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Marcus Zehle / HSP                                           Heinrich Eustrup / pbr


                Foto: Dietmar Strauß  1968 in Essen geboren 1989–1996 Architekturstudium an der TU Braun-  Foto: Christa Henke   1957 in Hannover geboren 1977–1985 Architekturstudium an der TU
                                                                                                  Braunschweig seit 1992 Mitarbeiter bei pbr Planungsbüro Rohling AG
                                     schweig seit 2005 Mitarbeiter bei HSP Hoppe Sommer Planungs GmbH
                                                                                                  seit 2010 Vorstandsvorsitzender der pbr Planungsbüro Rohling AG
                                     seit 2011 Geschäftsinhaber der HSP Hoppe Sommer Planungs GmbH




























                Die Bar im gläsernen Vereinsraum im Stil der 1950er-Jahre konnte im Originalzustand erhalten werden. • It was possible to preserve the bar in the glazed club room in the original state and the style of the 1950s.



                von • by Marcus Zehle und Heinrich Eustrup
                D     ie transparente Schwimmhalle mit leicht geschwungenem Stahlbetondach auf fi-  gesetzt. Auch die das Hallendach segelartig überspannende Dachkonstruktion aus
                                                                              einer für die Bauzeit innovativen Spannbetonkonstruktion war stark geschädigt und
                    ligranen Stahlstützen und schräg gestellten Glasfronten wurde 1959 bis 1964 nach
                Plänen des Architekten Manfred Lehmbruck (1913–1992), Sohn des bekannten Bildhau-  musste einer Betonsanierung unterzogen werden, um die Konstruktion vor weiterer
                ers Wilhelm Lehmbruck, erbaut. Mit dem Stadtbad setzte Lehmbruck seinerzeit Maß-  Chloridbelastung zu schützen. Zusätzlich wurde das Kaltdach in ein Warmdach mit
                stäbe für schöne, nutzerorientierte und flexible Architektur. Mit seiner von HAP Gries-  deutlich erhöhter Dämmstärke umgewandelt und dabei auf den heutigen energeti-
                haber bemalten Verglasung  wurde das Stadtbad im Jahr 2000 in  die Liste der Stuttgar -  schen Standard ertüchtigt. Dennoch konnte der filigrane Dachrand erhalten bleiben.
                ter Kulturdenkmäler eingetragen. Im Jahr 2014 entschied sich das Hochbauamt der
                Stadt Stuttgart, das Baudenkmal sanieren zu lassen. Ziel dieser Modernisierung war  Erhalt der raumprägenden Formen und Materialien
                es, das Bad unter Rücksichtnahme auf die schützenswerte Architektur einer zeitgemä-
                ßen Nutzung zuzuführen. Innerhalb einer Arbeitsgemeinschaft haben unsere Architek-  Um die Abdichtung zu erneuern, erfolgte im Bereich der Schwimmbecken ein vollstän-
                tur- und Ingenieurbüros gemeinsam die Objektplanung für die Sanierungsmaßnahmen  diger Rückbau bis auf die Rohkonstruktion. Die sogenannte Wiesbadener Rinne mit
                erarbeitet. Die Projektsteuerung lag in der Hand des Hochbauamts der Stadt Stuttgart.  ihrem tief liegenden Wasserspiegel und der darüber liegenden Handfasse wurden als
                Bis auf kleinere Eingriffe in den vergangenen Jahren befand sich das Bad zu Baubeginn  raumprägende Elemente wiederhergestellt. So auch das Beleuchtungskonzept von
                weitgehend im Originalzustand. So bestand das Ziel der Sanierungsarbeiten einerseits  Lehmbruck. Über an den Stahlstützen angebrachte Strahler mit starkem Indirektanteil
                darin, das noch junge Baudenkmal zu erhalten, andererseits die Nutzung als öffentli-  wird das Hallendach so in Szene gesetzt, dass es schwebend erscheint. Die Schwimm-
                ches Hallenbad für die nächsten Jahrzehnte sicherzustellen. Nach diversen Untersu-  halle ist besonders geprägt durch den Materialkanon der sandfarbenen Kleinmosaik-
                chungen sah die mit dem Landesamt für Denkmalpflege abgestimmte Planung vor, das  fliesen und die Teakholzverkleidungen oberhalb der dünenartig ansteigenden Tribüne.
                Gebäude zunächst energetisch zu sanieren, bauphysikalische und konstruktive Pro-  Auch im Bereich der Fliesen galt es, Sonderlösungen zu finden. So wurde das Regel-
                bleme zu beheben und die technische Ausstattung zu modernisieren.   format per Hand vor Ort auf ein spezielles Maß geschnitten. Die in den Umkleiden vor-
                                                                              handenen gefliesten Einzelkabinen und Spinde wurden zum Teil saniert. Ein anderer
                Sanierung der künstlerisch gestalteten Pfosten-Riegel-Fassade  Teil wurde durch Sammelumkleiden ersetzt, die den Anforderungen eines modernen
                                                                              Schwimmbades entsprechen. Im Bereich des Vereinsraums konnte die gestaltprägende
                Eine besondere Herausforderung stellte die Restaurierung der vom Künstler HAP Gries-  Theke im Originalzustand erhalten bleiben. Diese bildet mit grauen Resopal-Oberflä-
                haber gestalteten Isolierglasscheiben der Pfosten-Riegel-Fassade dar. Die Doppelver-  chen einen starken Kontrast zur bauzeitlichen Holzverschalung. Zudem konnte mit
                glasung wies starke Schäden durch Glaskorrosion und im Randverbund auf, sodass  neuen Ganzglas-Innenfassaden der Bestand behutsam modernisiert und ergänzt wer-
                das Fraunhofer Institut für Silicatforschung ISC mit der Entwicklung eines Restaurie-  den. Die heutigen Planungsanforderungen beziehen sich nicht nur auf die Ertüchtigung
                rungskonzepts beauftragt wurde. Für die Sanierung der Pfosten-Riegel-Fassade des  in konstruktiver und energetischer Hinsicht, sondern verlangen auch eine Erleichterung
                Schwimmbades wurden verschiedene Varianten untersucht, unter anderem die Ertüch-  der Nutzung für ein breiteres Bevölkerungsspektrum. Zur barrierefreien Überbrückung
                tigung als Doppelfassade sowie der Komplettaustausch und Einsatz der Glaskunst in  des Erdgeschosses und des Obergeschosses wurde ein Aufzug eingebaut. Ein Plattform-
                eine neue Fassadenkonstruktion. In Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmal-  lift dient der Überwindung des Höhensprungs zwischen dem Duschbereich und dem
                pflege wurde entschieden, die Aluminiumkonstruktion vollständig zu ersetzen. Ziel war  Beckenumgang. Weitere nutzungserleichternde Ausstattungen wie ein Leitsystem für
                es, bauphysikalische Schwachpunkte im Falzbereich der sanierten Glaskunstscheiben  Sehbehinderte und ein mobiler Beckenlifter wurden ebenfalls vorgesehen. Als öffent-
                zu minimieren und diese so langfristig vor neuen Schädigungen zu bewahren. Damit  liches Gebäude und als Versammlungsstätte entspricht auch das Brandschutzkonzept
                die neue Konstruktion nicht allzu massiv erscheint, wurde ein trapezförmiges Profil ein-  nach der Sanierung den heutigen Anforderungen.


                                                                                                                              AIT 11.2019  •  129
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