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BAR HOTEL RESTAURANT
RESTAURANT BRUNNER
IN STUTTGART
Entwurf • Design Cyrus Ghanai, Stuttgart
Wenn Österreich nach Schwaben kommt, treffen nicht allzu verschie-
dene Charaktere aufeinander, dann verschmelzen Eleganz und char-
mante Ruppigkeit. Mittendrin – „Downtown Stuggi“ – eröffnet sich ein
weiter und kulinarisch nachtblauer Alpenhimmel in vertrautem Mate-
rialkanon internationaler, österreichischer und süddeutscher Baukul-
tur. Innenarchitekt Cyrus Ghanai zeichnet hierfür verantwortlich.
von • by Daniela Keck, Stuttgart
D ie österreichische Küche ist faszinierend, das neue Restaurant Brunner in Stutt-
gart ebenfalls, es verbindet Einfachheit mit Kunst, vereinigt erinnerte Heimat mit
dem Blick über den Tellerrand. In einem historischen Gebäude, das zuvor ein Sushi-Lo-
kal beherbergte, erwartet die Gäste nun eine moderne Interpretation österreichischer
Küche, eingebettet in ein durchdachtes Designkonzept über zwei Etagen. Das Restau-
rant bietet rund 60 Sitzplätze, verteilt auf beide Geschosse. Die Tische sind mit mattem
Fenix-Schichtstoff belegt, hergestellt aus mindestens 70 Prozent recyceltem Papier, in
einem bronzefarbenen Metallton und schwarzer Hochglanzkante. Abends werden die
Tische mit eleganten, puren Tischdecken versehen, die Atmosphäre wechselt vom „daily
urban life“ in eine gehobene, stilsichere, aber doch vertraute, „gemütliche“ Abendstim-
mung, die sich auch irgendwo in einem Tal oder auf einem Berg wiederfinden könnte.
Man lässt sich entspannt nieder – auf blau gepolsterten Stühlen und Sitzbänken, streichelt
samtene Filzwände und fühlt sich überhaupt sehr willkommen und geborgen in diesen
stimmungsvoll erleuchteten Räumlichkeiten. Und mit welchem Instrumentenkasten holt
man nun den österreichischen Habitus mit Leichtigkeit in die schwäbische Metropole,
ohne sich dabei in folkloristischen Details zu verlieren? Man konzentriert sich auf Materi-
alien mit langer Kulturgeschichte und reduziert sich auf das Wesentliche. Beispielsweise
auf das Material Filz. Dieser übernimmt hier nicht nur akustische, sondern durchaus auch
wertvolle atmosphärische Aufgaben. Eigentlich ein „armes“ Material, das schon Joseph
Beuys nutzte, um seine Idee von Energiefluss und -speicherung zu verdeutlichen. Die
meerblauen Ofenkacheln, mit denen eine Säule, eine Trennwand und die Theke belegt
sind, holen bildhaft und sinnlich die österreichische Ofenwärme in die Räumlichkeiten.
Hier darf man sein, bleiben und vor allem auch wiederkommen. Die Atmosphäre spricht
eine stetige, einladende und herzliche Sprache, die man sogleich verinnerlicht und nicht
mehr vergisst. In diesem wunderbaren Gastraum kommt Österreich dem Schwabenland
so verlockend sinnlich nah: „An Guaden“! oder auch „En Guada“?
092 • AIT 6.2025