Page 56 - AIT0118_E-Paper
P. 56

REDINGS  ESSAY

                                               IM ZEITALTER




                                                     DES NEON.






                                                                Ein Essay von Dominik Reding




               S  ie knisterten, knackten, surrten, rauschten und blubberten. Sie schimmerten, glom-  fahren? Auf seinem Moped. Auf eisglatter Straße. Mir war nichts passiert, nicht mal
                  men, flirrten, strahlten – und das in allen Farben des Regenbogens. Aber ihre ganze
                                                                             Schrammen. Das Neonbier leuchtete so gelb, wie das Lagerfeuer in einer Blockhütte im
               Schönheit zeigten sie im Todeskampf. Sie ließen sich Zeit, flackerten, pulsten, das Licht  Winter. Fast hätte ich meine Hände ausgestreckt, um mich daran zu wärmen. Mein
               wurde schwächer, die Farben trüber, um dann in dämmrigem Gelb oder schwachem  Bruder wird schimpfen, ganz doll, ganz bestimmt, dachte ich.
               Blau zu verglimmen, unruhig, zittrig, wehrig, endgültig. Ich entdeckte sie im Schneeregen,  Ein paar Jahre später füllte sich das Bierglas nur noch halb, dann fehlte der Schaum,
               an einer Hauswand gegenüber den Städtischen Kliniken. An dem Abend, als mein großer  dann die Blasen. Das Neonröhren-Lichtspiel geriet aus dem Takt. Und fiel aus der Zeit.
               Bruder entlassen wurde. Nach dem Unfall. Und ich auf ihn wartete. Erst war da nichts.  Plötzlich  waren diese bonbonbunt leuchtenden Neonradios, Neonregenschirme und
               Nur die regennasse Hochhausfassade auf der anderen Straßenseite. Dann flackerten sie  Neonbiere so altmodisch und ungenießbar  wie die  Zigarren, Eierliköre und  Wein -
               auf und formten die Umrisse eines Bierglases: Neonröhren! Weiß, dünn, fünf Meter hoch.  brandpralinen von Oma und Opa. Ein Enkel brachte die Wende: Helmut Kohl wurde
               Ich legte den Kopf in den Nacken, reckte den Hals. Dann wieder ein Flackern und das  Bundeskanzler und im Radio lief plötzlich eine Band namens „Neonbabies“ und im
               Bierglas füllte sich. Röhre um Röhre blitzte gelb auf und ließ den Pegel steigen. Weiße  Kino startete ein Film mit dem Titel „Neonstadt“ und ein Buch erschien mit dem Titel
               Röhren folgten, formten eine Schaumkrone. „Boah“, sagte ich. Und dann, ich starrte hin  „Neon schatten“. Die Kohl-Kids entdeckten die ausgemusterten Röhren ihrer Adenauer-
               und vergaß sogar zu atmen, stiegen Blasen aus der Schaumkrone. Drei babyblaue Neon -  Großeltern und montierten sie neu. Es wurde ein Rausch, kurz und intensiv, wie die
               kreise. „Uff“, sagte ich. Und wie die finale Signatur eines Künstlers erstrahlte in signal-  Supernova eines Sterns  vor seinem  Verglühen. Der  war ein Held, der einen  wild
               roten Buchsta ben ein Schriftzug darunter: „Was trinken wir? Bier aus dem Revier!“ Wäre  geschwungenen Neonbuchstaben aus dem Müll fischen, heil nach Hause bringen und
               es eine  Theateraufführung gewesen, jetzt hätte                                         mit bereits „Geretteten“ kombinieren konnte:
               ich laut geklatscht. So lächelte ich nur beglückt                                       OFF, ON, LOVE, HATE, WAR und ... nein, für SEX
               und be seelt, wie es ein Sieben jähriger tut, wenn                                      fehlte immer das  X. Und fand man keine
               er etwas sieht, das an ein Wun der grenzt. Dann                                         Originale, dann gab es noch die billigen Bau -
               erlosch  die  Reklame  und  ich  grübelte.  Würde                                       markt röhren, die die eigenen vier Wände zwar in
               mein Bruder mich schütteln? Aus schimpfen? Ver -                                        das gewünschte  kühl-trendige Eisdielenlicht
               hauen? Der Schneeregen wurde stär ker. Der Ab -                                         tauchten, aber auch alle Spinnweben, Wasser -
               lauf des Reklame-Schauspiels be gann von                                                flecken und Brandlöcher im Teppich offenbarten.
               Neuem. Und natürlich, ich schaute wie der hin.                                          Und dann war es vorbei. Erst zog die EU-Richt -
