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Arno Lederer: Drinnen ist anders als draußen Balkrishna Doshi: Architecture & Identity

Seit 2014 bereichert der Hospitalhof, das von Lederer Ragnarsdóttir Oei (LRO) erbaute „Doshi hat immer ernste Architektur geschaffen, die nie schrill ist oder Trends folgt“, be-
Evangelische Bildungszentrum, meisterhaft das gleichnamige Stuttgarter Quartier. Eben gründete die Jury 2018 ihre Entscheidung, als der damals 90-Jährige als erster Inder mit
dort wurde am 14. Januar „Drinnen ist anders als draußen – Architektur lesen“ vorgestellt. dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde. Der im Januar verstorbene Architekt fiel auf
Jorúnn Ragnarsdóttir, Büropartnerin und Ehefrau des eine Woche danach verstorbenen durch seinen „tiefen Verantwortungssinn und das Verlangen, für sein Land und dessen
Architekten Arno Lederer, hat dieses Buch herausgegeben. Es ist ein literarisches Ver- Menschen durch authentische Architektur von höchster Qualität einen Beitrag zu leisten“.
mächtnis in 44 Kapiteln: ausgewählte Texte von Arno Lederer zu Vorträgen, Eröffnungen So spielte Balkrishna Doshi eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der postkolonialen Ar-
und Symposien aus vielen Jahrzehnten. Der Einband trägt die Handschrift des Architek- chitektur Indiens, nachdem sich das Land vom British Empire getrennt hatte. 1956 grün-
ten – eine farbige Zeichnung, die, einem Wimmelbild gleich, immer neue Entdeckungen dete er sein eigenes Architekturbüro in Ahmedabad und galt seither als Pionier bei der
bereithält. Beim Überfliegen der Kapitel stellt sich Lösung entscheidender Fragen des sozia-
die Frage: Wo anfangen? Lieber bei „Wo alles trans- len Wohnungsbaus und der Urbanisie-
parent ist, kann es keine Heimat geben“, bei „Lob rung im Vielvölkerstaat. Internationales
des Mauersteins“, bei „Die Sprache des Geldes“ Renommee erlangte Doshi mit seiner
oder doch lieber bei „Wir Spezialisten im Dilettie- Synthese aus europäischen und indi-
ren“. Einerlei! „Drinnen ist anders als draußen“ schen Bauformen, als Abkehr von der
lässt sich quer lesen. Und es ist ebenso erhellend, uniformen Architektur der Moderne. We-
voller Esprit wie amüsant. Denn Arno Lederer war niger bekannt als seine charakteristi-
einer, der sich nicht scheute, Position zu beziehen schen Tonnengewölbe ist sein Wirken als
und Kritik zu üben, an Regelwerken, Behörden, Autor. Dass Balkrishna Doshi weit mehr
Zeit- und Kostenoptimierern, die eher dazu dienen, als sein gebautes Erbe hinterlässt, ver-
Baukultur zu verhindern. Pointiert brachte er dies deutlicht „Architecture & Identity“. Diese
auf den Punkt, etwa so: „Wenn aber das Bauen Anthologie versammelt eine Auswahl von
dem Herstellungsprozess von Autos, Waschmaschi- 15 seiner Schriften, Vorträge, Artikel und
nen oder Fertigsuppen gleichgeschaltet wird, und Essays. Über 500 handgeschriebene Bü-
nicht den langwierigen Prozess des Nachdenkens cher – voller Gedanken zu Architektur
und Entwickelns bedeutet, dann verschwindet die und Stadtplanung, zu Philosophie und
Architektur“, mahnt Lederer im Kapitel „Schneller, Religion, zu Tradition und Moderne –
billiger, BIM“. Mit dem reichen Erfahrungsschatz eines Praktikers, mit der Bildung eines zählt sein umfangreiches Œuvre. Es gibt drei Themen, die in Doshis schriftlichem Werk
Kulturmenschen, mit der Präzision eines Alltagsbeobachters nutzte er die Themen, über häufig auftauchen und sein architektonisches Denken charakterisieren: Identität, Haltung
die er schrieb und redete, vielfach für Exkurse in die Baugeschichte, von Vitruv über Al- und Wert. In seinen Texten nähert er sich den Gebäuden der Altstadt von Ahmedabad
berti, Eiermann und Snozzi bis zu Rem Koolhaas. Und er blickte immer wieder über den und ihrer Umgebung aus der Sicht eines professionell ausgebildeten Architekten. Er be-
Tellerrand des eigenen Metiers hinaus, in andere kulturelle Disziplinen, in Literatur und schreibt die Eigenschaften von Gebäuden und zeigt, wie Wohnformen und -strukturen
Musik. Lederers Architektur-Lesebuch ist ein Plädoyer für die gesellschaftliche Verantwor- auf Umweltbedingungen, Klima und Geografie reagieren. Auch wirtschaftliche und ge-
tung von Architektur. Die Architekturjournalistin Amber Sayah schreibt im Vorwort: „Arno sellschaftliche Gegebenheiten werden berücksichtigt. Brauchtum, Alltag und Religion
Lederer ist ein Streiter für die traditionelle Rolle des Architekten als Generalist, der die spielen eine wichtige Rolle. Formen und Technologien der Baukultur müssten verstan-
schier zahllosen an einem Projekt beteiligten Einzelinteressen mit Blick auf die Baukultur den, Bautraditionen respektiert und als Referenz anerkannt werden. Die Sammlung ist
bündelt und orchestriert. Und darum geht es letztendlich – um Baukultur, in der wie in reich illustriert mit mehr als 50 seiner Skizzen. Architektonische Details und Stadtansich-
einem Ökosystem alles mit allem ganzheitlich zusammenhängt.“ Bei LRO gibt es deshalb ten sowie Tiere, Menschen und religiöse Bilder zeigen anschaulich, dass Doshi sich weit
den Leitspruch „Erst die Stadt, dann das Haus“. Der Stuttgarter Hospitalhof ist nur eines über die Architektur hinaus für das Leben und seine Formen interessierte. Für ihn be-
von vielen Gebäuden des Büros, an denen sich diese gesellschaftlich-kulturelle und stand ein fundamentaler Zusammenhang zwischen dem Schreiben, dem Zeichnen und
städtebauliche Prämisse ablesen lässt. „Architektur lesen“ lautet der Untertitel des Bu- schließlich dem Gestalten. Es geschah neben- und miteinander und stellte in seinen un-
ches. Bei Lederer funktioniert dies im doppelten Wortsinn. wa terschiedlichen Formen den Übergang vom Anschaulichen zum Konkreten dar. sf

Drinnen ist anders als draußen. Architektur lesen Herausgegeben von Jórunn Ragnarsdóttir. Erschienen 2023 im Verlag Jovis, Balkrishna Doshi: Writings on Architecture & Identity Herausgegeben von Vera Simone Bader. Erschienen 2020 im Verlag
Berlin. Deutsch. 480 Seiten. Hardcover. Format: 12,2 x 20,9 cm. 38,00 EUR ISBN 978-3-86859-872-8 ArchiTangle, Berlin. Englisch. 224 Seiten. Hardcover. Format: 16,0 x 21,0 cm. 24,00 EUR. ISBN 978-3-96680-001-3

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