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Entwurf • Design Bicon Generalplanung mit Stephen Williams, Hamburg
                                     Hendrik Gruß                                                 Bauherr • Client Haminvest, Hamburg
                                                                                                  Standort • Location Bülowstraße 20, Hamburg
                                     1980 in Paderborn geboren 2000–07 Architekturstudium, Bauhaus-Universität Weimar 2003–04 OMA, Rot ter  dam  Nutzfläche • Floor space 1.300 m 2
                                     2005–06 Herzog & de Meuron, Basel  2007–09 Rafael de La-Hoz, Madrid  2010–11 H&deM, Hamburg  2011–15  Fotos • Photos Jesper Ray, DK-Birkerød
                                     BiwerMau, Ham burg 2015–17 Bicon Generalplanung, Ham burg 2017 Gründung Beißert + Gruß Architekten, Hamburg   Mehr Infos auf Seite • More infos on page 144






























                An zwei Fassaden wurden die 60 Zentimeter dicken Außenwände des Hochbunkers großflächig aufgesägt.



                W     ährend  des Zweiten Weltkriegs war  Hamburg  ein vorrangiges Ziel  alliierter
                      Luftangriffe, da sich in der Stadt mehrere große Werften befanden, die für die
                deutsche Kriegsmarine in der U-Boot-Produktion tätig waren. Als Reaktion darauf errich-
                tete man im ge samten Stadtgebiet mehr als 1.000 Bunkeranlagen. Wenig erfolgreiche
                Spreng versuche der britischen Besatzer reduzierten den Bestand in den Folge jahren des
                Krieges nur marginal. Daher fristeten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele
                der Anlagen ein Dasein in nicht enden wollender Agonie – zu massiv, um abgerissen zu
                werden; zu negativ konnotiert, um bewohnt zu werden. Ledig lich der zwischen den
                Großformen des Millerntor-Stadions und des Heilig-Geist-Feldes gelegene Hochbunker
                in der Feld straße wurde im letzten Jahrhundert einer neuen Nutzung zugeführt, die dem
                Wesen des Beton monolithen einigermaßen gerecht wur de. Unter anderem ist hier in
                den oberen Etagen ein Musikklub zuhause. Erst der neuer liche Immobilienboom, die
                steigenden Preise für urbanen Wohnraum und die damit neuen Möglichkeiten für einen
                Re-Invest bei aufwendigen Sanierungen und Umbauten machten die Bunker, die Anfang
                der 2000er-Jahre noch verschenkt wurden, zuletzt zu interessanten Planungsobjekten.  Im Inneren entstanden moderne Wohnungen, die den massiven Charakter des Hauses nicht verleugnen.
                Nicht zuletzt bildet ihr Bestand eine dankbare Alternative zu den üblichen Investoren -
                neubauten, wie sie zu großen Teilen in Hamburg entstehen. Die überdrehte und doch
                entkoffeinierte „HafenCity“ oder die in  Würfel gepressten Minimalstandard-Klinker -  Bauherr zu Eigen tumswohnungen um. Die Planungen lagen beim Generalplaner Bicon
                häuschen der neuen „Mitte Altona“ konterkarieren jegliche städteplanerischen Dis kur -  und wurden vom Architekturbüro Stephen Williams Associates un terstützt. Die bereits
                se, die seit dem letzten Jahrhundert zu den Themen Urbanität und städtisches Leben  2010 vom Voreigentümer eingeschnittenen, horizontalen Fens terbänder wurden noch
                geführt wurden. Im Gegensatz dazu bieten die Hochbunker, die sich in gewachsenen  einmal vergrößert und großzügige Balkone an die Fas sade ge hängt. Zusammen mit
                Stadtstrukturen – vornehmlich in Stadtteilen wie Eimsbüttel oder Ottensen – und funk-  den immensen Laibungstiefen von 60 Zentimetern, die sich als Sitzmöglichkeit eignen,
                tionierenden Nach barschaften befinden, nun eine besondere Gelegenheit, die histori-  erweitern die Balkone den Wohnraum in den Außen bereich. Aufgrund der denkmal-
                sche Substanz mit neuen ideellen und baulichen Visionen zu besetzen.  geschützten Fassaden konnte der Bunker nur innenseitig ge dämmt werden. Die aufge-
                                                                              brachten Mineral dämm platten sorgen in Kombination mit den großen Betonmassen
                Der Umbau ist eine dankbare Alternative zum Neubau            für eine enorme Temperatur-Elastizität: Im Frühjahr wird die Wärme aus der Heiz -
                                                                              periode noch lange gespeichert; im Sommer bleibt der Bunker an genehm kühl.
                Der Bunker in der Bülowstraße 20 wurde 1939 errichtet. Er diente während des Zweiten  Während sich der Turm von außen rau und massiv zeigt, wurden die Wohnungen im
                Weltkriegs als Schutzraum des benachbarten Frauen- und Kinder kranken hauses.  Inneren als Gegenpol klassisch weiß verputzt und mit einem warmen Holzboden ver-
                Durch einen Tunnel unter der Bülowstraße war er direkt mit dem Hospital verbunden.  sehen. Das gewährleistet nicht zuletzt die Vermarktbarkeit als Eigen tums wohnungen.
                Während der Luftangriffe konnten hier sogar Operationen durchgeführt werden. Die  Einzig die Innenarchitektin Ruth Kramer, die das fünfte Ober geschoss er warb, verzich-
                verschiedenen Funktionen drücken sich bis heute in den unterschiedlichen  tete zugunsten der historischen Sichtbetonoptik mit ihrem prägnanten Holzlatten-Relief
                Geschosshöhen des Gebäudes aus, das über ein Untergeschoss und sechs oberirdische  auf den Einbau der Innendämmung. Auf dem Dach des Bunkers befindet sich wieder-
                Etagen verfügt. Im Jahr 2013 begann die Sanierung und Neuge staltung des denkmalge-  um ein  zentral platzierter, pilzförmiger  Lüftungs turm, der aufgrund  von Denk -
                schützten Ob jekts. Die Haminvest GmbH kaufte den Bunker und wandelte ihn als  malschutzbestimmungen nicht zurückgebaut werden durfte. Er bildet heute den Kern


                                                                                                                               AIT 3.2018 •  141
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