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REDINGS ESSAY
DIE PERFEKTE
WELLE
Ein Essay von Dominik Reding
G ijon ist hässlich. In den Prospekten steht natürlich etwas anderes: „Historic old town, sie nur finden.“ Er winkte ausgelassen. Ganz junge, weiche Bewegungen. Er war 20, höch-
beautiful beaches, schönes Asturien, Art Nouveau Teatro, exciting nightlife, Bay of
stens. Beim Abendessen im Hotel gab es Aufregung. Die chinesische Reisegruppe war
Biscay, l´Atlantique, tres beau, wunderbar, fantastic!“ Aber es ist nicht so. Der Strand ist weg. Ohne die Zeche zu zahlen. Der Kellner erklärte es mir mit Händen und Füssen. „They
künstlich angeschüttet und von Hochhäusern umstellt, der echte Strand dafür mit Felsen didn´t pay. Do you believe that?!“ Ich stellte mir vor, wie die Gruppe mit Tretbooten von
übersät und kilometerweit vom Ort entfernt, die Altstadt wirkt so „historic“, als habe sie der Küste Asturiens aus ins Südchinesische Meer flüchteten, um sich die Kosten der
ein nordkoreanischer Filmausstatter entworfen, das „Night life“ ist nicht „exciting“, son- Brötchen im „El Rey“ zu ersparen. Nein, es war nicht zu glauben. Tags darauf kehrte ich
dern non exsisting und das Teatro ist kein Art Nouveau, sondern nur schnöder zur Felsenbucht zurück. Der Strand war menschenleer, was er sein musste, war es doch
Historismus. Ich wollte da nicht hin. Ich weiß nicht, wie Urlaubmachen geht. Aber es gab verboten, hier zu baden oder zunsurfen oder überhaupt zu sein. Draußen, auf dem Meer
einen Anruf. Der Film eines Kollegen sollte in Gijon entstehen und entstand nicht. Das entdeckte ich den Surfer. Er paddelte auf seinem Brett, wartete auf den richtigen Moment,
Hotelzimmer stände bereit, der Flug sei gebucht, die Filmförderung habe schon alles die richtige Welle, drückte sich hoch und ritt auf dem Kamm, die Arme zur Balance weit
bezahlt. Ob ich nicht wollte? Ich flog hin. „Do not walk here!“ Das angerostete Blechschild ausgebreitet. Dann sank er mit der Welle nieder und der Ritt begann von Neuem. Und ich
schwankte an seiner dünnen Kette hin und her. Sie machten sich hier gar nicht erst die erinnerte mich an die Delphine vor Ancona. Stundenlang waren sie neben dem Fährschiff
Mühe, etwas in der Landessprache zu daraufzuschreiben. Sicher wussten alle Ein heimi- auf und ab gesprungen, in einem kraftzehrenden, sebstvergessen Spiel. Vor der Höhle
schen Bescheid. Dramatisch steil, in wildem Zickzack der Geologie folgend, schlängelten wehten T-Shirts zum Trocknen im Wind. Ich ging, ohne zu fragen, hinein. Es war keine
sich die Stufen die Felswände bis zum Strand hinunter. Sie waren schief, ausgetreten und Höhle, nur eine geräumige Nische im Fels. Im Inneren trockener, fester Sand, ein Schlaf -
bemoost und sahen tatsächlich ein bisschen sack auf dem Boden, ein nassgewelltes Surf-
gefähr lich aus. „Three tourists fell down. Then Magazin und ein MP3-Player daneben, Socken
they closed it.“ Der Kellner im Hotel restau rant und Unterhosen auf einem Haufen und an einem
erklärte es mir zum Frühstück. „It is not allo wed Nagel baumelnd ein Netz mit Orangen. „Du musst
to swim there anymore.“ Am Neben tisch saß eine die Orangen essen!“ Der junge Surfer stand im
Reisegruppe aus China, sie lachten und schauten Eingang. Er nahm eine aus dem Netz, streckte sie
zu uns herüber. „I hope, they weren´t inju red?“, mir entgegen. „Ganz festes Fleisch, fantastisch
fragte ich. Der Kellner schüttelte energisch den süß.“ Und dann erklärte er voller Begeisterung
Kopf. „No, they are dead.“ Das Hotel hieß „El Rey“ den Geschmack einer Orange, so, als habe noch
und stand nicht bei den Hoch-häusern am Strand, nie jemand zuvor diese Frucht gekostet. „Woher
mit Blick auf das Meer, und nicht in der Altstadt, bekommst du dein Essen?“ Ich bereute die Frage.
mit Blick auf die Ziegel dächer, sondern dazwi- Woher wohl? Hatte ich mir vorgestellt, er würde
schen, mit Blick auf einen Hotelkasten wie das „El seine Nahrungsmittel wie ein Neandertaler erja-
Rey“ selbst. Hier wirst du also zwei Wochen woh - gen? „Aus dem Supermarkt“, sagte er und dann,
nen, dachte ich. Und seufzte. Ich verbrachte die wieder voller Begeisterung, „Hast du´s gesehen?