               Die Stadt meiner Kindheit war noch voll davon:                                          linie zur Energieeffizienz der Baumarktröhre den
               Neonröhren. Als Schriftzüge, Schaufensterlicht,                                         Ste cker, dann  verpasste die DIN-Norm  zur
               La den beleuchtung und als Reklame. Nein, nicht                                         Wärme  dämmung den letzten Nierentisch-
               diese eckigen Plastikkästen, hinter denen fahl-                                         Neonreklamen den Todesstoß. Auch das Leucht -
               weiße Leuchtstofflampen lieblos ausgeschnittene                                         stoff-Bierglas fiel, aus Schaum und Luftblasen
               Folienbuchstaben beleuchten. Nein, und auch                                             und „Wir“ und „Re vier“ wurde ein Haufen Glas -
               nicht diese LED-Anzeigetafeln, die sich mit ihren                                       schrott im Bau con tainer.
               grellen Filmchen, grellen Leuchtdioden und grel -                                       Vor einigen Tagen zog ich um die Häuser, abends
               len Slogans gegenseitig überschreien. Nein, ich                                         im Schneeregen. Da wurde ich gepackt und fest-
               meine Neonreklamen. Geschwungene, gläserne Foto: Neonobjekte von Sygns, Berlin          gehalten. Nicht von einem Menschen, von einer
               Lichtlinien, von elektrisch geladenem Gas durch-                                        Reklame. Einer Ladenreklame aus Neonröhren.
               strömt, je nach Befüllung und Stromstoßstärke                                           Richtigen Neonröhren! Gebogen, gasbefüllt,
               farbenfroh leuchtend und, der Erfindung der Zeit -                                      rötlich schimmernd. Und der Schriftzug sah neu
               schaltung sei Dank, in dauernder Bewegung: Glückliche Neonpärchen stießen mit Neon -  aus. Ich konnte es nicht glauben, ging hinein, fragte nach. Ja, eine kleine Manufaktur
               sekt gläsern an, Neonfischen sprudelten Neonblasen aus ihren Neon kiemen,  würde sie wieder herstellen, seit ein paar Monaten. Draußen betrachtete ich noch einmal
               Neonschirme klappten auf und zu, Neontelefonhörer klingelten, Neonfernseher leuch -  ihr warmes Glühen, wie Heizdrähte in einem Radiator oder Neonbier in einem Neon -
               teten, Neon zigaretten qualmten Neonqualm.  Vielleicht  war es dieses Bewegte,  Ver -  bierglas, vor langer Zeit, an einer Hochhauswand gegenüber dem Krankenhaus. Mein
               schlungen-Verbo gene nach dem Strammstehen in den Jahren davor?  Vielleicht das  großer Bruder kam aus dem Haupteingang. Er humpelte. Ich zitterte. Nicht wegen der
               Schummrig-Bunte nach dem überhellen Licht der Flakscheinwerfer, das die Wirtschafts -  Kälte. Jetzt wird er mich ausschimpfen und verhauen. Er kam zu mir herüber, hob den
               wunder menschen so für die Leuchtstoffröhren begeisterte? Vielleicht aber war es auch  Fuß und sagte: „Siehst Du, tut nicht mehr weh.“ Dann legte er mir den Arm um die
               das Kindliche, das Verspielte der Röhren, das freundliche Kasperletheater des an- und  Schulter und wir gingen nach Hause und er erwähnte die ganze Sache nie wieder.
               ausgehenden Lichts, das die Flaneure und Ladenbesitzer der Nachkriegsjahre anzog. Wer  Und nun habe ich einen Wunsch. An alle Architekten und Innenarchitekten und Designer
               als Erwachsener gesündigt hat, will danach wieder unschuldiges Kind sein.   und Ladenbesitzer. Bitte verwenden Sie Neon! Richtige Neoröhren, gebogen, mit Gas
               Wieder füllte sich das Bierglas, wieder stiegen die Blasen auf, wieder schaute ich hin und  befüllt und in Bonbonfarben leuchtend. Nicht weil es ökologisch wäre, das ist es nicht.
               dann doch, kurz und sorgenvoll, zur Eingangstür. Zwei Wochen Krankenhaus. Kaputter  Nicht weil es praktisch wäre, das ist es nicht. Nicht weil es günstig wäre, das ist es auch
               Fuß. Alles wegen mir. Warum musste ich auch zu spät aufstehen? Und der Bus schon  nicht, sondern weil es schön wäre. Und es Kindern gefällt. Und kleine Brüder tröstet, die
               weg sein? Und mein großer Bruder noch da sein? Was musste ich ihn bitten, mich zu  auf ihre großen Brüder im Krankenhaus warten.



               056  •  AIT 1/2.2018
   51   52   53   54   55   56   57   58   59   60   61