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BAR HOTEL RESTAURANT
BAR BLAU
IN STUTTGART
Entwurf • Design SOMAA, Stuttgart
Alles eine Frage der Wahrnehmung: Dass das visuelle Erfahren von
räumlicher Tiefe perspektivischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt,
wussten nicht nur die Alten Meister. Im Erdgeschoss eines Stuttgar-
ter Wohnhauses kreierten die Planer von SOMAA eine Bar, die auf
kleinstem Raum mit unerwarteten Blickwinkeln und einer komple-
xen Verwendung von Farben und Materialien überrascht.
von • by Katharina Diemair
W er hierher kommt, kennt seinen Weg: Ohne Schriftzug, nur durch ein blau
leuchtendes Quadrat geleitet, tritt der abendliche Gast durch eine ebenso
blaue Tür in den kleinen, indirekt beleuchteten Vorraum eines Gründerzeitwohnhau-
ses im Stuttgarter Westen. Hinter einem schweren, dunkelgrünen Samtvorhang, der
sich im gegenüberliegenden, runden Spiegel doppelt, verbirgt sich die Bar Blau. An
einer vielbefahrenen, innerstädtischen Verkehrsstraße gelegen, schufen Hadi A. Tan-
dawardaja und Tobias Bochmann, Gründer des Innen-/Architekturbüros SOMAA, eine
intime Bar, die sich ganz nach innen kehrt und den Besucher bei Getränken und Tapas
die Hektik des Tages vergessen lässt. Welche Dimensionen der Raum hat, kann man
dabei auf den ersten Blick nur erahnen. Monochrome, sich überlagernde Farbflächen
in verschiedenen Blautönen nutzen den perspektivischen Effekt der Verblassung und
suggerieren so Entfernung und Tiefe. Messingfarbene Rahmen untergliedern den Sitz-
bereich. Sie stufen sich vom Eingang bis zum imaginären Fluchtpunkt ab, an dessen
Stelle ein hoher Spiegel das Bild zurückwirft und so die Illusion von Unendlichkeit ver-
stärkt. Fast schon wie ein Nebenschauplatz nimmt sich da der seitlich gelegene Bar-
bereich aus, der mit dunkler Farbgebung und dämpfenden, weichen Vorhängen und
Teppichen an Wänden und Boden einen diskreten Rückzugsort bildet. Während der
Tresen aus schwarz lackiertem Holz optisch in den Hintergrund tritt, leuchtet einzig
das messingbekleidete Innere des kubischen Einbaus im dämmrigen Licht und zieht
mit glitzernden Spiegelflächen die Blicke auf sich. Gegenüberliegende, unterschiedlich
getönte Glasscheiben reflektieren den Thekenbereich, lösen die Raumkonturen auf
und schaffen einen surrealen Eindruck. Im Gegensatz dazu bieten kontrastierende Pol-
sterelemente aus naturbelassenem, cognacfarbenem Leder eine deutliche Orientie-
rung. Von der privaten Nische mit Tisch über die kommunikative Couch bis hin zur le-
geren Sitzlandschaft formen sie unterschiedliche Aufenthaltsqualitäten und unterstrei-
chen Sinn und Zweck der Lokalität: die blaue Stunde des Tages zu genießen.
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