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REDINGS ESSAY
DAS LAND
BAUT FÜR SIE
Ein Essay von Dominik Reding
D arüber reden wollte er nie. Dabei kannte ich ihn gut, sogar bis auf Haut-Nähe kam ein öffentliches vollzogenes „Schauspiel“ war und dann erst hinter dicke Gefängnismau-
er mir nah. Es blieb lange bei einem einzigen, mürrisch-gegrummelten Satz: „Sie-
ern – ins Geheime, Versteckte, Uneinsehbare – verschoben wurde. Lerne, dass sich der
ben Jahre, in Kiel”. Erst hatte er mich ein paar Mal tätowiert, dann hatten wir bei ihm Ort des Wegsperrens erst Kerker, dann Zuchthaus, dann Gefängnis, dann Haftanstalt und
gedreht, in seinem Tattoo-Studio, einen Kurzfilm, das Studio als Filmset. Nur einmal, bei seit 1977 mit der Einführung des Sprachungetüms „StVollzG” (Strafvollzugsgesetz) Justiz-
einer ausdauernden Tattoo-Sitzung, sprach er mehr darüber, zwei Sätze. Ich hatte ihn vollzugsanstalt nennt. Lerne, dass Zellen sieben Quadratmeter „groß“ sein müssen und
nach der seltsamen Tätowiernadel gefragt, die so demonstrativ über dem Kassentresen nicht mehr Zellen, sondern Hafträume, und Gefangene nicht mehr Gefangene, sondern
hing. „Die habe ich mir selbst gebaut, aus einem Rasierermotor, einer Nähnadel und ein Insassen genannt werden sollen. Erfahre, dass die ersten „modernen“ Gefängnisse um
paar Büro-Gummibändern. Meine erste Tattoo-Maschine, damals im Knast.” Hui, das 1830 in England, die meisten Neubauten dann aber ab 1871 bis 1900 in Deutschland
passte zum „Image“: Der Tätowierer, der mit seinem Studio nur ein paar Straßen neben errichtet wurden, dass die Prügelstrafe erst 1923 abgeschafft, der Gedanke einer Resozia-
der Reeperbahn residiert und „Knasti“ war. Ich gebe zu, die Vorstellung gefiel mir. Sofort lisierung erst 1977 mit der Einführung des StVollz.G hinter den Stacheldrahtzäunen Einzug
fragte ich nach: „Was hast du gemacht? Wofür die sieben Jahre?“ Aber es blieb bei einem hielt und sich seit dem Jahr 2000 die Menge der Gefängnisneubauten fast verdoppelt hat.
abwehrenden Kopfschütteln. Später, nach weiteren Tattoo-Terminen und dem Filmdreh Fotografien aktueller Bauschilder künden davon: „Hier baut das Land für Sie“. Für die
sagte er noch: „Ich werde nie wieder im Leben um sechs Uhr aufstehen“, und das war´s. späteren Insassen eine Ankündigung ohne Ironie. Und ich entdecke, dass es Architektur-
Dann, nur ein paar Monate später, schloss er sein Studio und zog nach Asien. Da sei büros gibt, die sich auf Gefängnisarchitektur spezialisiert haben und Kritiken ernten, wie:
es, im Gegensatz zu Deutschland, „nicht so kalt“. Mit ihm entschwand das Knast-The- „Die freundliche Atmosphäre soll Zuwendung spürbar machen“ oder „Die Flure mit ihren
ma. Diese karge, kulturlose, düster-sachliche apfelgrün-, brombeer- oder türkisfarbenen Böden
und absolut männlich funktionierende Welt der machen atmosphärischen Mehrwert sichtbar, ein
Gefängnisse lag mir bravem Mittelklasse-Kid aus Mehrwert, von dem auch die Angestellten profi-
der Mittelstadt-Vorstadt nicht. Nur ein Gedanke tieren“. Ich atme tief durch. Spüre, dass die Dop-
blieb und bleibt: da nie hinkommen! Bis es vor pelfunktion von Haftanstalten – dem Bestrafen,
ein paar Wochen an meiner Haustür schellte: Ein dem Wegsperren und der gleichzeitigen Forde-
mir unbekannter Mann, um die 30, mit schwar- rung nach Resozialisierung – weder ethisch noch
zem Wuschelhaar und dichtem Bart stand nervös gar von Architekten zu lösen ist. „Kann Gefäng-
vor der Tür und lächelte unverbindlich. Er sagte, nisarchitektur Strafgefangene zu besseren Men-
er sei Schauspieler für Film und Fernsehen. Er schen machen?” „Zu schlechteren Menschen,
