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ÖFFENTLICHE BAUTEN • PUBLIC BUILDINGS

































            OLGAKRIPPE

            IN STUTTGART



            Entwurf • Design Arge Scala, Stuttgart mit Jeggle Architekten, Kernen-Stetten


            Mit der Olgakrippe schuf die Arge Scala/Jeggle Architekten einen
            wunderbaren Stadtbaustein, der an die historische Villenstruktur
            des Stuttgarter Stadtteils Bad Cannstatt anknüpft. Die vertikale Orga -
              nisation folgt mit ihren vielfältigen Blickbeziehungen der Idee der
            „gestapelten Stadt“. Alle Gruppen der „Kindervilla“ verfügen über
            eigene Freibereiche und einen attraktiven gemeinsamen Garten.



            von • by Annette Weckesser
            K   önigin Olga von Württemberg (1822–1892) ging durch ihr hohes Engagement für so-
                ziale Einrichtungen in die württembergische Landesgeschichte ein. Viele Stuttgar-
            ter Institutionen sind noch heute mit ihrem Namen verbunden, so auch die Olgakrippe
            am Rande des Kurparks Bad Cannstatt in der Taubenheimstraße 12. Seit 1875 gibt es
            diese Kindertagesstätte, deren Schirmherrschaft die beliebte Zarentochter einst über-
            nahm. Ihr großes Portrait im Dach der heutigen Krippe begrüßt allmorgendlich Kinder,
            Eltern und Erzieher. Mit diesem jüngst fertiggestellten Stadtbaustein greift die Arge
            Scala/Jeggle Architekten die gründerzeitliche, in den 1950er-Jahren verloren gegangene
            Villentypologie des Standorts wieder auf. Entstanden ist eine zeitgemäße, veritable
            „Kindervilla“, viergeschossig zur Straße, fünfgeschossig zum großen, geschützten Gar-
            ten, samt altem Baumbestand, Villen-typischem Vorgarten und dem neuen, kleinen
            öffentlichen  „Olgaplatz“.  Die  farblich  abgestufte  Glasfaserbetonhaut  leiteten  die
            Architekten von den Sandstein- und Klinkerfassaden Bad Cannstatts ab. Vor- und Rück-
            sprünge modellieren dieses Punkthaus und schaffen auf allen Ebenen großzügige,
            eigene Terrassen für die neun sozial durchmischten Gruppen. Eine skulpturale Frei-
            treppe – ein zweiter Fluchtweg – verbindet sämtliche Terrassen und den Garten. Auf
            jeder Ebene dieser gestapelten Stadt gruppieren sich die hellen, lichtdurchfluteten
            „Kinderhäuser“ mit ihren Gruppen- und Schlafräumen um einen gemeinsamen Markt-
            platz. Ein von ganz oben bis ganz unten durchgesteckter „Licht- und Luftstrumpf“
            schafft interessante Sichtbezüge für die Kleinen und trägt laut den Architekten durch
            seine thermodynamischen Effekte auch wesentlich zur Nachtauskühlung bei. Kräftige
            Farbakzente in Form von Linoleumböden und einzelnen Wandflächen sollen den Kin-
            dern eine klare Orientierung ermöglichen. Im Haupttreppenhaus richten sich 28 fern-
            glasartige Lichtaugen auf die Versuchswerkstatt von Gottlieb Daimler im Kurpark vis-
            à-vis. Sie sollen zeigen, dass aus kleinen Anfängen Großes entstehen kann. Königin
            Olga hätte gewiss ihre Freude an dieser neuen Kita.

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