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FORUM SPEZIALISTINNEN • SPECIALISTS

Dr. Sara Lindner, FINAL in München
Foto: Johannes Seyerlein 1986 geboren in Erding 2008–2014 Architekturstudium an der Hochschule München 2014–2021 Freiberufliche

Architektin 2016–2022 Promotion an der Leuphana Universität Lüneburg „Cradle to Cradle im Holzfertigbau“ seit 2021
Mitbegründerin und Partnerin bei FINAL, Floros & Lindner Architektinnen und Stadtplanerin Part mbB

Nachhaltigkeit im Bauwesen

Riesige Mengen an Energie, Rohstoffen und Abfall – die Bauindustrie Ein Beispiel sind Gipskartonplatten aus dem Rückbau eines Hauses: Gips ist sehr gut recy-
ist einer der ressourcenintensivsten Wirtschaftszweige weltweit. Darin clingfähig. Leider wird dieses Potenzial im Moment kaum genutzt, und es gibt nur wenige
liegt aber auch ein enormes Potenzial, findet Dr. Sara Lindner von Aufbereitungsanlagen dafür.
FINAL, Floros & Lindner Architektinnen und Stadtplanerin in München.
Sie ist Mitentwicklerin von Bewertungssystemen für nachhaltiges Wie können Bauunternehmen und Hersteller nachhaltige Baustoffe einführen, ohne
Bauen (BNK/BNG) und Expertin für zirkuläre Bauweisen. Sie erklärt, ihre wirtschaftliche Stabilität zu gefährden?
wie Veränderung zu mehr Nachhaltigkeit gelingt, und warum eine neue Unternehmen, die ihre Materialien auf Nachhaltigkeit prüfen und zertifizieren lassen,
Baukultur auf gesunde, wiederverwertbare Materialien angewiesen ist. können sich besser am Markt positionieren. In Zeiten, in denen der Bau weniger boomt,
sind nachhaltige Lösungen besonders gefragt. Das bietet Firmen wirtschaftliche Vorteile. Es
Was bedeutet Nachhaltigkeit im Baugewerbe für Sie? lohnt sich, auf Nachhaltigkeit zu setzen, in der Materialwahl wie in den Prozessen.
Nachhaltigkeit bedeutet für mich, Gebäude und Quartiere so zu planen und zu bauen,
dass sie ökologisch, ökonomisch und sozial verträglich sind. Das gilt für den gesamten Wie können Bauunternehmen die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Bauweisen
Lebenszyklus eines Gebäudes – von der Planung über den Bau, die Nutzung bis hin zum für sich nutzen?
Rückbau und Recycling der Materialien. Oft wird gedacht, dass nachhaltiges Bauen teurer Der Markt verändert sich, und immer mehr BauherrInnen – sowohl große und öffentliche
sein muss. Das stimmt aber so nicht. als auch private Auftraggeber – legen Wert auf Nachhaltigkeit. Firmen, die diese Nachfrage
bedienen, haben einen klaren Vorteil. Für Zertifizierungen braucht es geeignete Materialien
Welche Aspekte sind Ihnen beim nachhaltigen Bauen besonders wichtig? und für die Bauausführung Unternehmen, die nachhaltige Prozesse umsetzen können.
Da gibt es drei zentrale Punkte. Erstens: Sanierung statt Neubau! Bevor wir neu bauen, Wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, profitieren am Ende alle.
sollten wir immer eine mögliche Sanierung prüfen. Zweitens sollten wir ressourceneffizient
bauen, damit Gebäude später in ihre Bestandteile zerlegt werden können. Wir müssen Können Sie ein konkretes Beispiel für nachhaltige Bauprozesse nennen?
recyclingfähige Materialien und nachwachsende Rohstoffe verwenden. Außerdem brau- Türen werden oft mit PU-Schaum verklebt. Das erschwert jedoch den späteren Ausbau und
chen wir gesunde Gebäude. Das steigert Wohlbefinden und Produktivität der NutzerInnen. eine Wiederverwendung. Türen können aber auch verschraubt werden. Das ist eine mate-
Und nur bei schadstofffreien Materialien macht eine Kreislaufführung Sinn. rialsparende Lösung, die eine einfache Trennung erlaubt. In der Theorie klingt das einfach,
in der Praxis gibt es aber häufig Widerstand. Es ist keine Seltenheit, dass ein Handwerker
Was sind die Herausforderungen bei der Umsetzung nachhaltiger Bauprojekte? sagt: „Wir haben das schon immer so gemacht, warum sollten wir es jetzt ändern?“ Da
Eine der größten Hürden ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Stakeholder. Damit muss man einfach immer in der Kommunikation und im Austausch bleiben. Irgendwann
ein nachhaltiges Gebäude entsteht, müssen BauherrInnen, ArchitektInnen, FachplanerIn- gibt es hoffentlich eine neue, nachhaltige Normalität. Aber genau hier liegt die Chance: Wer
nen, AuditorInnen, Bauunternehmen, HandwerkerInnen, produzierende Unternehmen sich auf nachhaltiges Bauen einstellt, wird in Zukunft erfolgreicher sein.
und viele andere Akteure Hand in Hand arbeiten. Oft ist dies noch schwierig, aber darin
liegt auch eine wirtschaftliche Chance. Echtes Zuhören der Beteiligten ist entscheidend. Nur
gemeinsam können wir die komplexen Herausforderungen bewältigen.

Wie hat sich nachhaltiges Bauen in den letzten Jahren entwickelt?
Nachhaltigkeit ist heute ein zentraler Aspekt in der Bauwirtschaft. Während wir früher
vor allem den Energieverbrauch eines Gebäudes in der Nutzungsphase betrachtet haben,
schauen wir heute auf den gesamten Lebenszyklus. Neben ökologischen Themen wie dem
Energieverbrauch werden inzwischen in Bewertungssystemen auch soziale Themen wie
Barrierefreiheit und die Kosten über den Lebenszyklus betrachtet. Förderprogramme für
klimafreundliche Neubauten setzen hohe Maßstäbe in Bezug darauf.

Welche Rolle spielt die Materialwahl beim nachhaltigen Bauen?
Die Materialwahl ist entscheidend. Materialien sollten schadstoffarm und am Ende ihrer
Lebensdauer entweder wiederverwertbar oder biologisch abbaubar sein. Cradle to Cradle Foto: Johannes Seyerlein
ist hier ein wichtiges Konzept. Es geht darum, Materialien in geschlossenen Kreisläufen zu
halten – also Ressourcen nicht einfach wegzuwerfen, sondern sie immer wieder zu nutzen.

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