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Redings Essay


              NACHRUF






              AUF EIN HAUS










               Ein Essay von Dominik Reding
               I  n Berlin-Mitte wurde ein Haus abgerissen. Ein gläserner Ku bus, mit breiter Treppe  viel Gold- und Edelholz-Imitat. Ja, auch ich hielt das Gebäude für einen West-Import.
                 davor und kalksteinverkleidetem Obergeschoss. 15,5 Meter hoch, 21 Meter breit,  „Für die Parteileute  war das eine Hundehütte.“ Peter Gohlke lächelt, legt Pläne,
               19 Meter tief. Hinter hohen Bauzäunen wühlten sich die Abriss bagger in den Stahl-  Akten, Fotos auf seinen Schreibtisch. „Denen war das suspekt, weil wir so anders
               beton. Es war nicht von Schlüter, nicht von Schinkel, nicht von Behrens, nicht Barock,  waren.“ Wir, das waren Architekt Peter Gohlke und die „Entwurfsgruppe der Kunst -
               nicht Klassizismus, nicht Jugendstil. Es war nicht besonders auffällig, nicht besonders  hochschule Berlin-Weißensee“. Nicht die Einheitspartei, sondern eine bürgerliche
               pro minent  und  unter  Denkmalschutz  stand  es  auch  nicht.  Es  war  also  nicht  so  Institution, die „Staatlichen Museen zu Berlin“, beauftragte Gohlke und sein Team 1975
               schlimm? Doch. Es war das beste Gebäude der DDR.              mit der Planung. „Wir schwammen da im Schatten, jenseits  von Honecker.“ Die
               Papp-Parolen, Braunkohledunst und eine Imbissbude am Alexanderplatz, die sich  Gruppe nutze den Schatten zu einem kreativen Outburst, der in der DDR-Architektur
               „Die kalte Mamsell“ nannte. Ost-Berlin 1980. Verwandtenbesuch in Treptow. Nach  einmalig bleiben sollte. „Zur Planung ins Ausland reisen, Vorbilder besuchen, konn-
               Kaffee und Kuchen Ausflug zum Pergamonmuseum. Ein rußgeschwärzter Klotz, zu  ten wir nicht, das durften nur die SED-ler, aber wir haben in Zeitschriften geguckt.“
               betreten nur über eine rostige Behelfsbrücke und einen improvisierten Seiteneingang.  Mit jugendlicher Begeisterung rollt der Architekt die vergilbten Entwurfszeichnungen
               Der Vorplatz ein Auf und Ab aus zerbrochenen Steinplatten, die Wände übersät mit  aus. „Die Verbindungstür zwischen Alt- und Neubau, dafür haben wir uns antike,
               Einschusslöchern  aus  dem Zweiten Weltkrieg.                                           griechische Grabtüren angeschaut, Steintüren,
               Und im Inneren: Handgeschriebene  Zettel auf                                            die haben  wir dann in Glas und Stahl über -
               Deutsch und Russisch: „Eingang“, „Ausgang“,                                             setzt, von einer Zweimann-Schlosserei in Pan -
               „Kasse“ und der Geruch nach Ata-Reini gungs -                                           kow.“ Das Anderssein, die ästhetische Unbeug -
               pulver. 1985, wieder Ost-Berlin, wieder Besuch                                          samkeit,  wurde mühsam erkämpft. Die Bau -
               im Pergamonmuseum. Diesmal mit der Schul -                                              akten wimmeln von Einträgen wie diesen: „Die
               klasse. Und diesmal  war alles anders. Nein,                                            Ausführung der Dachtraufe, eines dienenden
               den Braunkohledunst und die „Kalte Mamsell“                                             Details, welches Zurückhaltung erfordert, wirkt
               am Alex gab es immer noch, aber der Eingang                                             überdimensioniert und stört nicht nur die Pro -
               zum Pergamonmuseum, der war neu. Und wie!                                               portion, sondern be einflusst durch ihre Un -
               Die Notbrücke über dem Spree-Arm hatte einer                                            genauigkeit das gesamte Erscheinungsbild der
               schlanken Beton-Granit-Treppe mit indirekt                                              Fassade in unvertretbarer Weise.“ Oder: “Nicht
