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Ruth Schagemann
                                                                                                                                      Foto: Archiv Ruth Schagemann
             1974 geboren in Quito/Ecuador 2004 Diplom: Architekturstudium in Braunschweig und Stuttgart 2006 Gründung des Büros Viceversa Architektur + Medien in Stuttgart gemeinsam mit
             Kersten Schagemann 2013–2023 Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) 2016–2021 Mitglied der Geschäftsleitung des Architect’s Council of Europe (ACE) in Brüssel seit 2022
             Präsidentin des Architect‘s Council of Europe seit 2023 Geschäftsführerin im Verbindungsbüro Brüssel der Bundesarchitektenkammer (BAK)















                                                                                                                                      Foto: wikicommons; Håkan Dahlström, SE-Malmö





                                                                         Foto: Davos Alliance




             Ruth Schagemann: Speaker bei der Davos Baukultur Alliance 2023 im Januar.  Von Brüssel aus für die Bundesarchitektenkammer aktiv: Engagement auf europäischer Ebene




            r Von 2013 bis Anfang 2023 waren Sie in der AKBW für nationale und internationale   Seit Anfang des Jahres wohne ich auch in Brüssel. Es ist eine fantastische Stadt, sehr
            Berufspolitik  zuständig und seit 2021 auch für die Eintragung der  ArchitektInnen.   lebendig, jung und dynamisch. Aus meiner Sicht ist Belgien eines der am meisten
            Erläutern Sie uns das Spektrum an Aufgaben, das damit verbunden war?   unterschätzten Länder in Europa. Ich kann jedem nur raten, statt nach London, Paris
            Das war ein ganzer bunter Strauß an Aufgaben. Am Anfang stand die Idee, dass die AKBW   oder Amsterdam nach Brüssel, Gent oder Brügge zu reisen. Ich bin begeistert und fühle
            für wichtige europäische Themen federführend für alle Länderkammern zuständig sein   mich sehr wohl in Brüssel. Als Geschäftsführerin muss ich mich jetzt nicht nur um die
            sollte. Es ging um die „Berufsanerkennungsrichtlinie“. Aus dieser Bezeichnung  geht mit-  Berufsanerkennungsrichtlinie kümmern, sondern auch um alle anderen Themen, die im
            nichten hervor, worum es sich konkret handelt – es sei denn, man ist Jurist. Diese Richt-  europäischen Kontext Relevanz für die Arbeit der ArchitektInnen, InnenarchitektInnen,
            linie regelt die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen. Darin steht, was ich   LandschaftsarchitektInnen und StadtplanerInnen haben. Im Moment ist es sehr viel, denn
            als ArchitektIn machen muss und was ich als Grundlage benötige – zum Beispiel welches   unter Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin wurden wichtige Klima- und
            Studium –, wenn ich in einem anderen europäischen Land arbeiten möchte und nicht   Umweltstrategien ins Leben gerufen, die alle in Gesetzgebungsverfahren münden, die sich
            den ganzen Eintragungsprozess erneut durchlaufen will. Denn unser Titel Architekt/-in ist   auch mit dem Bauen befassen. Alle Mitgliedsstaaten in Europa haben sich im europäischen
            geschützt. Nicht jeder darf sich so nennen. Gesetzlich ist geregelt, dass nur als ArchitektIn   Klimagesetz verbindlich darauf geeinigt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Einer der
            eingetragen werden kann, wer mindestens vier Jahre Architektur studiert hat und zwei   wichtigsten Transformationsprozesse der Gegenwart ist damit angestoßen. Das durch
            Jahre eine berufspraktische Zeit unter Aufsicht einer Architektin oder eines Architekten   ArchitektInnen, InnenarchitektInnen, LandschaftsarchitektInnen und StadtplanerInnen
            absolviert hat. So weiß jeder: Wo ArchitektIn draufsteht, ist auch ArchitektIn drin. In den   gestaltete Lebensumfeld ist nun Teil einer umfangreichen Klima- und Resilienzstrategie
            anderen europäischen Mitgliedsstaaten gibt es ähnliche Regelungen.  der EU mit einem Paradigmenwechsel in der Energie- und Umweltpolitik. Weg von der
                                                                          reinen Energieeffizienz des Neubaus, hin zu einer ganzheitlichen Effizienzbetrachtung
            r Wie aufwendig war es, diese Berufsanerkennungsrichtlinie umzusetzen?  der  Treibhausgasemissionen (THG) über den gesamten Lebenszyklus hinweg, unter
            Da diese Eintragungssysteme historisch gewachsen sind und auch das Studium   Berücksichtigung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Unsere gebaute Umwelt ist
            unterschiedlich ist,  wäre eine Harmonisierung über Europa hinweg unmöglich.   für Lebensqualität und Gemeinwohl relevanter denn je. Wichtige Gesetze sind dabei das
            Damit  sich  ArchitektInnen  trotzdem  frei  in  Europa  bewegen  können,  wurde  die   stark umstrittene Renaturierungsgesetz, auf das sich Rat, Kommission und Parlament
            Berufsanerkennungsrichtline erfunden und 2005  veröffentlicht. Sie setzt die Mindest-  am 10. November geeinigt haben. Bald muss dieses im Plenum des Europäischen
            voraussetzungen fest, unter denen wir in Europa unseren Beruf automatisch gegenseitig   Parlamentes abgestimmt werden. Die Richtlinie über die Energieeffizienz von Gebäuden,
            anerkennen.  Deswegen  ist  diese  Richtlinie  sehr  wertvoll.  Als  ich  anfing,  war  die   die sogenannte EPBD, um deren Ausgestaltung auch stark gerungen wird, sowie die
            Berufsanerkennungsrichtlinie gerade novelliert worden und musste in nationales Recht   sehr komplizierte Bauproduktenverordnung, die viele Querverbindungen zu anderen
            umgesetzt werde. Alle 16 Architektengesetze in Deutschland mussten angepasst werden.   Gesetzen hat, stehen ebenfalls im Fokus.
            Das machte enorm viele Abstimmungsprozesse notwendig, zum Beispiel mit den für die
            Umsetzung zuständigen MitarbeiterInnen in den Ministerien oder mit den KollegInnen an   r Sie waren von 2016 bis 2021 Mitglied der Geschäftsleitung des Architects‘ Council of
            den Hochschulen, die für die akademische Ausbildung verantwortlich sind. Es gab ein   Europe (ACE). Seit 2022 stehen Sie dieser gemeinnützigen Organisation, die über 600.000
            langwieriges und kräftiges Ringen, bis man sich auf den einen gemeinsamen Entwurf des   ArchitektInnen aus 35 europäischen Ländern vertritt, als ehrenamtliche Präsidentin vor.
            Musterarchitektengesetzes einigen konnte.                     Wofür setzt sich der ACE konkret ein, und was sind Ihre primären Aufgaben?
                                                                          Die Ziele des ACE sind es, die Bedeutung und den Wert der Architektur im Sinne des
            r Sie arbeiten nun selbst im Ausland. Seit Anfang des Jahres bekleiden Sie bei der   Gemeinwohls für eine hohe Lebensqualität in urbanen und ländlichen Räumen zu fördern
            Bundesarchitektenkammer die Position der Geschäftsführerin im  Verbindungsbüro   und die höchsten Standards in Ausbildung und Praxis zu sichern. Dabei fördern wir die
            Brüssel. Wie haben sich Ihr Leben und Ihre Arbeit auf internationaler Ebene verändert?   grenzüberschreitende Ausübung unseres Berufes innerhalb der EU und darüber hinaus.

                                                                                                                          AIT 12.2023  •  039
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