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REDINGS ESSAY
DER DUFT
IM KLEINHIRN
Ein Essay von Benjamin Reding
D as war ein trockener Sommer, sonnenvoll, regenlos, fast brutal. Jetzt ist er vorbei. Und das Einmalige, ja Unbeschreibliche des Porzellanladens war der Geruch, der hier, ohne
wir bringen sie heim. In unseren Koffern, unseren Kameras, selbst in der Kleidung:
Zweifel, ein Duft war. Fest hat er sich in mein kindliches Unterbewusstsein eingebrannt.
die Urlaubserinnerungen! Im Koffer als Miesmuschel vom Ostsee-Strand, als Schnee kugel Schnuppere ich Wachskerzen, bin ich wieder dort. Rieche ich Sandelholz, bin ich wieder
mit Kreml und Basilius-Kathedrale, als Eintrittskarte von der Mailänder Möbelmesse; in dort, rieche ich Leder, bin ich wieder dort. Blumenläden duften nach Blumen, Kleiderläden
den Kameras immer zu viele, für alle Zeit aufbewahrt und doch nie mehr betrachtet; und nach Baumwolle, Apotheken nach Isopropanol-Alkohol, Parfümerien nach Parfüm. Rosen -
in unserer Kleidung als Geruch, vielleicht als Duft, vielleicht auch als Gestank. Wir brau - thal verkaufte Glas und Porzellan, das riecht nach nichts. Also musste er etwas tun. Und
chen nur tief durchzuatmen und sind wieder da: im Dieseldunst von Karatschi, in den mit Gerüchen kannte er sich aus. Wer vor den Nazis geflüchtet ist, der weiß wie Angst
Eukalyptuswäldern hinter Sydney, an der Hafenmole auf Samos, überhaupt am Meer. Die riecht, wer bedroht wurde, weiß, wie Gewalt stinkt, und wer die Flucht überstanden hat,
Erinnerung quillt wie sämiges Sonnenöl an die Oberfläche. Wie riecht das Meer? Nach weiß, wie der erste Morgen in dem Land duftet, das dich aufgenommen und gerettet hat.
Seetang? Nach Fisch? Nach H2O? Salzig, es riecht salzig. Aber wie riecht Salz? Gerüche be - Herr Rosenthal kannte die Macht der Gerüche. Er machte sie sich zunutze. Nie wieder bin
schreiben, fällt schwer. Wie riecht Zimt? Wie riecht Lavendel? Wie riecht Erde? Und den- ich einer so perfekten olfaktorischen Laden-Kreation begegnet. Aber war es so? Gab es
noch, steigen die Geruchsmoleküle erst einmal in die Nase, kann man sich an Orten das wirklich? Zur Verkaufsförderung geplante Geruchskulissen? Oder war die Rosen thal -
wiederfinden, die Tausende Kilometer entfernt liegen, Räume betreten, die es nicht mehr sche Duft-Offenbarung doch nur ein Zufall? Sind die Gerüchte über Gerüche im Shop-
gibt; und Menschen begegnen, die längst entschwunden sind. Da reicht der Waschpul ver - Design vielleicht allesamt Fake News? Man hört da ja so manches. Es gäbe Autos, die
duft eines Handtuchs, um zurück in Mutters Kin - einen über die Ausdünstungen der Kunst stoff -
der badewanne versetzt zu werden, der Geruch sorten dazu bringen, die richtigen Knöpfe zu
von frisch verlegtem Linoleum und man übt wie - drü cken, und versteckte Düsen in den Lebens -
der das Bockspringen in der Grundschul-Turn - mittelabteilungen der Supermärkte, die auch
stunde, der Geruch von Zigarrenrauch und Köl - noch aus dem verschrumpeltsten Salatkopf eine
nisch Wasser und man sitzt wieder am Kaffee - Delikatesse zaubern.
