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Entwurf • Design HBG Architects, PT-Lissabon
                                                                           Bauherr • Client Privat
                                                                           Standort • Location Rua da Praça e Rua Nova, PT-Aldeia de João Pires
                                                                           Nutzfläche • Floor space 95 m 2
                                                                           Fotos • Photos Ricardo Oliveira Alves
                                                                           Mehr Infos auf Seite • More infos on page 126






























             Sommers wie winters: dank Kamin ein lauschiges und mit versteckter Klimatechnik auch kühles Plätzchen. • In summer and in winter: thanks to the fireplace a cosy and, with concealed air conditioning, also a cool spot.



             von • by Kira Sophie Kawohl
             E   s gab Zeiten in Aldeia de João Pires, einer kleinen Gemeinde von 184 Einwoh-  Qualität des Raums gänzlich neu ausgelegt und die nutzbare Fläche auf insgesamt
                                                                           95 Quadratmeter erweitert werden konnte. Auf Erdgeschossniveau ist ein loftartiger
                 nern im bergigen Hinterland Zentralportugals, da kam die Dorfbevölkerung an
             der Ecke zwischen Rua da Praça und Rua Nova noch zusammen, um Brot zu backen.  Wohn- und Essbereich entstanden. Eine offene Küche, ein gemeinschaftlich nutzba-
             Vermutlich war das dort ansässige Gemeindebackhaus, um das es jetzt gehen soll,  res Badezimmer sowie eine Speisekammer liegen im teilgeschützen Bereich unter
             einst ein lebhafter, allezeit nach frischgebackenem Pão alentejano duftender Um-  der eingezogenen Decke, die privaten Räume finden auf der zweiten Ebene Platz.
             schlagplatz für Dorfgeschichten jedweder Art. Doch die Tage, an denen die kommu-  Dreh- und Angelpunkt des neuen Interieurs ist eine alle Zonen miteinander verbin-
             nale Feuerstelle, so wie auch der öffentliche Brunnen oder die nahegelegene Kapelle  dende Treppe, die an Carlo Scarpas Fünfzigerjahre-Treppenikone im venezianischen
             Espírito Santo e Calvário, Orte des blühenden öffentlichen Lebens waren, sind längst  Showroom für Olivetti erinnert. Wie schon bei Scarpa, erstrecken sich hier die kas-
             vergangen. Der Ofen wurde schon vor mehr als einem halben Jahrhundert außer Be-  kadenhaft ausufernden Stufen abwechselnd in die Breite und Länge, um mal als Tre-
             trieb genommen und wartete seither – wie Henrique Barros-Gomes beschreibt – „in  sen und Sitzbank, mal als Kamintisch zu dienen. Farblich wurde der untere Treppen-
             einsamer Würde und trauriger Schönheit“ auf eine neue Bestimmung. Er, der Grün-  abschnitt nach der Art eines Sockelbereichs dem grauen Estrich des Fußbodens im
             der von HBG Architects, erkannte das große Potenzial in dem vernachlässigten Nutz-  Erdgeschoss zugeordnet, während sich die darüberliegenden Stufen optisch mit der
             bau und nahm daher den Auftrag an: Unter der Maßgabe, das ursprüngliche, ein-  oberen Zone, dem Holzeinbau, verbinden.
             stöckige Volumen in seiner Grundanlage zu erhalten, sollte ein komfortables Land-
             haus für die Familie des Eigentümers entstehen, nutzbar sowohl in den rauen Win-  Ausstattung mit regionaltypischen Materialien neu interpretiert
             tern als auch extrem heißen Sommern der Bergregion.
                                                                           Insgesamt füllt die objekthaft eingestellte Raumstruktur die erweiterte Substanz des
             Inneres Volumen vergrößert und gänzlich neu ausgelegt         alten Gemeindeofens mit einer ausgewogenen Komposition aus sich überlagernden
                                                                           und überschneidenden Kubaturen und Flächen aus. Diese hat man durch farbliche
             Hierfür ließen die Architekten das alte Dachwerk abtragen, die Außenmauern bis zur  und materielle Zuweisung gruppiert und ihnen die rote Akzentfarbe als Verweis auf
             Höhe des angrenzenden Hauses aufstocken und mit einem neuen Satteldach ab-  das Feuerthema gegenübergestellt. Durch den Einbau erweiterter Fensterflächen
             schließen. Ganz im Einklang mit dem Bestand hat man die Fassade in der regional-  herrscht im einst naturgemäß lichtarmen Ofen eine freundlich-helle Atmosphäre. Im
             typischen Geschlossenheit und Materialität aus unregelmäßig gehauenen Granitqua-  Vergleich zu den rustikal-düsteren Kiefernholz-Ausstattungen regionaltypischer Stein-
             dern weitergeführt. Die unterschiedlichen Entstehungszeiten des Mauerwerks lassen  häuser stellt der Innenausbau von HBG also eine eigenständige, nicht aber orts-
             sich noch an den teils durch den einstigen Ofenbetrieb geschwärzten Innenwänden  fremde Neuerung dar. Indem auch der Außenbau, dessen typischer Charakter beste-
             ablesen. Zwischenzeitlich zugemauerte Kaminöffnungen wurden wieder freigelegt  hen blieb, nur subtil auf die innenliegende Neuinterpretation verweist, nimmt der
             und durch neue, am Außenbau feuerrot erscheinende Fensterrahmen sowie innen-  im Ortsbild jetzt die Rolle des in die Provinz zurückgekehrten Städters ein: nicht in
             liegende Läden aus Kiefernholz ersetzt oder zu Wandnischen umfunktioniert. Zusätz-  allen Punkten den vorherrschenden Wertevorstellungen zustimmend und dennoch
             liche Fensterflächen in den neuen Wand- und Dachflächen erzeugen einen abwechs-  bestens integriert. Man kann den Lissaboner Architekten, für die der abgelegene
              lungsreichen Lichteinfall und – je nach Tageszeit – auch eine dramatische Belichtung  Standort des Projektes mit großen logistischen Herausforderungen und zeitlichen
              des freiliegenden Mauerwerks. In die rustikale Hülle aus Stein ließen die Architekten  Verzögerungen verbunden war, nur zurückmelden, dass sich der Aufwand gelohnt
              eine vom Bestand unabhängige, abgeschlossene Raumstruktur einsetzen: Auf einem  hat: In Aldeia de João Pires führten sie beispielhaft aus, wie verlassene Zweckbauten
              massiven, rot lackierten Stahlträger lagert nun das bis in den Giebel hinauf mit  in einer überalterten, ländlichen Umgebung unter Verwendung traditioneller Bau-
             schmalen Kanthölzernen verkleidete Galeriegeschoss, durch das die volumetrische  stoffe taktvoll wiederbelebt, verjüngt und zeitgemäß adaptiert werden können.

                                                                                                                            AIT 3.2021  •  111
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