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Entwurf • Design Kulmus Bügelmayer Interior & Architecture, AT-Dornbirn
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                                                                           Standort • Location Schottengasse 6–8, AT-Wien
                                                                           Nutzfläche • Floor space 1.750 m 2
                                                                           Fotos • Photos Helge Kirchberger Photography; Marschall; Zumtobel
                                                                           Mehr Infos auf Seite • More infos on page 150




















                                                                                                                                       Foto: Edeltechnik Kluckner/Marschall



             Foto: Zumtobel



             Durch die Möblierung ergeben sich neue Sichtachsen. • The furnishings create new visual axes.  In den Seitenschiffen wurden Service-Stationen eingerichtet. • Service stations were set up in the side aisles.



             von • by Dietmar Kulmus & Bernhard Bügelmayer, AT-Dornbirn
             D   as heute als „Haus am Schottentor“ bekannte Gebäude wurde zwischen 1909 und  befinden sich geschlossene Sortimentsbereiche, die Kassenzone und – in Eingangsnähe
                                                                           – die hauseigene Backstube, die „Market-Kitchen“ sowie Convenience-Bereiche. Die The-
                 1912 nach einem Entwurf der Architekten Ernst Gotthilf (1865–1950) und Alexander
             Neumann (1861–1947) als Haupthaus des Wiener Bankvereins errichtet. Neumann hatte  kenarchitektur aus Black Inox arbeitet im Oktogon entlang der Peripherie mit totaler Re-
             bereits zuvor eine ähnliche Typologie für Bankgebäude entwickelt und war für derartige  duktion, um dem Raum mit seinem ornamental verlegten Marmor möglichst viel sicht-
             Bauvorhaben bekannt. In seiner Architektursprache mit Quadersockel und vergitterten  bare Fläche zu lassen. Im Zentrum, im Mittelpunkt der Deckenkuppel werden die Ver-
             Fensteröffnungen verkörpert das Bauwerk an der Wiener Ringstraße eine Trutzburg zum  kaufstheken dann kubisch mit geöltem Olivenholz akzentuiert. Dem großen Weinange-
             Schutz der darin verwalteten Vermögenswerte. Von 1934 bis 2002 war hier die „Credit-  bot wurde ein eigener, an das Achteck angrenzender Raum gewidmet. Dies entspricht
             anstalt-Bankverein“, danach die Zentrale der Bank Austria untergebracht. Im Zuge ihrer  der Wahrnehmung der Kundschaft, die den Markt als spezialisierten Weinhändler kennt.
             Absiedelung im Jahr 2017 erfolgte ein Gesamtumbau für die Umnutzung des Objektes.
             Die Kassenhalle im Mezzanin (wienerisch: Halbstock) wurde von Österreichs führendem  Vom konzerngebundenen Ladenbau zur Spezialanfertigung
             Hypermarktbetreiber Interspar für die Nutzung als Lebensmittelgeschäft übernommen.
             Der Innenraum entwickelt sich hierarchisch von einem mittig angeordneten Oktogon mit  Die Inszenierung der rund 1.750 Quadratmeter Verkaufsfläche stellt sich als gesamthaftes
              zwei daran angeschlossenen und basilikal erhöhten Hauptschiffen; diese werden jeweils  Zusammenspiel von Architektur, Möbelentwurf und Warenpräsentation dar, wobei im Ar-
              durch zwei flankierende, niedrigere Seitenschiffe ergänzt. Pfeilerarchitektur, Marmor und  beitsprozess die Präsentationstechniken laufend ausgefeilt und wechselseitig mit der Mö-
              archaisch anmutende Atlanten, die gebückt die Decke tragen, verkörperten die Strenge  belgestaltung abgestimmt wurden, um abschließend die dazu passende Beleuchtung zu
              und Sicherheit des Bankgeschäftes.                           erarbeiten. Zahlreiche Einrichtungen wurden speziell für diese Räume entworfen, da
                                                                           Standardlösungen des konzerngebundenen Ladenbaus vielfach ungeeignet waren, wie
             Vom Kassensaal zur Markthalle                                 beispielsweise für das große Angebot gekühlter Lebensmittel, das nun in veredelten Kühl-
                                                                           theken dargeboten wird. Für die Orientierung und Blickbeziehungen wurde die Höhe der
             Es war eine der Hauptaufgaben, die bauliche Botschaft dieses Raumes aufzulösen und  Einrichtung im vorderen Hauptschiff und im zentral gelegenen Oktogon niedrig gehalten,
             in ein trendiges, schickes, urbanes Innenstadtgeschäft zu transformieren. In der Diskus-  damit bereits im Eingangsbereich die Sichtverbindungen in die Tiefe des Raumes und
             sion mit dem Bundesdenkmalamt wurde bald klar, dass eine Arbeit mit spannenden Ge-  somit die Wahrnehmung des gesamten Verkaufsraumes gut gelingt. Die originalen Lüster
             gensätzen und Dialogen zwischen Alt und Neu nicht unterstützt, sondern der konservie-  der Kassenhalle aus dem Jahre 1912 wurden bereits in den 1930er-Jahren durch Nach-
             renden Philosophie des Denkmalschutzes Vorzug gegeben wird. Somit ist der niveau-  bauten und später durch neuzeitliche Leuchtstoffröhren ersetzt. Das neue Beleuchtungs-
             gleich durchgehende Steinboden im heutigen Verkaufsraum die einzige architektonische  konzept im gesamten Kassensaal wurde auf Grundlage historischer Bilder äußerlich wie-
             Veränderung der ehemaligen Kassenhalle, die in ihren erhöhten Seitenschiffen einst die  der in den Originalzustand zurückversetzt und technisch mit modernster LED-Technik
             Büroplätze hinter dem längs gerichteten Banktresen untergebracht hatte. Für die Klarheit  ausgestattet. In den Seitenschiffen wird die Beleuchtung durch Kunstlicht unterstützt,
              in Architektur und Design, aber auch für die Orientierung der Kundinnen und Kunden  welches das Tageslicht über die historischen Glasdecken angepasst an die Lichtverhält-
              sollten die Waren den durch die vorhandene Architektur vorbestimmten Zonen und  nisse automatisiert ergänzt. Die entwickelte Helligkeits- und Aufmerksamkeitshierarchie
              Raumtypologien zugeordnet werden, ohne dass dabei „Verwässerungen“ durch räumli-  sorgt durch eine präzise positionierte und inhaltlich klare Instore-Kommunikation für
              che Übergriffe entstehen. Im hohen Mittelraum wurden daher überwiegend frische Le-  eine optimale Kundenführung bis hin zur Kassenzone. Durch die intensive Zusammenar-
             bensmittel sowie spezielle Sortimente wie lokale und regionale Spezialitäten platziert.  beit mit regem Austausch zwischen dem Bauherren, dem konzerngebundenen Ladenbau
             Im mittig gelegenen Oktogon werden diese dann auch zusätzlich in Bedienung gereicht;  und den Architekten sowie durch die differenzierte Detailarbeit erstrahlt der bedeutende
             ebenso am Kopf des Langschiffes mit der Frischfleischtheke. In den vier Seitenschiffen  Wiener Ringstraßen-Prachtbau jetzt in einem lebendig-urbanen Glanz.

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