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Luciano I, 1976
von • by Franz Gertsch
www.franz-gertsch.ch
Wie Fotografien auf Leinwand, so erscheinen die Gemälde von Franz
Gertsch (1930-2022) auf den ersten Blick. Gewissermaßen sind sie
das auch: malerische Reproduktionen eigener Fotoaufnahmen. Erst
bei der Betrachtung aus kurzer Distanz offenbaren die großformati-
gen, zum Teil über vier Meter breiten Bilder die Pinselführung des
Schweizer Künstlers. So auch bei seinen Gemälden „Luciano I“,
„Gaby und Luciano“ und „Barbara und Gaby“, die zwischen 1973
und 1976 entstanden sind. In dieser Schaffensperiode war Gertsch
regelmäßiger Gast auf den zwanglosen Partys der Luzerner Boheme
in einer verwahrlosten Jugendstilvilla. Bewusst wählte er ein Milieu,
das nicht sein eigenes war, um Klarheit in seiner beobachtenden
Rolle zu wahren. Diese Entscheidung führte zu wirklichkeitsnahen
Porträts und intimen Innenansichten der jungen und exzentrischen
Künstlerszene rund um Luciano Castelli. Es entstanden Diaposi-
tive, die Gertsch als Vorlage auf den ungrundierten Bildträger aus
Baumwolle projizierte. Es war nicht seine Absicht, die Fotografie zu
mimen, sondern sich „von der Qual ewiger Entscheidungen zu be-
freien, ganz der Malerei hinzugeben“. Mit schnellem Pinsel trug er
Acrylfarbe auf, wiederholte seine selbsterdachte Maltechnik mona-
telang, bis schließlich die komplette Leinwand bedeckt war. In den
Jahren 1973 und 1974 „entwickelte“ er so jeweils drei große Bilder.
Gertschs hier abgebildetes Gemälde „Luciano I“ wurde 2011 im
wohl renommiertesten Auktionshaus der Welt, dem Sotheby‘s
in London, für 2,3 Millionen Schweizer Franken versteigert. sf
Franz Gertsch
Luciano I, 1976
Acryl auf ungrundierter Baumwolle
198 x 298 cm
Foto: Dominique Uldry, Bern (2020)