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Redings Essay
KÖNIGIN
DER MODS
Ein Essay von Dominik Reding
R ita ist Mod. Nein, das ist kein Tippfehler und sie ist auch nicht Mitglied in einem gerade um, sagte sie dann, sie richte sich neu ein, es werde ein Jacobsen-Apparte -
ment ganz im skandinavischen Stil der 1960er-Jahre.
„Militärischen Organisationsdienst“ oder im „Ministry of Defence“ und eigentlich
ist sie kein Mod, sie war Mod, aber letztlich bleibt man es doch fürs ganze Leben. „Willst Du mit zum The-Who-Konzert?“ Wieso fragte ihre Clique mich? Ich war kein
Einmal Mod, immer Mod, hieß es damals. Aber das hat sie vergessen. Bestimmt. Mod, Mod, trug keine Anzüge und fuhr nicht mal einen Roller. „Wir haben noch einen Platz
das war mal sehr wichtig. Besonders für die jungen Menschen, die es waren. Die Mods. frei, wenn Du Dich am Sprit beteiligst.“ Okay, deshalb. Ich kam mit. In die Konzerthalle
Dann hörte man Musik von „The Who“ oder „The Jam“, trug schicke Klamotten aus den der Nachbarstadt. Und während die anderen lauthals „My ge...ge...generation“ mitstot-
1960er-Jahren, die Jungs Anzüge, die Frauen Cocktailkleider und draußen Parka mit terten, verschwand Rita in den dunklen Stadthallenfluren und kehrte mit zwei
Pelzkragen. Und man fuhr, das war die Bedingung, nur dann durfte man sich mit Plastiktütchen zurück. Pillen! Ihre Kum pels jubelten. Dann, heiser und durchgeschwitzt,
Anstand Mod nennen, einen Roller, wahlweise Vespa oder (seltener und darum cooler) fuhren wir zurück. Warum musste es auch so kalt werden? Warum musste die Fahrbahn
Lambretta. Rita fuhr Lambretta. Eine weiße Lambretta mit viel Chrom und einer ganzen vereisen? Warum musste der VW-Polo wie ein betrunkener Schlittschuhläufer
Handvoll Rückspiegeln, wie es sich für den Roller eines echten Mods gehörte. Mod, das schlingern? Erst waren wir auf der Autobahn allein. Aber wir blieben es nicht. Blaulicht
kommt von „Modernists“, ein Jugend kult aus dem England der 1960er-Jahre. Teenager, flackerte auf. Rita hätte die Tabletten herunterschlucken können, aber dafür waren es
die für Frankreich und die Existenzialisten schwärmten, Beatmusik hörten und Roller zu viele. Sie hätte sie hinter die Türverkleidung stecken können, aber sie bekam sie
fuh ren, weil es das einzige Transportmittel war, das sie sich leisten konnten, und lieber nicht ab, sie hätte sie aus dem Fenster werfen können, aber dafür waren sie doch viel
Auf putsch mittel in Pillenform konsumierten, als zu teuer. Also behielt sie die Pillen in ihren
im Pub Bier zu trinken, wie es ihre Eltern taten. Händen. Das Taschenlampenlicht des Poli zis ten
Dann verschwand der Kult und erlebte 20 Jahre traf die Plas tiksäckchen sofort. Eigent lich hät te
später ein Come back: Die Rockband „The Who“ Rita der Gerichtssaal gefallen können: Teak holz -
machten einen Kinofilm über die Mods und sie - paneele, strenge, knappe Linien führung, raum -
he da, selbst in der bundesdeutschen Provinz tru- hohe, sprossenlose Aluminium fens ter, Stahl -
gen Schüler plötz lich wieder schwarze Anzüge, rohrstühle mit Bugholzlehnen. Pures 60er-Jahre-
schnitten sich die Haare zu Pilzkopf frisuren und Design. „Wie von Egon Eiermann“, sagte ich,
übten sich im läs sig-gelangweilten Herumstehen, stolz auf den ersten Namen, den ich mir gemerkt
Pillenschlu cken und Rollerfahren. hatte. Aber Rita lachte nicht und hörte auch nicht
Rita, schon ihr Name passte perfekt. Klang er zu. Der Richter verlas die Anklage schrift: Verstoß
doch so nach den großen, traurigen Augen von gegen das Betäubungs mittel gesetz. Von ihrer
Rita Tu shingham, nach „Lovely Rita“ von den Mod-Clique war keiner gekommen. Lustlos tat
Beatles, nach 60er-Jahre-Coolness, nach Art and ihr Pflichtverteidiger seine Pflicht, lustlos hielt
Style. In ihrer Mod-Clique war Rita die Königin, der Staatsanwalt sein Plädoyer, dann er ging das
rauchte Zi ga rette mit Spitze, lachte selbstbe- Urteil: 100 Sozialstunden und eine Geld strafe.
