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BDIA im
                                                                                                                       Gespräch mit:

                                                                                                                       Peggy Kastl,
                                                                                                                       BDIA Küste








                Wie viel smart ist eigentlich klug?      Smart Home: Wenn das Gebäude               „Smart Homes“ - ein Zukunftsthema?
                                                         mitdenkt                                   Ja, in jedem Fall, die Technisierung aller Lebensbe-
                                                                                                    reiche schreitet  voran und bei der Menge an  zur
                Wie bei allen Innovationen, die gesellschaftlich relevant  Intelligente  Technik verbindet Komfort, Sicherheit  Verfügung  stehenden  intelligenten  Bausteinen  ist
                sind, gilt es, die Vor- und Nachteile des Einzugs von immer  und Energieeffizienz   Komfort nur noch mit Programmierungsbausteinen
                mehr Technik in unseren Wohnräumen zu beurteilen. Die  Bei der Gestaltung moderner Innenräume spielen smarte  sinnvoll. Allerdings überfordert die Bedienung dersel-
                Kommunikation der Menschen mit den „Dingen“ ist  Lösungen heutzutage eine immer größere Rolle: Die zeit-  ben den Nutzer häufig und geht allzu selbstverständ-
                sicher keine Eintagsfliege und wird uns mit zunehmender  und bedarfsgerechte Steuerung von Licht und Heizung,  lich von deren technischer Affinität aus.
                Dynamik die nächste Dekade begleiten. Die Automobil-  das automatische, wetterabhängige Steuern des Sonnen-  Auch für Ihre Bauherren?
                industrie ist ein  Vorreiter,  wenn es um die intelligente  schutz oder Anwesenheitssimulationen für die Einbruch-  Etwa 30 bis 50 Prozent unserer Projekte beinhalten
                Vernetzung  von  Informationen  geht.  In  der  Innen-  sicherheit – das smarte  Wohnen steigert nicht nur die  heute smarte Bausteine.
                architektur  wird diese Entwicklung aufgenommen und  Lebensqualität und Sicherheit, sondern trägt auch zu effi-  Sollten Innenarchitekten hier die Nase vorn haben?
                passende Ideen werden für das Wohnen weiterentwickelt.   zienter Energienutzung und Nachhaltigkeit bei.  Eine Lichtinszenierung ohne intelligente Bausteine ist
                In der kritischen Auseinandersetzung mit der Technisie-  Immer mehr Bauherren wollen das Konzept vom intelli-  kaum sinnvoll im Alltag zu bedienen. Da hilft oft nur
                rung unserer Lebensräume wird die Frage aufgeworfen,  genten Wohnen verwirklicht wissen, bei dem die tech-  die Reduzierung auf wenige Gruppen, wobei die sinn-
                inwieweit der Anwender Selbstständigkeit aufgibt. Bei die-  nischen Funktionen des Hauses miteinander  vernetzt  liche Komponente des Lichtes häufig verloren geht. In
                sem Vorbehalt schwingt Zivilisationskritik mit. Die Befürch-  und komfortabel über verschiedene Bedienstellen, z.B.  diesem Bereich ist für uns die smarte Technik kaum
                tung ist so alt wie die Zivilisation selbst. Die Balance zwi-  den Smart Panels innerhalb der Wohnung, aber auch  wegzudenken, zumal man erheblich mehr Spielraum
                schen Kontrollverlust und Komfortgewinn muss jeder  mobil via App, gesteuert werden. Beschattung, Heizung,  auch im Nachhinein bei der Gestaltung hat. Ange-
                selbst finden, doch wird das den allgemeinen Trend zur  Alarmanlage, Beleuchtung, Belüftung und Multimedia-  sichts der zunehmenden Gebäudeautomation sollten
                vernetzten Steuerung nicht aufhalten. Die Energie, die wir  komponenten können über die intelligente  Technik,  sich  Innenarchitekten  dieses  Themas  unbedingt
                für die Kontrolle über unsere Lebensabläufe aufwenden  miteinander „kommunizieren“. Alles mit dem Ziel, dem  annehmen, zumal der Aufwand in der Planung aus
                mussten, steht nun, da Sensoren und Stellmechanismen  Menschen den Alltag zu erleichtern und das Leben kom-  unserer Sicht geringer ist.
                diese Abläufe optimieren, zur freien Verfügung.  fortabler zu machen.               Wer hat Sie als Vorbild inspiriert?
                Wir  als  Innenarchitekten  stehen  für  die  optimierte  Bei der hohen Technisierung des Wohnens kann jedoch  In  Bezug  auf  Smart  Home  –  unsere  Bauherren,  für