Zeit mit Wandern, ging auch zu den Felsen - Bin ein Barrel gesurft. Die Welle war mindestens
klippen, überstieg das Warnschild und kletterte drei Meter hoch, richtige Big Waves heute, das war
die steilen Stufen hinunter. Der Strand war so geil, so geil!“ Seine Augen leuchteten, beglückt,
schmal, der Sand nass, schmie rig und grau, der fast verklärt. Dann verschwand das Leuchten und
Himmel wolkenverhan gen, die Felsen aber, die Foto: Fabian Noichl er schaute ernst, beunruhigt, mit offenem Blick in
waren voller Schönheit, hoch und rostrot und sie eine Ferne, als begreife er, dass hinter uns, da wo
umgaben die Bucht wie zwei schützende, erd- wir Erfolg, Einkommen, Ehre und Doktortitel
verkrustete Hände. „Echt starker Swell heute. Ideal zum Carven.“ Ich nickte, obwohl ich behaupten, nichts ist. „Du musst auch surfen. Das macht so mega heftig Spaß!“ Jetzt
nicht begriff, was die Stimme meinte und drehte mich um. Hinter mir stand ein Surfer, lächelte er wieder. Ich nickte höflich. „Wohnst du immer hier?“ „Nein, nur im Sommer
schlank, braun gebrannt, langhaarig, mit seinem Board unter dem Arm. Sein rotblonder und Herbst.“ „Und sonst?“ „Wo man mich lässt.“ Ich wollte mehr fragen, aber er wollte
Bart verwischte das Alter. Vielleicht war er Anfang, vielleicht Ende 20. „Schöne Wellen“, wieder raus und mir wurde kalt. Er nahm sein Surfboard und betrachtete den Abend -
sagte ich und dachte, das hört ein Surfer gerne. Er schüttelte den Kopf. „Nein, zu hoch, himmel. „Das Wetter wird super, schön windig, da paddel ich raus und finde die perfekte
die waschen mich durch. Wipe out.“ Er lächelte. Was sollte ich noch sagen? Ich weiß Welle, wetten?“ Ich ging ich durch die Altstadt heim, in der es still war und nach Fisch
nichts vom Surfen. „Wohnst du auch in Gijon, in einem der Hotels?“ „Nö.“ Er zeigte und Dieselöl roch. Die Nacht wurde stürmisch, der Morgen sonnig, das erste Mal in den
Richtung Felswand. Meine Augen suchten an der Spitze nach einem Haus. Und fanden zwei Wochen. Und die Chinesen waren wieder da. Gut gelaunt frühstückten sie am
nichts. „In einem Auto, Wohnwagen, ja?“ Er drehte mit einer Hand eine Zigarette, holte Nachbartisch. „It was a missunderstanding, they took the wrong hotel“, erklärte der
eine Packung Streichhölzer hervor, entzündete eines, schützte mit der braun gebrannten Kellner. Dann beugte er sich an mein Ohr. „Did you hear it? Someone drowned at the
Hand die Flamme, entzündete die Zigarette, sog genussvoll den Rauch ein, zeigte wieder beach, yersterday night. It´s not allowed to be there, the rocks, you know, too dangerous.“
auf die Felswand und sagte: „Na da.“ Jetzt sah ich es. Am Fuß der Felswand gab es eine Er hielt mir die Kaffeekanne hin. „Another coffee, Sir?“ Der Strand lag verlassen, wie
Öffnung, wie zu einer Höhle. „Darf man das denn, hier wohnen?“ „Nein.“ Dann schlen- immer. Nur vor der Höhle, da wehten Absperrbänder. Sie knisterten im Wind. Die Polizei
derte er mit dem Surfboard zum Meer. „Heute erwische ich die perfekte Welle, man muss hatte seine Sachen schon mitgenommen, die Höhle war leer.
056 • AIT 3.2018