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SERIEN PERSPEKTIVWECHSEL • CHANGE OF PERSPECTIVE
Der ACE unterstützt die europäischen Institutionen durch Zusammenarbeit und stellt
Forschungsergebnisse, Wissen und Expertise bereit. Vieles geht nur gemeinsam: Die Art
und Weise, wie wir unseren Planeten bewohnen und bewirtschaften, hat verheerende
Auswirkungen auf das Klima und die Biodiversität. Wir verbrauchen riesige Mengen an
Land, Rohstoffen und fossilen Brennstoffen und erzeugen unvorstellbare Mengen an
Treibhausgasemissionen und Abfall. Darüber hinaus erleben wir in unseren Städten allzu
oft einen Qualitätsverlust unserer gebauten Umwelt, der sich in einer Trivialisierung des
Bauens, dem Fehlen von Designwerten und dem Verfall historischer Bausubstanz und
-kultur zeigt. Auf allen Verwaltungsebenen und im Bausektor sind deshalb dringende
und wichtige Maßnahmen erforderlich. Wir müssen jetzt handeln, um die Art und Weise
zu ändern, wie unser Lebensumfeld geplant, gebaut, instandgehalten, saniert, verwaltet
Foto: National Union of Architects of Ukraine, NSAU die Lebensqualität umfassend fördert und Mensch und Natur in den Mittelpunkt aller
und reguliert wird. Wir müssen eine Haltung einnehmen, die das Gemeinwohl und
räumlichen und städtischen Entwicklungen stellt.
r In welcher Form sollen sich diese genannten Ziele umsetzen lassen? Und was
konnten Sie bislang schon erreichen?
und StadtplanerInnen ins Spiel, denn wir sind die Akteure des Wandels, die über das
erforderliche Wissen, die Kompetenz und Erfahrung verfügen. Meine Amtszeit begann
Im Auftrag der Solidarität: Besuch des Ukrainischen Pavillons auf der Biennale in Venedig ... Hier kommen wir als ArchitektInnen, InnenarchitektInnen, LandschaftsarchitektInnen
am Ende der Pandemie, einen Monat vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine und am
Anfang einer neuen Umbaukultur. In diesem Umfeld sind die Erfolge schwer messbar,
und trotzdem kann ich ihnen eine Auswahl an Beispielen nennen. Der ACE ist aus seinem
„Pandemieschlaf“ erwacht. Der Vorstand, Mitgliedsorganisationen und alle Delegierten
sind sehr aktiv in der Zusammenarbeit, bringen sich ein. Dadurch lernen wir voneinander
und können diese Erfahrung in die Politik einbringen. Ein Zeichen dieses hohen Interes-
ses ist zum Beispiel, dass sich für die Wahl zum neuen Vorstand auf fünf freie Plätze elf
Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt haben, davon fünf Frauen und sechs Männer.
Dieses Bekenntnis zum Mitmachen hat es in der ganzen ACE-Geschichte nicht gegeben.
Für die Präsidentenwahl gibt es keinen Gegenkandidaten.
r Sie haben sich unmittelbar nach Kriegsausbruch im Frühjahr 2022 auch für die
ukrainischen ArchitektInnen und KollegInnen stark gemacht ...
Ja, eine Woche nach Kriegsausbruch habe ich mich im Europäischen Parlament dafür
eingesetzt, dass wir sofort die ukrainischen Kolleginnen und Kollegen in unsere Gespräche
und Förderprogramme einbeziehen. Hier kann sich zeigen, wie stark die Werte des
Neuen Europäischen Bauhauses wirksam werden können. Die ukrainischen KollegInnen
haben uns gebeten, dass wir ihnen beim Entwickeln von Ideen, Gesetzgebungen und
Foto: UREHERIT Planungswerkzeugen für den Wiederaufbau der Ukraine helfen. Und das tun wir von
Beginn an ganz intensiv. Die Aktivitäten kulminieren im EU-geförderten Projekt UREHERIT.
... und Teilnahme an der EU-geförderten Kick-off-Konferenz UREHERIT: „Architects for heritage in Ukraine“ in Lwiw unter der Leitung meiner litauischen Kollegin im Vorstand, Ruta Leitanaite. Das Projekt
kann die ACE-Aktivitäten sehr befördern, wenn sich alle Beteiligten dafür einsetzen, dass
Im Auftrag der Baukultur: Sommerreise zum Kulturdenkmal Schwesternhäuser Kleinwelka in der Oberlausitz das reiche Kulturerbe als Ressource für eine nachhaltige kulturelle, soziale, ökologische und
wirtschaftliche Wiederbelebung gesehen wird. Gleichzeitig sind angesichts der Zerstörung
des Krieges die Herausforderungen der Bewahrung, Neudefinition und Hervorhebung der
nationalen und lokalen kulturellen Identität zu bewältigen sein.
r Die Herausforderungen der Energieeffizienz und Klimaneutralität von Gebäuden
werden auf europäischer Ebene angegangen. Was bedeutet das in der Umsetzung,
und welche Auswirkungen wird dies auf die Arbeit von ArchitektInnen haben?
Im Gesetzgebungsverfahren zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, der bereits
angesprochenen EPBD (Energy Performance of Buildings Directive), setzen wir uns durch
eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament von Anfang an stark
für eine ambitionierte EPBD ein. Im europäischen Gesetzgebungsverfahren müssen alle
Beteiligten kompromissbereit sein, denn darum geht es in den ganzen Verhandlungen:
Kompromisse zu erarbeiten, die nachher in der Umsetzung insbesondere für uns als
europäische BürgerInnen positive Auswirkungen haben. Sie müssen sich vorstellen, es wird
Foto: Schwesternhäuser Kleinwelka e.V. dort erstens mit dem Parlament – dort sitzen unsere direkt gewählten VertreterInnen –,
zweitens mit dem Rat – dort sind alle Regierungen und auch unsere Bundesregierung
vertreten – und drittens mit der Kommission als Verwaltungsorgan verhandelt. Das neu
eingeführte Prinzip der Taxonomie, das zunehmend Investitionsströme in nachhaltiges
Bauen lenken wird, weist Architektinnen eine neue Rolle auch in der Ökonomie eines
040 • AIT 12.2023 Projektes zu, weit jenseits der Kontrolle der reinen Baukosten. Im Transformationsprozess