                Gestaltung von Lebensabläufen, und damit ist keine pro-  auch leicht die Angst vor einem Kontrollverlust aufkom-  unseren Beruf – meine Professorin, Frau Hachtmann-
                zessoptimierte, industrielle Gestaltung gemeint. Optimal  men. Doch obwohl das Smart Home als „intelligent“  Pütz, in der Architektur – Álvaro Siza.
                für den Menschen ist ein sensoriell erfassbarer Erlebnis-  gilt, ist die Technik dem Anwender niemals übergeord-  Welche Aufgabe hat Sie zuletzt begeistert?
                raum, in dem die Funktion des Raumes und die mensch-  net und kann sich, solange sie richtig projektiert, fach-  Es gibt viele Momente in der Arbeit mit Höhenflügen,
                lichen Fähigkeiten bestmöglich in Übereinstimmung ge-  gerecht installiert und regelmäßig gewartet wird, nicht  die einen die mühsamen Tage überfliegen lassen. Es
                bracht werden. Dies könnte als Regel für alle Räume gel-  verselbstständigen.       ist eigentlich immer der Moment, wenn die Aufgabe
                ten, in denen Menschen agieren und interagieren.   Und auch in Bezug auf Nachhaltigkeits- und Energie-  geknackt ist, man die gute Lösung gefunden glaubt.
                Vielfach ist das Wort Smart in Smart Home oder auch in  sparkonzepte kann die smarte Gebäude- und Raum-  Und welches  Thema bereitet Ihnen im Moment
                Smart Office ein Synonym für schalterlose Vorgänge, das  automation einen entscheidenden Beitrag leisten. Die in  Kopfzerbrechen?
                bedeutet  z.B., Beleuchtung an- und auszuschalten mit  telligente und bedarfsoptimierte Regelung des Ener-  Die Bedenkenlosigkeit, mit der öffentliche Auftragge-
                dem Smartphone. Wirklich smart wird eine Anwendung  gieverbrauchs erhöht das Einsparpotential, denn   ber  immer  noch  hochsensible  Bauaufgaben  an
                aber erst, wenn ein Ding sich mit dem Wissen der Welt  Strom-, Gas- und Heizölverbrauch können auf Endgerä-  „geeignete Planungsbüros“ vergeben, deren vordring-
                vernetzt, um Schaltvorgänge zu optimieren, also wenn der  ten visualisiert werden. Verbrauchsspitzen werden  so  lichste Intension darin besteht, alles so zu machen,
                Stellmotor des Thermostatventils den Supercomputer des  sichtbar, Energielecks und Schwachstellen im Nutzer-  wie es sich bewährt hat, und damit leblose Räume
                Deutschen Wetterdienstes befragt, wie das Wetter wird,  verhalten können in der Folge vermieden werden.   schaffen,  die  ihren  Anforderungen  ausschließlich
                um dann die perfekte Temperatur im Raum zu erzeugen.   Die Elektroinstallation der  Villa Süd-Baden in Neuen-  technisch gerecht werden.
                Ein wunderbares Beispiel für einen sehr ausgewogenen  burg am Rhein, ausgestattet mit intelligenter KNX-  Welchen Ort (Stadt/Gebäude) haben Sie in diesem
                Einsatz von Technik im Zusammenspiel mit natürlichen  Technik, bietet ihren Bewohnern dank intuitiver Bedien-  Jahr für sich entdeckt?
                Baustoffen  ist  ein Bürogebäude  von  Baumschlager  +  philosophie und übersichtlichen Touchscreens die ein-  Das Kunstmuseum in Ahrenshoop.
                Eberle in  Lustenau. Die Architekten machen ihren Bau  fache Regelung aller Raumfunktionen. Für die Sicherheit  Warum engagieren Sie sich als Mitglied im BDIA?
                intelligent,  „smart“  mit  Sensortechnik  und  eigenen  der Bewohner  wird über die  Türsprechanlage mit  Für  mich  eine  Selbstverständlichkeit  und  auch
                Regelkreisen, um aktiv auf die Prozesse der umgebenden  Fingerprint und  Video-Außenstation mit mobiler  Sendungsbewusstsein.  Gut  gestaltete  Innenräume
                Natur reagieren zu können. Für die Nutzer wird so das  Bedienung gesorgt. Generell sind die Produktlösungen  verändern unser Kommunikationsverhalten und kön-
                beste Raumerlebnis erzeugt, und das Gebäude kann seine  im Bereich des Smart Home an die unterschiedlichen  nen  gesellschaftliche  Prozesse  nachhaltig  positiv
                Funktion perfekt erfüllen. Das Versprechen der Technik-  Nutzeransprüche für eine moderne und individuelle  beeinflussen und Defizite heilen.
                anbieter auf ein intelligentes Gebäude  wird erst dann  Lebensführung anpassbar – elegant im Design und ein-  Peggy Kastl ist Innenarchitektin/Immobilienökonomin
                erfüllt, wenn auch intelligent geplant wird.  fach in der Bedienung: Smart auf ganzer Linie.           und seit 2000 Mitglied im BDIA.
                  René Pier, Innenarchitekt und Landesvorsitzender Baden-Württemberg  Nicole Heptner, Architektur Media Managerin bei JUNG


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