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Foto: Neutelings Riedijk Architects (NRA) Julia Söffing Neutelings Riedijk Architects Fotos: Frank Hanswijk
1977 geboren 1996–2003 Architekturstudium TU Berlin seit 2004 Neute-
1987 gegründet von Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk in Rotter-
lings Riedijk Architects, Senior-Architektin, zahlreiche internationale
dam seit 2020 geleitet von Michiel Riedijk (links) und Carl Meeusen, rund
öffentliche und kommerzielle Projekte, Modellbau- und Fotospezialistin
30 Mitarbeiter, komplexe Großprojekte mit stark lokaler Identität
Fotos: Scagliola Brakkee
Naturalis Biodiversity Center in Leiden mit Kunst am Bau der Modedesignerin Iris van Herpen • Naturalis Biodiversity Center in Leiden with art by the fashion designer Iris van Herpen
F rau Söffing, Sie arbeiten seit rund 18 Jahren durchgängig bei Neutelings Riedijk Brüssel, Europas größten Holzbau. Bis heute finde ich es sehr spannend, dass kein Pro-
Architects. Können Sie sich noch an Ihre erste Arbeitswoche erinnern?
jekt dem anderen gleicht: Auch nach über 18 Jahren entstehen mit jedem Auftrag immer
Alles war spannend und aufregend. Ein fremdes Land, eine fremde Sprache, mein erster wieder neue Herausforderungen.
Job nach dem Studium ... Ich war gerade frisch aus Berlin angekommen und empfand
es als Privileg, bei Neutelings Riedijk Architects arbeiten zu dürfen. Im Büro wurde ich r Wie haben sich das Büro und seine Aufträge in Ihrer Wahrnehmung in knapp zwei
sehr herzlich empfangen. Nur noch dunkel kann ich mich erinnern, woran ich in der Jahrzehnten verändert?
ersten Arbeitswoche genau gearbeitet habe. Wahrscheinlich war es die School voor NRA wird heute geleitet von Michiel Riedijk, unserem Creative Director, Carl Meeusen,
Scheepvaart en Transport, die Hochschule für Schifffahrt und Transport in Rotterdam. unserem Managing Director. Willem Jan Neutelings ging 2019 in den Ruhestand. In mei-
Kurz darauf durfte ich am Wettbewerb für das Musikforum Gent mitarbeiten, den wir ner Anfangszeit habe ich erlebt, wie das Büro auf über 40 Mitarbeiter wuchs. Die Wirt-
auch gewonnen haben. Spannend war für mich zu sehen, wie der Entwurfsprozess ent- schaftskrise bescherte dann auch uns einen Einbruch. Motivierend war der gute Zusam-
steht, dass in Teammeetings alle zusammenkommen und ihre Ideen auf den Tisch menhalt, um die Kreditkrise zu überstehen. Mittlerweile sind wir wieder gewachsen,
legen, egal ob Praktikant oder Projektleiter. Zusammen zu Mittag essen – in den Nieder- auf rund 30 internationale Mitarbeiter aus ganz Europa, Asien und den USA. Verändert
landen gang und gäbe –, war für mich neu. Brot, Aufschnitt und Salat wird durch das hat sich die Art und Weise zu arbeiten schon. Früher gab es mehr Zeit für Forschung
Büro organisiert, alle sitzen zusammen am Mittagstisch, dadurch findet man viel schnel- und intensivere Recherchen in größeren Teams, um ein Projekt vorzubereiten. Mittler-
ler Anschluss an die Kollegen und wird schneller Teil des Büros, eine sehr angenehme weile ist alles zielgerichteter und schneller geworden, aber wir forschen noch, gerade
Erfahrung. Stärker in Erinnerung geblieben sind mir einige persönliche Ereignisse aus zum Beispiel am 3D-Betondruck. Größtenteils arbeiten wir an öffentlichen Gebäuden –
den ersten Tagen: Gleich in der zweiten Nacht wurde ich in der Jugendherberge ausge- an Museen, Bibliotheken, Rathäusern, kulturellen Einrichtungen. Diese Aufträge resul-
raubt, Geld und Schmuck waren weg, auch das Fahrrad wurde gestohlen, und zu all tieren aus internationalen Wettbewerben. Heute erhalten wir auch Projekte über Direkt-
dem fiel mir noch ein Schlüssel in den Liftschacht, und ich brach mir einen Zeh. Ein un- aufträge, während Projekte früher nur aus Wettbewerben entstanden.
ruhiger Start – aber ich bin geblieben!
r Nicht ganz neidlos sieht man von Deutschland auf die Niederlande und auf das,
r In den Niederlanden gibt es zahlreiche interessante Architekturbüros. Was hat Sie was dort architektonisch „geht“. Woran liegt das?
dazu bewogen, Neutelings Riedijk Architects (NRA) treu zu bleiben? Tatsächlich „geht“ in den Niederlanden mehr im Vergleich zu Deutschland – oder sagen
Gut finde ich die Größe unseres Büros mit 20 bis maximal 40 Mitarbeitern. Dadurch wir besser, es „ging“ mehr. Auftraggeber hatten mehr Mut und vertrauten kleinen, her-
kennt jeder jeden, und man weiß immer, woran gerade gearbeitet wird. Das macht das anwachsenden, zielstrebigen Büros mit neuen Ideen. Sie trugen kreative, teilweise wag-
Büro angenehm familiär. Mir gefällt auch die Diversität der Mitarbeiter – und die Vielfalt halsige Entwürfe mit, die in Deutschland nicht so recht in Vorschriften und Schubladen
unserer Projekte. Unser Büro ist im Verhältnis zur Größe der Projekte klein. Denn wir passen wollten. Hier konnte man „buiten de lijntjes kleuren“, also „außerhalb der Li-
realisieren – im doppelten Wortsinn – große Architektur mit internationaler Anerken- nien malen“. Das ist heute auch in den Niederlanden nicht mehr so einfach. Um für
nung, wie beispielsweise das Museum für Stadtgeschichte in Antwerpen (MAS), das Rat- einen interessanten internationalen Wettbewerb ausgewählt zu werden, muss man für
haus zu Deventer, das Naturalis Biodiversity Center in Leiden, das Herman Teirlinck Ge- gewöhnlich mindestens ein ähnliches Projekt vorweisen können, um zu zeigen, wie
bäude in Brüssel – Belgiens größtes Passivbürogebäude – oder die Gare Maritime in man eine solche Aufgabe gelöst hat.
AIT 11.2022 • 039