiflicht sorgt ungehindert für einen at-
            mosphärischen Schattenwurf entlang der flachen Tonnengewölbe. Eine private und den-
            noch verbandelte Sphäre, die den Kindern Nähe und Geborgenheit kommuniziert.

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