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125 JAHRE AIT GESCHICHTE

                                              6.          Die Neugründung 1946                                Nach dem Tod seines Vaters 1939 führt

                                                                                                              Alexander  Koch  jun.  das  Blatt  durch
                                                                                                              die schwierigen Kriegsjahre. Nachdem
                                                          die „Innen-Dekoration“ bereits 1943 in drastisch reduziertem Umfang erscheint, wird der Verlag im Herbst 1944 durch
                                                          die Reichsschrifttumskammer endgültig geschlossen. Der Vorwurf, die „Innen-Dekoration“ sei zu „undeutsch“ – die
                                                          Auswahl der abgebildeten Projekte zu international – steht im Raum. Am 12. September 1944 – wenige Tage vor der
                                              offiziellen Stilllegung des Verlages – gehen in Stuttgart die Verlagsräume sowie das wertvolle Archiv im Bombenfeuer unter. Nur 24
                                              Stunden vorher ist das Darmstädter Haus von Alexander Koch bei einem Bombenangriff beschädigt worden. Nach dem Krieg werden
                                              die Verlagsanstalt und die „Innen-Dekoration“ durch Alexander Koch jun. und seine 1889 geborene Schwester Milly wieder ins Leben
                                              gerufen. Unter dem neuen Namen „Architektur und Wohnform“ erscheint das erste Nachkriegsheft 1946. Der Name „Innen-Dekoration“
                                              wird im Untertitel beibehalten. Bis Mitte 1948 erscheinen insgesamt drei Hefte in vier Nummern. Danach werden jährlich sechs
                                              Ausgaben produziert. Die Jahrgänge laufen jeweils von Jahresmitte bis Jahresmitte. Wie der Titel der Zeitschrift sich den aktuellen
                                              Bedingungen anpasst, so reagieren die Herausgeber auch im Inhalt auf die Anforderungen der Nachkriegszeit. Billige Kleinhäuser und
                                              ihre  Einrichtung  sowie  der  Wiederaufbau  zerstörter  Städte  stehen  im  Mittelpunkt  der  Berichterstattung.  Rationalisierung  und
                                              Typisierung – vor dem Krieg nicht unbedingt eine Spezialität der „Innen-Dekoration“ – werden zu bevorzugten Themen im Heft. Um
                                              den  kriegsbedingten  Rückstand  der  Berichterstattung  aufzuholen,  bitten  die  Herausgeber  zahlreiche  Korrespondenten  aus  dem
                                              Ausland um Beiträge. So kann „Architektur und Wohnform“ schnell an die erfolgreiche Vorkriegsgeschichte anknüpfen.

               der Bezieher auf fast 12.000 an. Die beiden Kinder des Verlagsgründers erweitern7.  ben wie Ladenbauten, Hotels und Schulen beziehungsweise zu speziellen Möbel-
                                             Unter der Leitung von Alexander und
               Der Zeitgeist
                                             Milly Koch entwickelt sich „Archi tek -
                                                                                 und Raumgattungen; unter anderem zu Wohnräumen, Schlaf- und Kinder zim mern.
                                             tur und Wohnform“ zu einem der er -
                                                                                 Die Interieurs jener Jahre bestechen durch ihre hohe Eleganz. Alles Wuchtige und
               folgreichsten Architekturperiodika in Deutschland. In kurzer Zeit wächst die Zahl
                                                                                 Schwere  der  vorangegangen  Epoche  ist  aus  der  Architektur  verschwunden.
                                      das  Spektrum  der  Zeitschrift  von  der  Innen -  Organische Formen verdrängen die Erinnerung an den klobigen Neoklassizismus
                                                                                 der NS-Zeit. Der Nierentisch hält Ein zug in die deutschen Wohn zimmer. 1955 erhält
                                      raum gestaltung auf sämtliche Gebiete der Archi tektur.  auch „Architektur und Wohnform“ ein ent sprechendes, neues Er schei nungs bild (links),
                                      Berichte aus dem Ausland und Städte bauthemen bil -  das aber nur wenige Jahre Bestand hat. Bereits 1959 wird das Titelblatt von „Architektur
                                      den die Schwer punkte der ersten Nachkriegshefte. Mit  und Wohnform“ erneut verändert. Gleichzeitig erhöht sich der Umfang von sechs auf
                                      der Wäh rungsreform 1948 sinkt die Abonnenten zahl  acht, nach Bauaufgaben sortierten Ausgaben pro Jahr. Bis zu seinem Tod 1969 bleibt
                                      zwar  rapide,  doch  lässt  die  Wirtschafts wunder zeit  Alexander Koch jun. der Haupt schriftleiter des Verlages. Danach übernimmt sein Schwa -
                                      nicht lange auf sich warten. In den 1950er-Jahren er -  ger Max Fengler, der seit den 1950er-Jahren bei „Architektur und Wohnform“ arbeitet, die
                                      lebt Deutschland einen beispiellosen Wieder aufbau,          redaktionelle Leitung in der Hauptstätter Straße 87 in
                                      von dem auch „Architektur und Wohnform“ inhaltlich           Stuttgart. Seine Schwägerin, Milly Koch, fungiert nach
                                      profitiert.  Daneben  sorgt  Alexander  Koch  jun.  als      wie vor als Geschäfts führerin. Der Führungs wechsel von
                                      Haupt schrift leiter  weiterhin  für  eine  internationale   Koch zu Fengler schlägt sich 1969 auch in einer erneuten
                                      Ausrichtung  seiner  Zeitschrift.  Ab  1952/53  er scheint   Umgestaltung des Zeit schriften titels (rechts) nieder. War
                                      „Architektur  und  Wohnform“  sogar  mit  Bild un -          die Architektur der 1950er-Jahre noch zu großen Teilen
               terschriften in englischer Sprache; ab den 1960er-Jahren zudem mit Übersetzungen ins  von organischen Formen und traditionel len Materialien
               Französische. Einen engen Kontakt pflegt Koch zu Richard Neutra, einem der prominen-  beziehungsweise Kon struk tionen ge prägt, bestimmen in
               testen Vertreter der amerikanischen Nach kriegs moderne. Neutras Bücher `Mensch und  den  1960er-Jahren  Typisierung  und  Industrialisierung
               Wohnen´ von 1956 sowie `Welt und Wohnen´ von 1962 zählen zu den wichtigsten und     den Bau prozess. Mit der Neu ge stal tung von 1969 passt
               erfolgreichsten Buchpublikationen der Ver lags anstalt Alexander Koch in jenen Jahren.  Fengler „Architektur und Wohn form“ den sich ändern-
               Daneben veröffentlicht der Verlag verschiedene Sammelbände zu konkreten Bau auf ga -  den Architekturvorstellungen der Zeit an.



