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hungsweise Gelb gestrichen. Nennenswert in dieser Eingangsebene ist außerdem ein möblierter, offe-
ner Aufenthaltsbereich in allen Eingängen, bei dem der runde Tisch als Treffpunkt und Büchertausch-
platz bis heute ausgiebig genutzt wird. Jedes Haus hat seinen Doppelaufzug, der als „vertikale“ Dorf-
straße fungiert, bei der die gemeinsame Fahrt zum kurzen Austausch über die Alltäglichkeiten einlädt
und somit die Gemeinschaft stärkt. In den Etagen ist man überrascht, dort lediglich drei Wohnungsein-
gänge vorzufinden. Dabei sieht der gemeinsame Bereich in jeder Etage anders aus, da Wand- und Bo-
denflächen von den Nachbarn gemeinsam gestaltet werden. Diese von den Architekten so geplante Auf-
teilung in kleinste Einheiten führt trotz der Größe der Gesamtanlage dazu, dass das Leben in der Wohn-
stadt alles andere als anonymes Wohnen ist – wie man es wohl auf den ersten Blick von außen vermu-
ten würde. Im Unterschied zu anderen Hochhausanlagen gibt im Asemwald keine sozialen Brenn-
punkte – was eben auch mit der architektonischen Gestaltung zusammenhängt. Bei den Wohnungen
gilt das Prinzip des Durchwohnens: Das heißt, die beiden größeren Wohnungen erstrecken sich über
die gesamte Tiefe der Gebäude, womit sich Ausblicke in zwei entgegengesetzte Himmelsrichtungen er-
geben. Lediglich die kleine Wohnung in der Mitte hat nur einen Ausblick, da Aufzüge und Treppenhaus
einer Erschließung auf beide Fassadenseiten entgegenstehen. Insgesamt gibt es 45 verschiedene Woh-
nungstypen: von der 41 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung bis zur 155 Quadratmeter großen
Maisonette-Wohnung über zwei Stockwerke ganz oben. Der häufigste Wohnungstyp hat 80 Quadrat-
meter. Zusammen mit den beiden Kellergeschossen haben die Gebäude insgesamt bis zu 26 Etagen.
Die in der Hausmitte angeordneten Installationsschächte parallel zur Fassade sind gleichzeitig die tra-
genden Auflager der Decken. Zusätzliche Wände sind somit nicht tragend, was bereits vor den ersten
Verkäufen eine flexible Anordnung von Zwischenwänden in jeder Wohnung erlaubte. Das Konzept bei
der Grundrissplanung war von Anfang an darauf angelegt, dass sich die Raumaufteilungen schon vor
dem Einzug auf die individuellen Ansprüche einstellen ließen und man sie auch danach auf die wech-
selnden Lebenssituationen anpassen konnte. In einem Artikel der ZEIT (Ausgabe 41/1969) lobt der Autor
Manfred Sack das „beinahe rühmenswerte Unternehmen, an Familien nicht starr und ein für alle Mal
aufgeteilte Wohnungen als Eigentum zu verkaufen, sondern buchstäblich nur die vier Wände, innerhalb
Fotos: Thomas Ferwagner
deren sie sich die ihnen passenden Grundrisse anpassen lassen können“.
Außergewöhnlich hoch: Freizeitwert und Wohnzufriedenheit
Der Wohnstadt Asemwald sollte von Beginn an ein hoher Freizeitwert zukommen. So wurden auf den Im Erdgeschoss befinden sich Gemeinschaftsflächen • Common areas on the ground floor
Tiefgaragen des Gebäudes A von der Eigentümergemeinschaft mehrere Tennisplätze mit einem Clubhaus
geschaffen, die in diesem Jahr ebenfalls ihr 50-jähriges Jubiläum feiern. Als herausragende Attraktion gilt
bereits seit der Eröffnung das Schwimmbad mit Sauna im 20. Stock von Gebäude A, das sowohl von Be- Farben aus den 1960er-Jahren: in den Fluren ... • Colours from the 1960s: in the corridors ...
wohnern als auch von Gästen benutzt werden kann. Direkt daneben liegt das Höhenrestaurant, in dem
der Gast sein Essen bei einer außergewöhnlichen Aussicht genießen kann. Bis heute ist das Restaurant
auch ein wichtiger Bestandteil der Grundversorgung für viele Bewohner, die sich ihr Mittagessen nicht
selbst zubereiten können oder wollen. Ein Kindergarten ist als eigenständige Einrichtung im Herzen der
Anlage eingebettet. Nach seiner Fertigstellung war der Asemwald der Stuttgarter Stadtbezirk mit dem
niedrigsten Altersdurchschnitt, da viele junge Familien die neuen Wohnungen bezogen. Man muss sich
die damalige Situation im Detail vergegenwärtigen: Als junge Familie hat man jahrelang streng gespart
und zieht in die Großbaustelle eines neu entstehenden Stadtteils ein. Es steht nur eines von drei überdi-
mensionalen Gebäuden, die Tiefgaragen fehlen noch ganz, keine Spur von begrünten Außenanlagen,
weitere zwei Jahre Baulärm und Einschränkungen sind zu erwarten. Und trotzdem ist man erfüllt von
einer positiven Aufbruchstimmung für sich und die Familie. Diese Grundeinstellung lässt sich bereits in Kunst am Bau: Emil Kiess, Fürstenberg
den ersten Ausgaben von „Asemwald intern“ nachlesen – einer von den Bewohnern organisierten und
dem Verwaltungsbeirat herausgegebenen Stadtviertelzeitschrift, die bis heute ununterbrochen dreimal
jährlich über Belange und Neuigkeiten berichtet und damit wohl die älteste in Stuttgart sein dürfte. Dieses
Jahr wird mit der 162. Ausgabe das 50-jährige Jubiläum gefeiert! Sie ist seit Beginn ein Seismograph der ... wie im Außenbereich • ... and in the outdoor area
Belange, Nöte und Identifikation der Bewohner. Mittlerweile ist die Wohnstadt der Stadtteil mit dem
höchsten Altersdurchschnitt. Sehr viele Bewohner leben schon sehr lange hier, etliche sind sogar Erstbe-
wohner und bereits Anfang der 1970er-Jahre eingezogen! Die Wohndauer ist im urbanen Kontext weit
überdurchschnittlich. Anhand dieser beiden Werte lässt sich eine sehr hohe Wohnzufriedenheit ablesen:
Man ist sehr gerne hier und möchte auch sehr lange bleiben. Der ausgeführte Siedlungsplan und seine
Umsetzung mit anspruchsvollen Grundrissen und Ausstattungen bilden ein langfristig erfolgreiches Kon-
zept, bei dem eine nachhaltige Gemeinschaft mit sehr hoher Identifikation und Zufriedenheit bereits von
Anfang an realisiert worden ist. Für das Verhältnis Wohnraum zu Flächenverbrauch setzt der Asemwald
bis heute Maßstäbe. Dank ihrer außergewöhnlichen Ausdauer und der integrativen Vorgehensweise der
Architekten wurde er ein verstecktes Beispiel für zukunftweisenden Siedlungsbau – im Gegensatz zu ge-
scheiterten Experimenten wie die Projekte von Le Corbusier in Marseille und Berlin. Die erfolgreiche Ko-
stenreduzierung durch Massenherstellungvon Wohnraum, ohne Abstriche bei derQualität von Konstruk-
tion und Wohnen, kombiniert mit flächenschonendem Bauen machen den Asemwald auch nach 50 Jah-
ren zu einem gelungenen Beispiel nachhaltigerArchitektur! Infos zum Jubiläumsfest www.asemwald.de
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