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Entwurf • Design Sauerbruch Hutton, Berlin
              Bauherr • Client Privat
              Standort • Location Clayallee 174, Berlin
              Ausstellungsfläche • Exhibition space 600 m 2
                                                                          Foto: Claire Laude
              Fotos • Photos Jan Bitter Fotografie, Berlin / Courtesy of Fluentum
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                                                                                                                                       Videokunst: © Guido van der Werve








             Eine Videoinstallation versperrt die zentrale Sichtachse. • A video installation blocks the central line of sight.  Ausstellungsobjekte konterkarieren die Symmetrie des Raumes. • Exhibits counteract the symmetry of the room.



             von • by Bettina Schürkamp
             Z   eitbasierte, ephemere Kunstwerke, die man weder anfassen noch ins Regal stellen  Wunsch des Bauherrn nicht publiziert werden dürfen. Mit Blick auf die wechselvolle Ge-
                 kann, faszinieren den Berliner Kunstsammler Dr. Markus Hannebauer. Im Jahr 2010
                                                                           schichte des denkmalgeschützten Gebäudes entschieden sich die Architekten bewusst
              erwarb der Softwareunternehmer auf dem Videofestival „Loop“ in Barcelona sein erstes  gegen eine klassische Restauration oder Rekonstruktion. Für eine flexible Nutzung re-
              Kunstwerk. Das Video „Secret Machine“ (2009) von Reynold Reynolds bildete den Start-  duzierten sie die Räume auf ihre Grundstruktur und bewahrten nur das Wesentliche.
              punkt für seine Sammlung „Fluentum”, die bis heute zu einem beachtlichen Privatmu-
             seum herangewachsen ist. In der Ausstellung „Speaking Images“ präsentierte das Vi-  Ambivalente Inszenierung von Raum und Zeit
              deomuseum im Herbst 2019 erstmalig Kunstwerke der Sammlung im Foyer des ehema-
              ligen Luftgaukommandos III in Berlin-Dahlem, dem neuen Zuhause von „Fluentum“.  Neu eingesetzte, raumhohe Türen verbinden das von Sauerbruch Hutton aufwendig sa-
             Für den Sammler wie auch alle Künstler, die hier zukünftig ihre Werke ausstellen wer-  nierte Foyer optisch mit der monumentalen Prachtallee des Kasernenhofes. Um die
             den, sind die dunklen und hellen Facetten der geschichtsträchtigen Räume eine inhalt-  Achsialität der Gesamtanlage zu brechen, wurden im Foyer die weißen Deckenverklei-
             liche wie auch gestalterische Herausforderung. Der Bilderstrom der flüchtigen Videopro-  dungen abgenommen und die rauen Betondecken offengelegt. An den Metallschienen
             jektionen formt einen antagonistischen Kontrast zur monumentalen Inneneinrichtung  unter den Betondecken können Leuchtkörper und Projektionsflächen frei im Raum auf-
              mit neoklassizistischen Details aus schwarzem Lahnmarmor.    gehängt werden. Wie bei einer Bühneninszenierung betont der Umbau den Werkstatt-
                                                                           charakter der Kunsthalle und setzt gleichzeitig mit ausgewählten Details die Zeitzeug-
             Gegenwartskunst in geschichtsträchtigen Räumen                nisse der 1930er-Jahre in Szene. Um das Museum auf den neuesten Stand der Technik
                                                                           zu bringen, wurden Marmorverkleidungen abmontiert, um sie mit technischen Instal-
             Der Einzug des Videomuseums „Fluentum“ markiert den zweiten, radikalen Image- und  lationen und einer Fußbodenheizung originalgetreu wieder einzubauen. Ein gläserner
             Nutzungswandel in der Geschichte des denkmalgeschützten Gebäudes. Von 1936 bis  Lift erschließt ergänzend zur geschwungenen Freitreppe die Ausstellungsfläche im Ober-
             1938 errichtete der Architekt Fritz Fuß das Luftgaukommando III für das Reichsluftfahrt-  geschoss. Mit Ausstellungs-, Wohn- und Büroräumen schufen Sauerbruch Hutton ein
             ministerium auf einem unbebauten Teil des Grunewalds. Für Berlin und umliegende  hochflexibles Kleinod, das der Sammler als Museum oder auch Werkstatt vielfältig nut-
             Provinzen wurden hier die Wiederaufrüstung und der Luftschutz im Zweiten Weltkrieg  zen kann. Hannebauer, der zunächst als Sammler in Galerien Kunstwerke kaufte, finan-
             koordiniert. Nach der deutschen Kapitulation „entnazifizierten“ die amerikanischen  ziert und produziert heute mit Künstlern eigene Kunstprojekte. Nach einer Promotion
             Streitkräfte den 5,6 Hektar großen Militärkomplex und nutzten die im Krieg kaum be-  im Bereich Künstliche Intelligenz gründete der Informatiker und Betriebswirtschaftler
             schädigten Räume als US-Hauptquartier bis zum Auszug im Jahr 1994. Über die Grenzen  das Unternehmen „think-cell“, das mit einer Ergänzungssoftware zu Microsoft Power-
             von Berlin hinweg wurde das Areal im Winter 1948/49 bekannt, als General Lucius D.  Point zu einem hochprofitablen Hidden Champion avancierte. Mit einer Zweigstelle in
             Clay hier die Luftbrücke während der sowjetischen Blockade West-Berlins organisierte.  Boston und vielfältigen Kontakten zu US-Unternehmen war für Hannebauer der Erwerb
             Bis heute befindet sich das amerikanische Konsulat in dem Verwaltungskomplex, den  des ehemaligen US-Hauptquartiers als Ort für Ausstellungen und Events ein Glücksfall.
             Investoren von 2011 bis 2016 in 295 Eigentumswohnungen und Business-Suiten umnutz-  Im Rahmen von privaten Veranstaltungen könnten sich vielleicht auch wieder die Türen
             ten. Nach längerem Leerstand erwarb Hannebauer im Jahr 2016 das Hauptgebäude in  zum Kennedy-Saal im Obergeschoss öffnen, in dem zuvor vier US-Präsidenten mit Emp-
             der Mitte der Anlage, das sich mit einem natursteinverkleideten Eingang und einer ele-  fängen residierten. Sauerbruch Hutton sanierten den Festsaal für private Nutzungen in
             ganten Fensterreihe im Obergeschoss zum großflächigen Kasernenplatz öffnet. Sauer-  einem menschlichen Maßstab, in dem sie das Tafelparkett in einem 30 Prozent vergrö-
             bruch Hutton realisierten von 2017 bis 2019 den Umbau der Innenräume in eine vielfäl-  ßerten Verlegeraster erneuerten. Der Festsaal bildet damit den unsichtbar-sichtbaren
             tig nutzbare Galerie. Neben den Ausstellungsflächen im Foyer wurden auch aufwendig  Höhepunkt einer einfühlsamen Umnutzung, die mit subtilen Interventionen die Details
             gestaltete, private Wohn- und Büroräume im ersten Obergeschoss eingerichtet, die auf  und Proportionen der repräsentativen NS-Architektur konterkariert.

                                                                                                                           AIT 1/2.2020  •  117
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