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Thomas Hildebrand
1967 in der Schweiz geboren 1988–1991 Architekturstudium Fachhoch-
schule Biel 1994–1997 Architekturstudium Architectural Association in Lon-
don 1997–2006 Lehrtätigkeit ETH Zürich 1999 Bürogründung in Zürich
Alle Lichtdecken dienen gleichzeitig als Belüftungsanlagen. • All luminous ceilings serve as ventilation systems. Der Empfangstresen verbindet mehrere Ausstellungsräume. •The reception counter connects the exhibition rooms.
von • by Thomas Hildebrand
D ie Gyre Gallery befindet sich direkt an der legendären Omotesando Street. Sie ist den Gästen eine bereichernde Erfahrung. Der Galerieraum für Installationen befindet
sich im Zentrum der Ausstellungsräume und dient den ausstellenden Künstlern als
zweifellos die bekannteste Einkaufsstraße Tokios und wird von spektakulären
Flagship-Stores großer Modemarken und berühmter Stararchitekten gesäumt. Die hier Herzstück für die Präsentation ihrer wichtigsten Arbeiten. An diesen zentralen Raum
versammelten Bauten von Herzog & de Meuron (Prada), SANAA (Dior) oder Toyo Ito schließt sich die sogenannte Tageslichtgalerie an. Sie bietet den Künstlern bei Bedarf
(Tod’s) gelten allesamt als Ikonen der zeitgenössischen Corporate Architecture. Auch die seltene Möglichkeit, in lichtdurchfluteter Atmosphäre zu arbeiten und den Ausblick
das von MVRDV konzipierte Gyre Building an der Ecke zur Cat Street, das die gleichna- auf die umgebende Stadt in ihre Installationen zu integrieren. Der entsprechende
mige Galerie beherbergt, ist Teil dieser Reihe, präsentiert sich der Öffentlichkeit aller- Raum kann allerdings auch in einem zweiten, nach innen orientierten Setup genutzt
dings offener und zugänglicher als die benachbarten „Markenhäuser“. Die Dynamik werden. Eine 800 Kilogramm schwere Schiebewand wird dann vor die Fensterfläche
des Gebäudes entsteht durch die teilweise nach außen verlagerte Vertikalerschließung. gefahren und kann als zusätzliche Präsentationswand genutzt werden. Die Wand hat
Diese ergibt sich durch die schrittweise Verdrehung der Obergeschosse. Die hierdurch eine Größe von 9,3 mal 3,5 Metern und wird nur wenige Male im Jahr verschoben.
entstehenden Terrassen an den Gebäudeaußenseiten sind über Treppen und Aufzüge Auch die Art, wie sich die Besucher durch die Galerie bewegen, kann durch weitere
miteinander verbunden, wodurch sich letztendlich zwei abgestufte „Terrassenstraßen“ bewegliche Wände variiert und die Räume dadurch in unterschiedlichsten Sequenzen
ergeben, über die das Gebäude einerseits „erklommen“ und andererseits „verlassen“ miteinander verbunden werden. Je nach Stellung einer 3,5 Meter hohen und 1,2 Meter
werden kann. Die angedachte Route führt dabei zunächst von der Omotesando entlang breiten Schaukelwand öffnet sich beim Betreten der Galerie etwa die Sicht in Richtung
der Cat Street nach oben, wodurch beide Straßen aktiviert werden. Durch seine ikoni- Tageslichtgalerie, oder aber der Eingangsbereich wird zum abgeschlossenen Foyer.
sche, skulpturale Figur zieht das Gebäude seine Besucher förmlich von der Straßen-
ebene hinauf in die Höhe. Wichtig war den Architekten von MVRDV dabei, dass das Ausstellungsraum mit lichtdurchfluteter Atmosphäre
Gebäude aus der Entfernung als eigenständiges Objekt wahrgenommen wird, gleich-
zeitig aber auch die einzelnen Geschäfte im Inneren sowie entlang der „Terrassenstra- Die Decken der Galerieräume bestehen aus 15 Millimeter starken Gipskartonplatten mit
ßen“ als separate Einheiten erkannt werden können. einem Lack-Finish. Die teilweise integrierten Barrisol-Spanndecken nehmen einerseits
eine dimmbare LED-Beleuchtung auf, die unterschiedliche Lichtatmosphären erlaubt,
Räumlich zirkularer Ausstellungsrundgang und dienen anderseits der Belüftung. Letztere ist durch zwei vertiefte Schlitze zu erken-
nen – einer für die Belüftungsversorgung, der andere für den Abzug. Zudem dient der
Inhaltlich getragen wird das Gyre Building vom Konzept „Shop and Think“. Architektur, gesamte Deckenhohlraum als Belüftungsraum. Der Fußboden wiederum wird aus einer
Mode, Kunst, Design und Esskultur sollen hier ineinandergreifen; Kultur und Kommerz von Hand aufgetragenen, drei Millimeter starken Schicht Epoxidharzmörtel gebildet. Er
miteinander verschmelzen; und letztlich soll eine neue aufregende Form des Einkau- verhindert die Entstehung großer Risse auf dem Boden. Dazu kommen noch zwei
fens entstehen. Das Auflösen und Überschreiten von Grenzen deckt sich dabei auch Schichten Staubschutzmittel. Die herausforderndste Aufgabe im Projekt war jedoch die
mit der Philosophie des Architekturbüros Hildebrand. Auch wir gestalten offene, flexi- Fertigung einer perfekt zirkularen Säule im Tageslicht-Raum. Die bestehende Stütze
ble und inspirierende Architektur, die Raum für Kreativität schafft. Unser Konzept für wurde mit insgesamt acht Putzschichten überarbeitet, um wirklich jede Unebenheit auf
die Gyre Gallery leitet sich vom englischen Begriff Gyre – zu deutsch: Rotation, Dre- der Oberfläche auszugleichen. Die Galerie zeigt heute alle Arten von Kunst, die die ak-
hung, Wirbel – ab. So verbindet eine kreisförmige Bewegung die vier Ausstellungs- tuellen Trends, Ideologien und Ausdrucksformen unserer heutigen Gesellschaft wider-
räume: Eingangs-, Übersichts-, Installations- und Tageslichtgalerie. Jeder der Räume ist spiegeln. Die Gyre Gallery ist damit auf dem Weg, sich zu einem Ausstellungsraum zu
in Größe und Proportion unterschiedlich. Der räumlich zirkulare Rundgang ermöglicht entwickeln, der einen wichtigen Beitrag zur Kultur und Kreativität der Stadt liefert.
AIT 5.2020 • 121