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SERIEN LEHRJAHRE BEI ... • WORKING AT ...
r Welches sind bis dato die persönlichen Highlights Ihres Berufslebens?
Eines meiner ersten Projekte, an dem ich in der Entwurfs- und Genehmigungsplanung
mitgearbeitet habe und das mich sehr beeindruckt hat, war das Museum Aan de
Stroom (MAS), das neue Museum für Stadtgeschichte im belgischen Antwerpen. Im Her-
zen der alten Docks wurde es als 60 Meter hoher Spiralturm entworfen. Rolltreppen
bringen die Besucher bis zur Turmspitze, wobei sich immer wieder neue Stadtpanora-
men entfalten. Bei diesem 2006 fertiggestellten Projekt habe ich gelernt, wie wichtig das
Zusammenspiel aller möglichen Entwurfsmittel von Skizzen über Modelle bis hin zu 3D-
Computerzeichnungen ist, um herausragende Architektur zu schaffen. Und ich habe
meine Leidenschaft und Begabung für den Modellbau entdeckt. Hervor ging das Projekt
aus einem 1996 gewonnen Wettbewerb. Ebenfalls über zehn Jahre – vom Wettbewerb
(2006) bis zur Fertigstellung (2016) – erstreckte sich das Projekt Rathaus Deventer in den
Niederlanden. Das Gebäude fügt sich harmonisch in den mittelalterlichen Stadtkern ein.
Es bildet eine Passage im Stadtblock. Diese verbindet verschiedene Bereiche der Innen-
stadt und endet auf einem öffentlichen Platz. Das Gebäude ist als State of the Art-Projekt
Foto: Scagliola Brakkee r Sie mussten aber auch erfahren, dass vielversprechende gewonnene Wettbe-
konzipiert und entspricht den höchsten Anforderungen an nachhaltiges Bauen.
Ja, NRA haben schon mehrfach Wettbewerbe für große Konzertsäle gewonnen und bis
Rathaus von Deventer in den Niederlanden • City hall in Deventer in the Netherlands werbe nicht immer umgesetzt werden konnten ...
in die Genehmigungsplanung hinein daran gearbeitet, aber das Gewinnen eines Wett-
bewerbes bedeutet nicht unbedingt, dass das Projekt auch realisiert wird. Politik und
Wirtschaft haben oft einen großen Einfluss darauf. Herausragende Projekte wie Musica
Ljubljana und das Spuiforum in Den Haag sind nur zwei Beispiele, die diesen Faktoren
zum Opfer fielen. Der Entwurf für das neue Spuiforum besteht aus einem Konzertsaal
mit 1800 Sitzplätzen, einem Opern- und Tanzsaal mit 1100 Plätzen und einem Ensem-
ble-Saal mit 700 Plätzen – aufeinandergestapelt und eingebettet in flexible Studios und
Unterrichtsräume. Das Herz des Gebäudes formt ein monumentaler „Treppenberg“.
r Sie sind Senior-Architektin und Modelspezialistin. Wie hat sich das Bauen selbst,
aber auch das Entwerfen und Planen in Ihrer Berufszeit verändert?
Durch den härter gewordenen Wettbewerb und globale Herausforderungen verändert
sich der kreative Prozess. Aufwendige „Kunst“, wie wir sie bei NRA machen, hat es
heute schwerer. Unter enormem Zeitdruck und bei steigender Kosteneffizienz kreative
Details auszuarbeiten, ist herausfordernder denn je. Dabei macht das Entwerfen unse-
ren Beruf doch so interessant und einzigartig. Modellbau ist ein Entwurfswerkzeug und
Modellfoto: NRA Eines von Julias Highlights: Museum für Stadtgeschichte Antwerpen (MAS) • englisch war und wird immer Teil des Entwurfsprozesses bleiben. Viele Auftraggeber sind immer
noch begeistert von Arbeits- und Präsentationsmodellen. Nicht jeder kann Pläne lesen
oder ist überzeugt von glänzenden Renderings. Aber natürlich benutzen wir auch mehr
Modell des Museums für Stadtgeschichte Antwerpen (MAS) ... • Model of the Antwerp museum of city history ... und mehr neue Medien. Es ist ein ständiger Wechsel und Austausch zwischen Modell,
Computerzeichnung, 3D und Skizze, um bestmögliche Resultate zu erzielen.
... und Foto des 2006 fertiggestellten Gebäudes • … and photo of the MAS-building completed in 2006
r An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?
Derzeit arbeite ich am Amsterdam Museum, einem Projekt, das Fingerspitzengefühl für
die Geschichte der Amsterdamer Innenstadt benötigt. Bauen in solch einer historischen
Umgebung bringt seine ganz eigenen Herausforderungen mit sich. Mit dem Entwurf
wird aus dem ehemaligen Kloster und Waisenhaus im Herzen der Altstadt ein zukunfts-
weisendes Museum für die Stadt. Der historische Gebäudekomplex ist über die Jahr-
hunderte gewachsen und hat sich verändert. Das Museum erzählt die Geschichte Am-
sterdams. NRA verwandelt den Bestand mit einem multidisziplinären Designteam durch
Erweiterung, Renovierung und Sanierung in ein nachhaltiges, relevantes Stadtmuseum.
Die Baugenehmigung wurde in diesem Jahr eingereicht.
r Und wann ist ein Projekt für Sie gelungen?
Für mich ist ein Projekt gelungen, wenn alles so realisiert wurde, wie wir es ursprünglich
bedacht haben. Die Integration von Kunst ist bei uns, wie gesagt, sehr wichtig. Oft ar-
beiten wir im frühen Entwurfsprozess schon mit Künstlern zusammen, um zum Beispiel
außergewöhnliche Fassaden zu realisieren. Dies zeigen die Betonplatten der Modedesi-
gnerin Iris van Herpen beim Projekt Naturalis in Leiden oder die metallischen Fingerab-
drücke von Loes ten Anscher im Rathaus Deventer. Und das ist es auch, was NRA so an-
Foto: Sarah Blee ders macht. Gute Architektur bedeutet, die Extrameile zu gehen. Und wenn das Ge-
bäude endlich fertig ist, wenn es die Erwartungen und Ansprüche des Auftraggebers
übertrifft, macht es mich stolz, dass uns das erneut gelungen ist.
040 • AIT 11.2022