tisch in Opas alter Wohnung. Aber es sind nicht Hier roch es nach Beton. Vielleicht auch so ein
nur Orte, Räume, Menschen, die mit Duftmo le - Trick. Frischer Beton, das riecht nach Bauen,
külen zurückkehren. Es sind die Gefühle. So Auf bruch, Zukunft, das soll Dynamik, Kraft und
stark, als wären sie keine sichere, wohlfeile Erin - Vertrauen vermitteln. Aber es war nicht so trick-
nerung, sondern machtvolle, fast bedrohliche reich. Das 1970er-Jahre-Bürogebäude wurde um -
Realität. Das Kinderglück im Badehandtuch, die ge baut, zwei Stockwerke kamen hinzu. Ich
Versagensangst in der Sportstunde, das Unbe - nehme die Stufen mit Schwung, durch ein
hagen an Opas strenger Kaffeetafel. Gerüche orange gekacheltes Treppenhaus, hinauf bis zur
sind die Bernsteine des Kleinhirns, gut sichtbar Bürotür von UNIT. Die Shopdesign-Trendsetter
und luftdicht versiegelt, die Brausetabletten des Berlins! Projekte im In- und Ausland, vom Bril -
Unterbewussten, kurz und heftig schäumen sie len laden bis zum Hotel, alles Einzelan ferti gun -
auf, um dann rückstandsfrei zu zerfallen. Wenn gen und alles absolut up-to-date. Die werden
man da doch rankommen könnte, die dunklen wis sen, wie sich das mit den Gerüchen und
Mächte nutzen. Könnte man mit Gerüchen deren Gestaltung so verhält. Und mir vielleicht
malen, es würde ein Bild des Rausches, des Foto: Benjamin Reding noch die Must-have-Farbe und den Geruch der
Glücks, der Ekstase. Und könnte man mit kommenden Design-Saison verraten.
Gerüchen Läden einrichten, dann ... Ich er wartete ein Labor hinter der Tür, antisep-
Schneetreiben in der Innenstadt. Die Kälte verschluckt den Dieselmief. Und meine Schuhe tisch wie eine Raumstation, voller Mitarbeiter in weißen Kitteln, die konzentriert und ge -
machen lustige Geräusche im Schnee: „krch, krch, krch“. Ich kam von der Grundschule, schäftig mit Reagenzgläsern und Erlenmeyerkolben voller olfaktorisch hochwirksamer
hatte gelernt, dass man „nass“ mit Doppel-S, aber „Fuß“ mit Eszett schreibt und fror. Sub s tanzen hantieren, erwarte Testpersonen, die mittels Duftproben zum Kauf von zwei
Bitterlich. Die Straßenbahn nach Hause fiel aus. Es ging mir wie dem Mädchen mit den linken Socken oder durchlöcherten Regenmänteln animiert werden, erwarte strenge Ma -
Zündhölzern, ich suchte nach Wärme und Schutz. Da sah ich es: ein Leuchten, Strahlen, terialkontrollen, damit keinem Verkaufstisch ein Odor von Harzer Käse oder Aal in Gelee
Glitzern! Kugeln, Sterne, Figürchen aus hauchdünnem Glas schwebten an unsichtbaren entströmt. Am Eingang begrüßen mich die Chefs, Frau Dertmann und Herr Dedecke, nicht
Drähten im Rechteck eines Schaufensters. Mein Atem dampfte, beschlug die Scheibe. Und in weißen Kitteln, dafür sommerlich entspannt. Bei der Trendfarbe wird man sich schnell
hier schon meinte ich es zu erschnuppern. Fein, süß, holzig, betörend. Ich trat ein. „Boah“, einig. Die Mid-Century-Töne sind im Kommen, Senfgrün zum Beispiel. Und der Trend-
sagte ich. Der Boden aus nachtblauem Schiefer, die Decke ein Firmament aus Glühbirnen, Geruch im Shop-Design? Sie grübeln, sie diskutieren. Dann die Antwort: „Olfaktorisch neu-
die Treppen ein Aluminium-Plexiglas-Gestänge, die Wände aus Mooreiche, Sessel aus tral. Wenn überhaupt, dann sollen die Produkte riechen, nicht die Wände.“ Erst bin ich
Stahlrohr und Leder, eine Galerie über drei Etagen, umstellt von Glas und Porzellan, kost- verblüfft, fast enttäuscht. Also doch keine Geheimdüsen mit Jasminblütenduft hinter den
bar, edel, zerbrechlich. Wie das Wohnzimmer eines Multimillionärs sah der Laden aus Ladenregalen. Aber schon im Kacheltreppenhaus hebt sich die Stimmung wieder. Mamas
und eigentlich war es das auch, denn sein Inhaber, Philip Rosenthal, war Multimillionär Handtuch, der Turnhallenboden, Opas Kölnisch Wasser, die Gerüche der Kindheit, die
und seine Villa, ein Schloss in Franken, soll ganz ähnlich eingerichtet gewesen sein. Aber Düfte und Gestänke unseres Lebens, sie gehören uns. Und uns allein.
060 • AIT 9.2018