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Falling Dream II, 2020
                                                                            von • by Sarah Bird
                                                                            www.sarahbirdart.co.uk



                                                                          Man konnte die  Zeit der Coronalockdowns auf  vielfältige  Weise

                                                                          verbringen – die gemütlichen  Typen entdeckten ihre Liebe für

                                                                          selbstgemachten   Sauerteig,  Sportsfreundinnen  strampelten

                                                                          sich auf Spinning Bikes ab,  Virtuosen gaben Klavierkonzerte bei

                                                                          offener  Balkontür  –  manche  starrten  einfach  nur  Löcher  in  die

                                                                          Luft. So  wie die Künstlerin Sarah Bird aus London. Die machte

                                                                          allerdings  dabei  eine  Entdeckung:  Wandflächen,  Zimmerdecken,

                                                                          Fußleisten, Fugen, Mauervorsprünge, Raumecken, Türrahmen und


                                                                          Fensterglas haben immer einen ästhetischen Wert, wenn man sie
                                                                          nur genau genug betrachtet. Birds im Jahr 2020 entstandene und


                                                                          in den Folgejahren  weitergeführte Indoor-Fotocollagen der Serie

                                                                          „Interrupted Expanses“ („Unterbrochene  Weiten“) bilden daher

                                                                          einzelne Elemente der Raumbegrenzung in extremer Nahaufnahme

                                                                          ab. Mithilfe digitaler Bildbearbeitung legte die Künstlerin später

                                                                          Fragmente  ihrer Aufnahmen  in neuer, prismatischer  Anordnung

                                                                          übereinander, wodurch die architektonischen Linien und Formen

                                                                          ihren ursprünglichen Kontext verloren haben. Die so entstandenen,

                                                                          abstrakten Flächenkompositionen überlagerte Bird dann mit

                                                                          radialen Farbverläufen, die sie  zuvor aus einzelnen Farbpixeln

                                                                          der Fotos generiert hatte. So wirken einige der Objekte fast wie

                                                                          digital hinterleuchtete Displays, die frei im Bild schweben und in

                                                                          Kombination mit der stark fokussierten, rauen Textur gestrichener

                                                                          Wand-  und  Holzoberflächen  reizvolle  Kontraste  erzeugen.  Lange

                                                                          bleibt unklar, was wir eigentlich hier sehen – die Abbildung eines

                                                                          Gemäldes  auf  schroffem  Grund  oder  die  Fotografie  unebener

                                                                          Oberflächen? Durch die Wahl des stark strukturierten Archivpapiers

                                                                          als Bildträger verstärkt Bird diese Wechselbeziehung zwischen der

                                                                          digitalen und physischen Bildsprache noch zusätzlich.
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