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WOHNEN • LIVING
NURIEV & BILLINGER
RESIDENCE IN NEW YORK
Entwurf • Design Crosby Studios, US-New York
Im Epizentrum der New Yorker Kunst- und Kreativszene, dort, wo
Soho, Bowery und Little Italy aufeinander treffen, richtete sich der
Innenarchitekt Harry Nuriev, Kopf des in New York und Moskau be-
heimateten Designbüros Crosby Studios, ein neues Apartment ein.
Die Innenarchitektur changiert irgendwo zwischen edlem Boutique-
Flair und schwitziger Darkroom-Atmosphäre. Kurz: Es ist sehr camp!
von • by Dr. Uwe Bresan
A ls sich Susan Sontag Mitte der 1960er-Jahre dem extrovertierten Lebensstil ihrer
schwulen und lesbischen Freunde aus der New Yorker Bohème widmete und mit
ihrem legendären Essay „Notes on Camp“ einen eigenen Begriff für diese Kultur schuf,
war an Harry Nuriev noch nicht einmal zu denken. Gleichwohl zeigt der Mittdreißiger mit
seiner neuen New Yorker Bleibe, wie man Camp im 21. Jahrhundert ausbuchstabiert. Nu-
riev, der 1984 im russischen Stavropol geboren wurde und 2014 mit Crosby Studios sein
eigenes Innenarchitekturbüro in Moskau gründete, gilt aktuell als der heißeste Nach-
wuchsstar der internationalen Interior-Design-Szene und landete mit dem Moskauer Hip-
ster-Restaurant Pink Mama im vergangenen Jahr auch schon auf dem Cover von AIT. Seit
2017 hat Nurievs Büro ein zweites Standbein in New York, wo der Innenarchitekt mittler-
weile auch die meiste Zeit lebt – zusammen mit seinem Lebensgefährten, dem Mode-
und Marketingspezialisten Tyler Billinger. Das neue, gemeinsame Zuhause der beiden
Fashionistas liegt an der Lower East Side von Manhattan. Die Ecke ist als Nolita, North
of Little Italy, bekannt und seit den 1990er-Jahren ein In-Viertel mit schicken Boutiquen,
teuren Restaurants und coolen Bars. Mehr als 5.500 Dollar zahlen Nuriev und Billinger
hier pro Monat für das nur knapp 60 Quadratmeter große Duplex-Apartment. Knapp
50.000 Dollar flossen im vergangenen Jahr noch einmal in den Umbau. Entstanden ist
dafür ein Wohninterieur, das ohne Zweifel zu den eigenwilligsten und individuellsten der
Saison gehört – angesiedelt irgendwo zwischen Club und Boutique, Bordell und Sauna.
Alles sehr gay, queer oder eben camp! So treffen geflieste graue Wände auf hochflorige,
weiche Teppiche, während silberne und goldene Kunstlederpolster – abwaschbar! – so-
wohl als Küchenfronten wie auch als Sofaaufleger und Bettkopf fungieren. Metallische
Vorhänge und violett getönte Gläser vermitteln zwischen den einzelnen Funk tions be -
reichen; sie trennen, ohne jedoch die Räume optisch abzuschließen. Über die Kleinheit
der Wohnung täuschen nicht zuletzt auch die filigranen, in Eigenregie entworfenen und
von der indischen Designschmiede Hatsu gefertigten Möbel und Leuchten hinweg.
090 • AIT 7/8.2020