wusst und ver teilte großzügig jene aufmuntern- „Kein Knast ...“, ihre Stimme zitterte. Nach her
den Pillen, die in der Mod-Szene so wichtig und stand sie allein vor dem Gerichts ge bäu de. Sie
in der Provinz so schwer zu bekommen waren. rauchte, die zerlesenen Akten unter dem Arm.
Mich mochte sie gar nicht. Mit süß-saurem Foto: Benjamin Reding “Komm, ich fahre dich heim“, sagte ich.
Lächeln quittierte sie al le Kommunikations ver - Sie vergaß, mich vor der Tür zu verabschieden.
suche. Einmal, als ich sah, dass sie etwas zeich- Eine Hochhaussiedlung am Stadtrand. Grauer
nete (und sie zeichnete gut) sagte ich: „Du musst unbedingt was mit Kunst machen.“ Kratz putz, ausgetretene Betonstufen. Ich ging mit hinauf. Aus der Wohnung drang der
Sie schaute mich an, so, wie ein Irrenarzt seine unheilbaren Fälle betrach tet und Sound einer Game-Show, es roch nach Bier und saurem Kohl. Jemand schaute
antwortete: „Ich will keine Kunst machen, ich will Kunst kaufen.“ Das war noch Fernsehen. „Aber nicht wieder so laut mit der Musik!“ „Ja, Papa.“ Sie öffnete die Tür am
etwas, was die Mods von anderen Jugendkulturen unterschied. Konsum war für sie Ende des schmalen Flurs. Ihr Zimmer. Zehn Quadratmeter, mit einem Fenster, nach
okay. Sagten die Punks, zerschlagt eure Möbel und werft sie aus dem Fenster, und die Norden. Ein Bett an der Wand, ein Schreibtisch unter dem Fenster. Kaufhausmöbel,
Hippies, malt sie bunt an und fliegt damit zum Mars, und die Bhagwan-Jünger, resopal-beschichtet, abgeschabt und bestoßen. Sie hockte sich auf den einzigen Stuhl.
verzichtet auf allen Besitz, gehörte bei den Mods die gepflegte Einrichtung des Von diesem dänischen Designer mit dem Knäckebrotnamen. Ihrem fehlte die Lehne.
Jugend zimmers zum guten Ton. Rita kannte sich auch damit aus, sie nannte ihre Rita atmete tief aus, wischte sich die Erschöpfung aus dem Gesicht und bemerkte mich
Wohnung nicht ihre Wohnung, sondern ihr „Appartement“ und warf mit exotischen jetzt erst, und jetzt erst mich in ihrem Zimmer. „Der Umbau ... der ist noch nicht fertig
Begriffen nur so um sich. „String-Regal“, „Jacobsen-Stuhl“, „Eames-Chair“, ...“, ich nickte. „Da kommen noch Charles-Eames-Sessel rein und Panton-Lampen und
„Eiermann-Tisch“, „Pan ton-Lampe“ „Schneewittchen sarg“ und das alles damals, als Bilder von Roy Lichtenstein.“ Ihre Stimme wurde leiser und nach einer Pause sagte sie:
ich „Arne Jacobsen“ noch für ein dänisches Knäckebrot und „Roy Lichtenstein“ für „Danke.“ Dann schwieg sie. „Weißt Du, bei uns in der Aula, da stehen noch ein paar
den Namen eines abgetakelten Schlagersängers hielt. Nur Treff en und Partys, wie es von diesen Arne- ... Arne-Stühlen rum. Davon bring ich einen mit. Soll ich?“ „Ja“, sagte
ihre Mod-Kumpane bei sich zu Hause veranstalteten, die gab es bei Rita nie. Sie baue sie. „Aber nur, wenn er echt ist.“ Und lachte. Das erste Mal heute.
052 • AIT 12.2017