               beleuchtetem Geländer Platz gemacht, das                                                geklärt ist die Lieferung der  Trapezglas -
               brüchige Steinchaos auf dem Vorhof war einer                                            scheiben. Sowohl der VEB Ausbau als auch das
               disziplinierten Landschaft aus griechischen                                             Flachglaswerk  Torgau sehen sich für die
               Statuen, quadratischen Sitzelementen und                                                Anfertigung der sechs Scheiben außer Stande.“
               Leuchtzylindern aus Glas und Edelstahl ge -                                             Im Ergebnis entstand dann alles – Tresen, Tü -
               wichen und der Museumseingang war gewan-                                                ren,  Lampen,  Informationstafeln,  selbst  die
               dert – aus der schäbigen  Ecke in  ein eigenes Foto: Peter Gohlke und Kollektiv         Stühle  und  Tische  in der  Eingangshalle  – in
               Haus in der Platzmitte. Von außen eine unauf -                                          Handan fertigung. Viel geschrieben wurde über
               geregte, sicher proportionierte Glas-Stahl-Kons -                                       das  neue  Museums gebäude  nicht.  Vielleicht
               truk tion, die an einen modernen Tempel in der                                          war es den DDR-Oberen in seiner Modernität
               Bautradition eines Schinkel oder Mies van der Rohe denken ließ, zeigte der Neubau  und optischen Zurück haltung zu fremd, zu wenig repräsentativ, viel leicht reichten im
               im Inneren ein leichtes, gläsern-transparentes Raumgefüge aus leuchtend hellen,  Jahr der Eröffnung 1982 auch die Lust und das Selbstbewusstsein der DDR nach
               marmorverkleideten Treppenläufen und vier Etagen voller eleganter, sorgfältig auf -  aktuellen Architektur-Publikationen schon nicht mehr aus und dann, nach der Wen-
               einander abgestimmter, akkurat ausgeführter Details. Von rahmenlosen Glas-Wind -  de, war es alt, unwichtig, ein Rest dieses untergegangenen Staates mit seinem Alu-
               fängen an den Eingangstüren bis zu gebogenen Glasscheiben an den Kassentresen.  Geld und seinen Plaste-Autos. Hätte Peter Gohlke, Jahrgang 1937, in Westdeutschland
               Und dann gab es im Kellergeschoss noch diese WC-Anlage. Neon-kühl beschienen,  gearbeitet, er  würde  wohl in einem Atemzug mit den anderen Granden seiner
               glimmerten unter den historischen Gewölben des Altbaus  Tausende dunkelgrüne  Generation – Kleihues, Gerkan, Kulka, Bangert, Sawade – genannt. Er blieb in der
               Mosaikkacheln, rundherum, vom Boden bis zur Decke, in einem durch die optische  DDR. Sie dankte es ihm nicht. Kurz vor der Eröffnung floh ein Teamkollege in den
               Täuschung der Spülsteinspiegel ins Unendliche erweiterten Raum. Uff, so was gab es  Westen und die Partei-Organe nahmen Rache. Sie lösten die Entwurfsgruppe auf und
               ja nicht einmal in West-Berlin.                               schickten Peter Gohlke in einen Baureparaturbetrieb. Nach der Wiedervereinigung
               In den Zeitungen las man damals, die DDR gebe Prestige-Projekte heimlich im Westen  fand  ein Wett bewerb  zum Umbau des Pergamonmuseums statt. Oswald Mathias
               in Auftrag. Vom Entwurf bis zur Ausführung. Von Schweden, Japan, auch der BRD war  Ungers gewann ihn. Jetzt werden Brücke und Eingangsgebäude durch eine Brücke
               die Rede. Und  wahrhaftig, nichts im neuen Eingangsgebäude erinnerte an die  und ein Eingangs gebäude ersetzt. „Herrn Ungers hat unser Haus gefallen, er wollte
               architektoni schen Eigenheiten der DDR: Keine expressiven Betonplatten-Additionen, kei -  eigentlich nicht, dass es abgerissen wird.“ Peter Gohlke faltet die Pläne zusammen
               ne aus Moskau re-importierte Gestaltungs-Grobianik, kein Hang zu muffigen Details mit  und legt sie behutsam zurück in die Schreibtischschublade.



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