habe gehört, dass ich hier wohne und Regis- das auf jeden Fall!” Mein Klempner sagt es mir
seur sei, und fragte, ob ich (er duzte mich von am Telefon. Aufgebracht habe ich ihn angerufen,
Anfang an), vielleicht in Zukunft, eine Rolle für auf der Suche nach Aufklärung. Ich wusste, auch
ihn hätte. Dann nannte er noch höflich seinen er hatte mal vor Jahren im „Internat“, wie er die
Namen, einen arabischen, schwer auszuspre- Vollzugsanstalt nannte, eingesessen. „Die alten
chenden und kaum zu merkenden Namen. Ich Knäste sind die Schlimmsten. Diese Backstein-
ließ ihn ein, trotz eines leichten Unbehagens. burgen. Die sagen dir: Du bist Dreck! Die Fenster
„Film und Fernsehen“, das sagen viele, selten so hoch, dass du nicht rausgucken kannst, kaum
stimmt es. Also die vorsichtige Nachfrage: „Mit Tageslicht, die Betten gemauert und Ratten und
wem hast du denn schon gearbeitet?“ Und tat- Foto: Benjamin Reding Schaben überall.” „Hat Architektur überhaupt
sächlich, er nannte Namen, auch große Namen, eine Wirkung? Wird sie von den Insassen wahr-
selbst Theater, und ja, auch Film. Und dann, viel- genommen?” „In den neuen JVAs kannst du bis
leicht spürte er meine Zweifel, behauptete er, er habe zuvor im Knast, dem umstrittenen an Fenster herantreten, wirklich rausgucken, und es gibt da nichts, was rot oder schwarz
Neubau am Rand der Stadt, gesessen und darüber ein Buch geschrieben. Den Bestseller gestrichen ist. Nichts soll dich da aggressiv machen. Passiert aber natürlich trotzdem.
würde ich ja bestimmt kennen, den kenne jeder. Ich nickte, aber die Wahrheit war: Nein, Wer nicht brutal drauf ist, wer sich brav fügt, der geht im Knast unter.” „Aber kann dort
ich kannte ihn nicht. Ich stellte keine voyeuristischen Nachfragen. Aber ab jetzt war da jemand überhaupt besser werden?!” Die Antwort kommt ohne Zögern: „Nein, keiner.”
ein Unbehagen. Was, wenn es stimmt? Was will der „Knasti“ bei mir? Wonach sucht Vier Wochen ziehen ins Land, der Herbst kommt, die frühen, dunklen Abende. Es klingelt
er eigentlich, wenn nicht nach einer Filmrolle? Ich wurde wortkarg. Dann legte er sein an der Wohnungstür. „Mein Sweatshirt, das nehm’ ich jetzt mit”, sagt mir der arabische
Sweatshirt beiseite. „Das lasse ich bei dir! Ich gehe noch auf ´ne Party. Ich hol’s dann „Schauspieler”. Ich öffne, zögerlich. Er setzt sich, ich hole sein Kleidungsstück. Er will
irgendwann wieder bei dir ab, ok?“ Was soll man antworten? „Ok“, sagte ich. Dann ging nicht sofort gehen, streckt sich und erzählt: „Theater, Schauspielen das kannte ich nicht,
er, höflich-freundlich. Ich packte das Sweatshirt in die hinterste Schrankschublade und das hab’ ich erst im Gefängnis gesehen. Da gab es einen Workshop, mit Theater-Profis.
suchte unruhig im Internet nach seinem Namen. Seinem arabisch klingenden Namen. Da bin ich hin, eigentlich nur, um mal weg vom Knastalltag zu kommen.” Er zieht das
Ich hatte ihn mir nicht richtig gemerkt. Es blieb nur die Suche mit Begriffen: Gefängnis, Sweatshirt über, „kalt da draußen”, und erhebt sich. „Melde Dich, wenn Du ’ne Rolle für
JVA-Neubau, Schauspieler und mein Lieblingssuchwort: Architektur. Dieses Mal in der mich hast, ok?!” In der offenen Tür drückt er mir noch ein Heftchen in die Hand, grüßt
Variante: Gefängnisarchitektur. Da blieb ich hängen, tauchte ein in die fremde Materie: und geht. Ich betrachte das Gedruckte: Ein Presse-Reader zu einer Krimiserie. Sein Por–
Lese, dass Gefängnisse erst eine Erfindung der Neuzeit sind, dass Strafe bis dahin stets trätfoto ziert das Cover: Er spielt den Assistenten der Kommissarin.
062 • AIT 12.2024