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VERKAUF UND PRÄSENTATION • RETAIL AND PRESENTATION
BEKLEIDUNGSGESCHÄFT
IN BRATISLAVA
Entwurf • Design D415, SK-Bratislava
Dieses Geschäft darf zu den wohlgelungenen gezählt werden. Weg
vom Schaufenster-Kaufgeheiß, vom geduldfeindlichen „Shopping-
Event“ und einer übersteigerten Produktinszenierung – zurück zum
gemütlichen Stöbern, dem eigentlichen Erlebnis. In einem Einkaufs-
zentrum in Bratislava zeigt ein Modegeschäft auf 200 Quadratmetern
Verkaufsfläche, wo die Nachhaltigkeit im Konsum versteckt liegt.
von • by Stephan Faulhaber
W omit beginnt man beim Lob auf die Innenarchitektur des Bekleidungsgeschäftes
SOM Store? Mit der Konstruktion und Materialität oder mit der Raumgliederung
und Warenpräsentation? U-Profile aus verzinktem Stahlblech, die im Trockenbau üblicher-
weise als Unterkonstruktion fungieren, prägen als sichtbares Gestaltungselement die ein-
drucksvolle Erscheinung des Raumes. Während sich ihr Achsmaß sonst dem Plattenras-
ter der Beplankung unterordnet, bilden die Stahlprofile, nun frei arrangiert, geschlossene
Wandflächen und mehrschichtige Kompositionen unter der Decke. Auch als einfassende
Schiene linearer Deckenleuchten finden sie Einsatz – durchweg eine gelungene Mischung
aus Ästhetik und Funktionalität. Besonders sind außerdem die einfache Montage und
Demontage der U-Profile. Ihr Produktlebenszyklus wird geschont, weswegen das Mode-
geschäft gewissermaßen einem Bauteillager gleicht. Ein (ehrliches) zirkuläres Konzept,
also die mögliche Nachnutzung des Interieurs – die hier zweifelsfrei gegeben ist – reicht
allein allerdings nicht aus, um einen Store nachhaltig zu gestalten. Verantwortet man bei
der Ladengestaltung auch nicht das Produktangebot, so kann die Innenarchitektur doch
einen erheblichen Einfluss auf Spontankäufe haben, die Kunden zu unüberlegten wie
unnachhaltigen Kaufentscheidungen verleiten. Peter Gonda von D415, Architekt Zoran
Samol und Ingenieur Luboš Šoška fassen und begrenzen die Verkaufsfläche mit klaren
Kanten. Die Wände sind im 45-Grad-Winkel zur Kontaktstrecke organisiert und bewirken
so Entdeckerfreude bei der Kundschaft. Erst beim Entlanggehen gelangt man von der
introvertierten zur extrovertierten Perspektive des Ladens. Nun präsentieren sich in den
gleichwertigen Zwischenräumen separat die Kollektionen slowakischer und tschechischer
Modedesigner. Bestimmt wird hier das Einkaufserlebnis und nicht die Kaufentscheidung!
Ein zentral platziertes Holzmöbel stellt Modezubehör aus und hat nebenbei die Funktion
einer Sitzbank, zum Beispiel zum Anprobieren der Accessoires oder als Zuschauerplatz
für kleine Modenschauen. Nachhaltig ist diese neutrale Retail-Architektur außerdem, da
sie den Verkauf verschiedenster Waren und somit unverändert eine Nachnutzung zuließe.
090 • AIT 9.2023