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Carin Fürst
1953 geboren in Freistadt, Oberösterreich 1973–1979 Architekturstudium an der Technischen Universität Wien 1979–2005 auf Honorarbasis tätige
Architektin in den Wiener Architekturbüros Klose, Fritz Waclawek, Riedl & Rollwagen und die längste Zeit bei Wolfgang Stoll – Entwurf und
Bauaufsicht verschiedenster Projekte, bevorzugt Umbaumaßnahmen seit 2005 tätig als Schmuckdesignerin Kontakt www.carin-fuerst.at
Fotos Schmuck: Carin Fürst, Fora Fellner
Aufgewertet: Messing-Patronenhülsen, Umlenkrollen von Videokassetten sowie Mopedschläuche, Angelschnüre und Holzperlen • Upgraded: brass cartridge cases, guide pulley of video cassettes as well as moped tubes, fishing lines.
r Was waren die ungewöhnlichsten Materialien, die Sie in Schmuckstücke verwan- nicht ganz zufriedenstellt. Der Luxus meiner Schmuckarbeit liegt darin, dass ich keiner-
delt haben? Und gibt es auch Materialversuche, mit denen Sie gescheitert sind? lei Einflüssen von außen unterworfen bin. Ich kann so viel und so lange an einem Stück
Titanverschraubungen, die zur Stabilisierung von Knochenbrüchen verwendet werden, arbeiten, wie ich möchte – in jeder beliebigen Technik, mit jedem nur erdenklichen
waren sicher bislang das ungewöhnlichste Material. Es handelt sich um wunderbar far- Material. Das Ergebnis muss in erster Linie mir selbst gefallen.
bige, sehr stabile Metallteile mit präzisen Löchern und glatten Oberflächen. Geschei tert
bin ich niemals, nein. Vielleicht dauert es bei einigen Materialien einfach nur länger, bis r Was verbirgt sich hinter dem Projekt „Schaufenster Freistadt“?
die zündende Idee kommt. Das Projekt hat sich mit künstlerischen Interventionen in leer stehenden Geschäfts -
lokalen meiner Heimatstadt beschäftigt. Innerhalb von fünf Jahren haben über 100
r Ästhetik, Präzision, Detaillierung, Materialkombinationen und -fügungen … Es gibt Gestaltungen die Besucher erfreut. Eine Gruppe kunstinteressierter Freistädter, der ich
mannigfaltige Parallelen zwischen Architektur und Schmuckdesign. Welche im angehöre, hat 2005 ehrenamtlich mit den Rauminstallationen in sieben verschiedenen
Studium erworbenen Fähigkeiten kommen Ihnen als Schmuckdesignerin zugute? leeren Schaufenstern begonnen. Ein Nachfolgeprojekt in 18 umliegenden Gemeinden
Ganz wichtig ist für mich die Fähigkeit, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens etwas über den Zeitraum von drei Jahren war für mich ebenfalls sehr interessant, das EU-
Neues zu erschaffen. Das gilt für große Architekturprojekte genauso wie für die kleinen Leader-Projekt „Kernland-Schaufenster“. Dabei waren 54 unterschiedliche Gestaltungen
Schmuckstücke. In der Architektur stehen dafür eine Vielzahl von Materialien und von beinahe ebenso vielen Künstlern und Künstlerinnen zu sehen. Bei beiden Projekten
Proportionen zur Verfügung, die man aufgrund der eigenen Ideen und des vorgegebe- ist es gelungen, viele der leer stehenden Objekte wieder zu vermieten.
nen Budgets zu einem großen Ganzen fügen möchte. Bei meinem Schmuck achte ich
ebenfalls auf Materialgerechtigkeit und Proportionen, aber auch auf die genaue r Wo kann man Ihre Schmuckstücke kaufen, und was tun Sie fürs eigene Marketing?
Ausfertigung jedes Stückes. Auch dies ist eine typische Architektenaufgabe. Welche Kanäle nutzen Sie dafür?
Ich bin auf Kunsthandwerksmärkten persönlich anzutreffen, verkaufe aber auch in eini-
r Ihr Arbeitsthema liegt darin, aus etwas Vorhandenem etwas Neues zu schaffen. gen ausgewählten Geschäften und Museumsshops. Meine Homepage weist auf kom-
Fanden Sie es denn schon als Architektin spannender, sich mit Umbauten statt mende Märkte, Ausstellungen, Verkaufsstellen und andere News hin. Workshops biete
Neubauten zu beschäftigen? ich hauptsächlich in meinem Atelier an. Manchmal kommen Kundinnen mit
Ja, ich habe immer schon gerne an Umbauprojekten gearbeitet. Mehr als bei Neubauten Materialien, die sie gerne verarbeiten möchten oder auch mit einem Kleidungsstück, zu
musste ich bei Umbauten an Ort und Stelle auf der Baustelle improvisieren und rasche dem sie ein passendes Schmuckstück selbst herstellen möchten.
Entscheidungen treffen, damit sowohl der Eröffnungstermin als auch die Kosten einge-
halten werden konnten. Die Zufriedenheit, ein Projekt zeitgerecht fertiggestellt zu haben, r Eine Frage muss zum Schluss noch gestellt werden: Wie schwer fällt es Ihnen,
war dann umso größer. etwas ein für alle Mal im Müll zu entsorgen?
Viele Materialien lagern jahrelang wohlsortiert bei mir, bis sich durch ein anderes
r Im Schmuckdesign liegen wesentlich schneller Ergebnisse vor als in der Material eine neue Kombinationsmöglichkeit ergibt. Ganz wenig landet bei mir wirklich
Architektur. Keine DIN-Normen, keine Behörden, keine Restriktionen … Ist es auch im Müll. Das geordnete Aufbewahren des Materials ist eine echte Herausforderung.
dieser kurze Weg zwischen Idee und Realisierung, der Sie begeistert? Einerseits will ich den Überblick behalten, andererseits darf die Einordnung in einen
Ja, auf jeden Fall. Und – anders als in der Architektur – erlauben meine Schmuck - bestimmten Kontext – in eine Schachtel oder ein Regalfach – keine Chancen für
projekte auch ein nochmaliges Umarbeiten für den Fall, dass mich das Ergebnis noch Verwendungs möglichkeiten verstellen, die sich erst später zeigen.
AIT 5.2017 • 065