               Mit AIT in die Zukunft                            1971 geht die Verlagsanstalt Alexander Koch in den Besitz der
                                                                 Firmengruppe Weinbrenner über. Während Milly Koch kurz
                                                                 darauf verstirbt, bleibt Fengler bis zu seiner Pensionierung
                            als Redakteur von „Architektur und Wohnwelt“, wie die Zeitschrift seit dem Verkauf heißt, im Hause Weinbrenner
               8.           tätig. 1976 folgt der Umzug aus der Innenstadt in einen Neubau am Rande Stuttgarts. Doch so ambitioniert der eigene

                            Neubau – ein achtgeschossiger, spiralförmig organisierter Büroturm des Architekten Wolfgang Astfalk aus Au bei
                            Freiburg – sich auch ausnahm, die 1970er-Jahre waren keine besonders gute Zeit für die Architektur – und damit auch
                            keine besonders gute Zeit für eine Architekturfachzeitschrift. In den deutschen Städten grassierte der Waschbeton-
                            Brutalismus. Dementsprechend dominierte Grau die Hefte und Bücher der Verlagsanstalt. Zudem reduzierte sich 1975
                            der Umfang von `Architektur und Wohnwelt´ von acht auf sechs Aus gaben pro Jahr. Wie gesagt, es waren keine guten
               Zeiten! Dabei besaß die Zeitschrift schon damals all das, was in Zukunft ihren Erfolg begründen sollte. Seit 1973 lautete der Untertitel:
               „Zeitschrift für Architektur, Innenarchitektur und Technischen Ausbau“ – kurz AIT. Und wer das alte Logo einmal genau betrachtet, findet
               darin unseren prägnanten und wohlbekannten AIT-Schriftzug in Ansätzen wieder (Bild). Die endgültige Neuausrichtung und bisher letzte
               Umbenennung folgte 1980. Wie unter dem Verlagsgründer Alexander Koch rückte mit der AIT der Innenraum wieder verstärkt in den
               Fokus der Berichterstattung, was bis heute auf dem deutschen Baufachzeitschriftenmarkt ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal darstellt.
               Nicht zuletzt deshalb wählte der Bund Deutscher Innenarchitekten die AIT 1980 zum offiziellen Verbandsorgan. War 1975 der Umfang
               der Zeitschrift auf sechs Hefte pro Jahr geschrumpft, entwickelte sich zwischen 1982 und 1988 sukzessive der noch heute übliche
               Jahresumfang von zwölf Ausgaben in zehn Heften. Doch keine Angst! Damit endet die Geschichte der AIT noch lange nicht! Auch in
               Zukunft werden wir uns für Sie immer wieder neu erfinden. Denn für uns gilt seit 125 Jahren: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.



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