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VERKAUF UND PRÄSENTATION • RETAIL AND PRESENTATION

































            BROTHANDLUNG GRAU

            IN STUTTGART



            Entwurf • Design SOMAA, Stuttgart


            Die Lage am Stuttgarter Schillerplatz ist attraktiv, die reine Verkaufs-
            fläche eher bescheiden, die Miete wahrscheinlich nicht: Die Räume
            einer ehemaligen Weinhandlung gestalteten Hadi A. Tandawardaja
            und sein Team von SOMAA für ein Fellbacher Familienunternehmen
            so um, dass sowohl die Außenwirkung, als auch das Interieur dessen
            hohen Anspruch an Kreativität, Frische und Ästhetik widerspiegelt.



            von • by Petra Stephan
            G   eschichtsträchtig ist es, das Haus König von England am Stuttgarter Schillerplatz.  Im
                16. Jahrhundert erbaut, beherbergte es 1712 das erste Kaffeehaus Stuttgarts „König
            zu England“, bis es 1798 zum Gasthof umgebaut wurde. Hier übernachtete bereits Chopin
            auf einer Durchreise. Bis zur kriegsbedingten Zerstörung 1944 galt es als das prächtigste
            Fachwerkhaus Stuttgarts. Unter Leitung des Architekten Karl Gonser (1902–1979) wurde
            von 1954 bis 1956 auf dem alten Grundriss das heute unter Denkmalschutz stehende Ge-
            bäude als viergeschossiger Laden- und Büroneubau errichtet, 2011 aufwendig durch
            Orange Blu saniert. Bauzeittypisch ausladende Schaufensterkästen mit Messingprofilen
            schmücken die kleine Ladenzeile in Verlängerung der Arkaden der benachbarten Markt-
            halle und verschaffen der nur 35 Quadratmeter großen Ladenfläche etwas Luft. So kann
            die von SOMAA entworfene, soeben eröffnete Brothandlung Grau in einen Verkaufsraum
            und einen kleinen Barbereich gegliedert werden. Diese Aufteilung hatte sich schon beim
            Vormieter, einer Weinhandlung (AIT 3.2013, S. 118) bewährt. Während der Blick durch die
            Schaufenster und auf das in den Auslagen präsentierte ehrliche Handwerk ein über-
            zeichnet reales Abbild eines Verkaufsraums bietet, überrascht beim Betreten der Räume
            ein Feld aus Weizenähren, das den Kunden goldgelb und surreal von der Decke hängend
            begrüßt. Vielleicht ist es ein Sinnbild für unsere zurzeit etwas auf dem Kopf stehende
            Welt? Weiße Deckenleuchten ragen aus dem Feld heraus und tauchen den Raum in ein
            sanftes Licht. Vor den malachitgrün getünchten Wänden lenkt der knallgelb geflieste, im
            Raum stehende Warenträger die Aufmerksamkeit auf ausgesuchte Produkte, die auf aus-
            kragenden Konsolen präsentiert werden. Elegante Backwaren und fein belegte Brote
            werden auf der grünen Natursteinplatte einer ganz in Schwarz gehaltenen Verkaufstheke
            zum appetitlichen Blickfang. In den Barbereich gelangt die Kundschaft über einen
            schmalen, niedrigen Durchgang. Dort wird sie Teil einer intimen Runde, der durch den
            vollverglasten Schaukasten ein großes Maß an Öffentlichkeit zukommt. Das macht die
            Bar zu einem der urbansten Orte der Stadt und den Gast zum still genießenden Voyeur.

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